Stammtische haben etwas Stimmungsbombiges an sich, und zwar nicht nur in Bayern, sondern auch in Sachsen. Das befand der Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig, Wolfgang Topf, der am Dienstagabend, 13. Mai, den 4. Deutsch-Russischen Wirtschaftsstammtisch moderierte. Rund 60 Gäste - so viele wie nie zuvor - waren in die Zentrale der Verbundnetz Gas AG gekommen, wo der milliardenschwere ostdeutsche Umsatzprimus diskret und ungerührt von allen politischen Beben und Gezeitenwechseln seit nunmehr 41 Jahren sein Russland-Geschäft steuert. Und wo vor allem interessierte Mittelständler wissen wollten, ob es sich denn angesichts der eingetrübten Globallage überhaupt lohnt, auf "Putins Reich" zu setzen.

Schlüssige Antworten wurden von Andreas Knaul erwartet, der die Beratungsleistungen der 200 Rechtsanwälte und Steuerspezialisten von Rödel & Partner in Russland lenkt. Ehe der Redner anhob, ein paar Striche am sattsam bekannten Russland-Bild zu zeichnen, überreichte er die aus seiner Sicht wichtigsten Zubehörteile eines kernigen Russland-Deals an den IHK-Präsidenten – einen Kompass und eine Pulle “Moskovskaya” (zollfrei im Transitbereich von Sheremetyevo eingesackt). Der Beschenkte dankte gerührt und wollte nur noch wissen, in welcher Reihenfolge die scheinbar unverzichtbaren Zutaten jedes gängigen Russland-Klischees denn zu gebrauchen seien.

Doch da hatte Unternehmensberater Knaul bereits angehoben, an Komsomolzen-Besäufnisse in den achtziger Jahren zu erinnern – zur Freude der einen Hälfte der Anwesenden, die dabei gewesen sind, und zur ahnungsarmen Verwunderung der anderen Hälfte, die damals auf dem west-östlich Diwan noch nicht gelitten war. Auf so viel Wodka folgten die Fakten: “Russland ist kein Produktionsstandort. Die Arbeitskosten sind viel zu hoch, alles ist teuer, und die Straßen sind beschissen.”

Ob es das war, was die auf pragmatisches Investitionskalkül geeichten Geschäftsführer wissen wollten? Richtig in Fahrt gekommen, ließ Knaul dann gleich noch eine Kanonade negativer russischer Wirtschaftsprognosen ab. Seine Quelle, die mit Frakturschrift im Titel grundsolide anmutende “Moscow Times” schien zu beeindrucken.

Dass es sich bei dem Blatt um eine kostenlose Verteilzeitung handelt, die als Flaggschiff des Russland-Bashings von US-Medienkonzernen finanziert und vertrieben wird, blieb unerwähnt. Zumindest bis Andrej Bondarew, Konsul im Generalkonsulat der Russländischen Föderation in Leipzig, nachlegte und genau jene politisch determinierte Emotion in die Runde trug, die in diesen Zeiten nur vermeintlich aus dem deutsch-russischen Wirtschaftsdialog herausgehalten werden kann.

Konziliantes Eingehen auf den Dialogpartner? Es fehlte allein schon der Versuch. Bondarew bemühte sich von Amts wegen darum, durch eine Flut von Statistiken die Normalität, gelegentlich auch die Klasse der russischen Wirtschaftsentwicklung zu begründen. Der russische Finanzsektor gedeiht prächtig, befeuert durch Hedgefonds, die auf Zypern und in Luxemburg, zwei führenden Kapitalexporteuren nach Russland, residieren. Der russischen Industrie, nun ja, der geht es weniger gut. Wenn das nicht richtig reflektiert wird, so liegt das an fehlender Sachkenntnis von ausländischen Journalisten, befand der Konsul recht undiplomatisch pauschal. So schafft man sich Verbündete.

Ob sich damit die sehr praktischen Fragen der Unternehmer nach dem Umgang mit Erträgen aus Russland-Geschäften in Zeiten des Rubel-Kursverfalls, nach Konsequenzen aus dem Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO, nach der “ewigen” Aufholbewegung des Technologiesektors im östlichen Riesenreich, nach dem Wirkungskreis westlicher Sanktionen oder gar nach dem Megatrend der beharrlichen Annäherung von Russland und China und seinen globalen Auswirkungen beantworten lassen, blieb offen. Ein Komponentenbauer für Landtechnik berichtete über einen potenziellen russischen Partner, der bei ihm bereits angeklopft hat. Nun braucht er Entscheidungshilfen. Ob er die in der Leipziger Runde bekam? Doch es war ja nur ein Stammtisch, der zeigte, wie faserig der gebetsmühlenartig beschworene Gesprächsfaden im Moment ist.

Merkwürdig kommt allein schon das beharrliche Kokettieren mit den fehlenden russischen Sprachkenntnissen daher. Ein eigentümlich kleingeistiges Ritual. An dieser Stelle schweigt die solide Zahl jener Anwesenden, die perfektes Russisch sprechen, eher betreten. Die undifferenziert abgefeuerte Schimpfkanonade auf “die deutschen Medien” scheint wichtiger. Wirkung egal, Stammtisch fatal.

Ach so, für eine Unternehmerreise auf die Krim ist jetzt ein russisches Visum zwingend erforderlich, erinnerte Konsul Bondarew zum Schluss.

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