Es ist Strom aus Braunkohlekraftwerken, der selbst bei Wind und Sonnenschein die Stromnetze verstopft. Und es ist Braunkohlestrom, der Sachsen in den letzten Jahren zum Stromexporteur gemacht hat. Und es sind zum Teil alte Kraftwerksblöcke, die immer weiter produzieren und damit moderne, effizientere Technologien verhindern. Die könnten als erste vom Netz, stellte jüngst eine Studie des DIW fest. Und benannte auch die sächsischen Kandidaten.

In der Diskussion um die Erreichung der bundesweiten Klimaziele von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel sind die alten Kraftwerksblöcke in Boxberg in der sächsischen Lausitz in den Blick geraten. Die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) schlägt unter anderen die beiden ältesten Blöcke in Boxberg aus den Jahren 1979 und 1980 (Block III-N und Block III-P) zur Stilllegung vor. Und diese Studie bildet das Szenario des Bundeswirtschaftsministers zur Einsparung von etwa 22 Millionen CO2 in der Kohleverstromung bis 2020 präzise ab, stellt Dr. Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, fest.

Dabei hat das DIW sogar drei verschiedene Szenarios untersucht – ein Basisszenario, das schon mit dem Abschalten der ältesten Kraftwerke die von Gabriel gewünschte Minderung des CO2-Ausstoßes schafft, und zwei mit Zusatzmaßnahmen gespickte Szenarios, die nicht nur eine Minderung des CO2-Ausstoßes von derzeit 951 Millionen Tonnen auf 820 Millionen Tonnen, sondern sogar auf 750 bzw. 701 Millionen Tonnen bis 2020 schaffen, ohne dass die Erzeugerkapazitäten in Deutschland schrumpfen. Denn die abgeschalteten Kapazitäten werden allein schon durch den jetzt absehbaren Zubau an Erneuerbaren Energien ausgeglichen. Und die beiden ältesten Kraftwerksblöcke in Boxberg sind längst reif, vom Netz zu gehen.

“Die beiden 35 Jahre alten Blöcke sollten vor dem Jahr 2020 vom Netz gehen. Das senkt den CO2-Ausstoß in Sachsen um fast 8 Millionen Tonnen, aber es beeinflusst die Versorgungssicherheit nicht im Mindesten”, stellt auch Dr. Gerd Lippold fest. “Sachsen produziert doppelt so viel Kohlestrom, wie es selbst verbrauchen kann.”

Doch die sächsische Regierung handelt auch nach der Wahl so kopflos in Sachen Energiepolitik, wie sie es vor der Wahl getan hat. Nachdem schon im Oktober ein regelrechter Amtstourismus Richtung Schweden begann, um mit der neu gewählten Regierung dort über die Zukunft des Vattenfall-Engagements in Sachsen zu reden, wollen die Ministerpräsidenten Brandenburgs und des Freistaats Sachsen, Dietmar Woidke und Stanislaw Tillich, nun am Donnerstag, 4. Dezember, hinfliegen, um mit Mikael Damberg, Minister für Wirtschaft und Innovation, sowie dem Präsidenten und CEO der Vattenfall AB, Magnus Hall, und dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Vattenfall GmbH Deutschland, Tuomo Hatakka, zu reden. Grund seien “zuletzt widersprüchliche Signale aus den Reihen der neuen schwedischen Minderheitsregierung”, heißt es zur Begründung, auch wen die widersprüchlichen Botschaften eher aus dem Vattenfall-Konzern kommen und die beiden Landesregierungen es bislang nicht fertig bekommen haben, ein durchdachtes Ausstiegsszenario aus der Braunkohle zu entwickeln, mit dem auch Vattenfall wieder planen könnte.
Und was macht nun der neue sächsische Wirtschaftsminister?

“Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) verschweigt die vorhandenen Spielräume für sächsischen Klimaschutz im Kohlestrombereich, wenn er behauptet, Sachsens Kraftwerkspark sei ‘bundesweit der modernste und effizienteste'”, kommentiert Lippold die neue sächsische Zappelpolitik. “In Sachsen werden auch zwei alte Blöcke mit je 465 MW Leistung am Standort Boxberg betrieben. Diese Blöcke P und N waren zwar nach der Wende modernisiert worden, um bundesgesetzliche Emissionsvorgaben einhalten zu können. Dennoch haben die etwa 35 Jahre Blöcke einen CO2-Ausstoß in ähnlicher Höhe wie die älteren Braunkohlekraftwerke aus dem Westen.”

Diese zwei Blöcke stehen für etwa 25 Prozent der CO2-Emissionen aus sächsischen Braunkohlekraftwerken. Mit ihrem Auslaufen ließe sich nicht nur der besonders hohe sächsische Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 rasch und deutlich senken. Verbessern würde sich durch Abbau von Überkapazitäten auch die Wirtschaftlichkeit des Betriebes der moderneren Blöcke.”

Lippold verweist auch auf zwei zusätzliche positive Effekte: “Durch das Abschalten der beiden alten Boxberg-Blöcke würde die jährlich benötigte Kohlemenge aus dem Tagebau Nochten um etwa 40 Prozent sinken. Der derzeitige Aufschluss würde für die verbleibenden moderneren Blöcke Q und R auf jeden Fall reichen. So würden die bedrohten Lausitzer Dörfer gerettet. Dieses Szenario haben wir im Rahmen eines Einstieges in den Kohleausstieg in der Vergangenheit wiederholt gefordert.”

Zum Vergleich: Die beiden alten Kraftwerksblöcke erreichen einen Wirkungsgrad von 36 Prozent, die beiden jüngeren schaffen immerhin 42 Prozent. Das Kraftwerk Lippendorf im Leipziger Südraum kommt auf 42,55 %. Es liegt also auf der Hand, dass die beiden ältesten Blöcke in Boxberg jetzt so langsam vom Netz müssen. Sie sind selbst für die Maßstäbe der Kohleverstromung längst veraltet.

“Der Energiestandort Nochten/Boxberg mit den dazugehörigen Arbeitsplätzen würde nicht ‘abgeschaltet’, sondern seine moderneren Teile würden bis zu seiner späteren Beendigung geregelt weitergeführt”, beschreibt Lippold das eigentlich seit Jahren vorgezeichnete Szenario. Doch auch Sachsens Regierung tut immer wieder so, als müssten alle Kohlekraftwerke mit einem Schlag vom Netz – und heizt damit natürlich die Ängste der Belegschaften und der Stromkunden an. Ein sinnvolles Übergangsszenario, in dem die Reihenfolge der Abschaltung vorgezeichnet ist, fehlt einfach. Wenn man erst einmal zwei Kraftwerksblöcke vom Netz nimmt, werden sogar Kapazitäten im Stromnetz frei, die bisher blockiert sind. Lippold: “Die in dieser Woche eingeweihte neue 380-kV-Stromtrasse von Bärwalde nach Schmölln könnte so eine ganz andere Aufgabe bekommen: Neue Windkraftstandorte in der Energieregion Lausitz könnten damit an das nationale Energienetz angeschlossen werden.”

Kurzfassung der DIW-Studie
www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.489768.de/14-47-1.pdf

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