Lange nicht erlebt: Da sitzen sechs Fachleute zusammen, erörtern ostdeutsche Probleme - und alle Teilnehmer der illustren Runde kommen tatsächlich von hier. Dafür gibt es nur zwei Erklärungen: Entweder der Osten emanzipiert sich mit seinem Aufschrei oder die Lage ist so brisant, dass selbst den geübten Alles-kein-Problem-Botschaftern aus dem Westen die Deutungshoheit entgleitet.

Ja, es geht um das Ostdeutsche Energieforum, das zweite in einer – darauf weist die Hartnäckigkeit beim Ansteuern einer Sackgasse hin – lange währenden Reihe. Weltwirtschaftsforum am Beginn des Jahres in Davos, Ostdeutsches Energieforum am Beginn des Frühlings in Leipzig – das passt. Es geht beiden Spezialistentreffs um Präsenz, um einen festen Ankerplatz im dichten Terminkalender von Wirtschaftskapitänen und Politikerklärern, und es geht um Tiefenschärfe.

“Die Energiewende ist auf der Couch der Kunden angekommen”, konstatiert Thomas Prauße, Geschäftsführer der Stadtwerke Leipzig, lapidar. Soll heißen: Es wird die Abnehmer wie ein Bleigewicht tief in die Polster drücken, wenn sie zum ersten Mal schwarz auf weiß erfahren, was die aktuelle Runde der deutschen Energiewende sie kostet. Als Energieverkäufer müsste sich Geschäftsführer Prauße eigentlich über die hochschnellenden Strompreise freuen. Tut er aber nicht. Er sieht sich vom Staat vielmehr in die Rolle des Eintreibers all der verworrenen Abgaben und Umlagen gedrängt, die den Endkundenpreis mästen, und zwar gleich in dreifacher Weise: Erst schnellt der eigentliche Strompreis hoch (ohne dass die Gestehungskosten unbedingt zugenommen haben), dann freut sich der Staat wegen der breitgewalzten Bemessungsbasis über seine prächtig zunehmende Mehrwertsteuer, und zum Schuss steigen die Preise für alles und jedes, weil ja überall Stromkosten anfallen.
Sechs tapfere Analytiker des ostdeutschen Energiemarktes saßen also in der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig zusammen und stimmten als Quasi-Trainingseinheit im Kleinen auf das Ostdeutsche Energieforum ein, das für den 29. und 30. April im Congress Center der Leipziger Messe avisiert ist. Alles, aber auch alles kam bereits auf den Tisch – 200.000 Euro zusätzliche Energiekosten für einen mittelständlichen gewerblichen Verbraucher (IHK-Präsident Wolfgang Topf), die 20 Prozent höheren ostdeutschen Energiekosten im Vergleich mit dem Westen und Süden des Landes (Unternehmerpräsident Hartmut Bunsen), 4.000 Kilometer erforderliche neue Hochleistungs-Stromtrassen (Uwe Barthel, Technikvorstand der Verbundnetz Gas) und die Schwierigkeiten, die Einspeisung verschiedener Energien in den Netzen besser hinzukriegen (Frank Büchner, Leiter Energy Sector von Siemens). Die Absurdität, eine von der Bundespolitik abgesegnete Umlage für Offshore-Windparks auf den Strompreis zu schlagen, falls das Kabel für den Stromtransport ans Land fehlt, animierte Stadtwerke-Chef Prauße zu dem Gedankenflug, was wohl passieren würde, wenn er seinem Aufsichtsrat gestehen müsste, er hätte an einem Kraftwerksneubau die Netzkabel vergessen.

Richtig in Fahrt gekommen, donnerte Prauße gleich weiter, dass jedermann sehen könne, was herauskomme, wenn staatliche Planwirtschaft auf Marktwirtschaft trifft. Da kämen “Dinge heraus, die wir uns gar nicht vorstellen konnten.” Beispiel CO2-Zertifikate. Zunächst großzügig planwirtschaftlich verschenkt, sei ihr Preis an der Börse signifikant marktwirtschaftlich in den Keller gerutscht. Was dazu führt, dass es sich lohnt – nach Erwerb von genügend der spottbilligen Schmutz-Ablasszettel – die dreckigsten Kohlekraftwerke am Limit zu fahren, während unverdächtigere Emissionsverursacher vom Netz genommen werden. Deutsche Energiewende konkret! Es leuchtet ein, dass “das Ausland” genau registriert, was hier passiert.

Die beklemmenden Fakten der konzeptionslosen Wenderei sind einzeln oder in mancherlei Zusammenhängen bekannt. Auf dem ostdeutschen Energieforum sollen sie nun zusammengeführt und der Politik zusammen mit klaren Forderungen (spürbare Senkung der Stromsteuer) präsentiert werden. Doch Vorsicht, es ist ein Wahljahr. Wer sein Anliegen wuchtig vorzutragen versteht, wird durchdringen. Klappt das nicht, weil zum Beispiel die Verstärkungswirkung vieler ortsansässiger und kräftig Steuern zahlender Großunternehmen nicht ausreicht, muss sich auf ein verlorenes Jahr einstellen. Dieser deprimierende Ablage-Wiedervorlage-Effekt soll dringend vermieden werden, und deshalb will das Ostdeutsche Energieforum ein Transformator sein, der die Forderungen und Erwartungen hochfährt und mit Wirkung punktet.

Veranstalter des Energieforums sind die Landesarbeitsgemeinschaften der IHKs der ostdeutschen Flächenländer und Berlins. Sie haben es geschafft, die beiden Bundesminister Rösler (FDP/Wirtschaft) und Altmaier (CDU/Umwelt) zu einem Gang nach Leipzig zu animieren. Fein – und doch auch nicht. Beide Minister kommen, doch an verschiedenen Tagen. Gemeinsam werden sie kein Podium erklimmen und im Angesicht von 600 anwesenden Fachleuten ungeschminkt Klartext reden. Es ist eben ein Wahljahr, wie gesagt …

Ob der Vorschlag von VNG-Vorstand Uwe Barthel hilft, die “sogenannte Energiewende” begrifflich durch “Energie-Reformation” zu ersetzen? Passt sachlogisch prima zu Mitteldeutschland. Doch an welche Tür sollten dann die 95 Thesen geschlagen werden? Und würden 95 Thesen überhaupt ausreichen? Und wer hätte eine so große Tür? Das Ostdeutsche Energieforum sucht eine allumfassende Antwort. Spannend, spannend – wie ein Umspannwerk.

Zum L-IZ – Dossier
Dossier zum Ostdeutschen Energieforum

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