Am Donnerstag, 19. Februar, legte die IHK zu Leipzig nicht nur die aktuellen Konjunkturzahlen für Leipzig vor. Sie nutzte auch die Gelegenheit, um wieder wichtige "Wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen" zu formulieren. Dass der Wirtschaftsverkehr darin auftaucht, war zu erwarten. Aber eigentlich brennt ein anderes Problem schon viel heftiger: Es fehlt an Fachkräftenachwuchs.

Natürlich hat das auch mit der letzten Forderung zu tun, die die IHK so formuliert hat: “Stabilität des Europäischen Währungsraums sicherstellen! – Auch für die regionale Wirtschaft gewinnt der Export in die Eurozone immer mehr an Bedeutung. Die erfolgreichen fiskalischen Reformansätze in Südeuropa müssen im Interesse der Stabilität der Gemeinschaftswährung – flankiert durch die europäischen Institutionen – fortgesetzt werden.”

Nur dass diese fiskalischen Reformansätze gar nicht existieren. Seit nunmehr sieben Jahren ist die EU mit nichts anderem beschäftigt, als die Finanzkrise, die zur Staatsschuldenkrise geworden ist, irgendwie einzudämmen. Dafür wurden Milliarden-“Rettungspakete” geschnürt, die aber nichts anderes gerettet haben als Banken, die heute noch genauso weiterzocken, wie sie es vor Ausbruch der Finanzkrise getan haben. Reformen – etwa zur Trennung der Geschäftsfelder, zur Senkung der Banker-Boni, zur Haftbarmachung für undurchschaubare Finanzprodukte, zur Begrenzung der ungedeckten Wetten an den Börsen – nichts davon ist passiert. Die Staaten Südeuropas, die unter den Schulden in die Knie gegangen sind, wurden vor allem durch rigide Sparprogramme im eigenen Land gerettet – durch tiefe Griffe in die Rentenkassen, das Kappen von staatlichen Investitionen, die Entlassung Tausender Staatsangestellter usw. Die Politik der Troika hat diese Länder als mögliche Absatzmärkte für deutsche Unternehmen fast völlig verschwinden lassen. Dafür sind dort Millionen junger Menschen arbeitslos – die sozialen Brandherde wachsen gerade. Konsumenten, die eventuell deutsche Waren kaufen, werden das nicht mehr.

Der Appell, den die IHK hier formuliert hat, ist nicht wirklich durchdacht. Er lebt von dem festen Glauben daran, dass die Troika ja doch wohl im Sinn der europäischen Wirtschaft agieren würde, wenn sie schon nicht im Sinn der Solidarität agiert. Aber auch das tut sie nicht. Denn die einzige Branche, für die sie Feuerwehr spielt, ist die bis dato unreformierbare Bankenwelt. Die Krise wurde nicht ansatzweise entschärft. Und auch deutsche Unternehmen haben für die falsche Rettungspolitik mit Umsatzeinbußen im Südraum bezahlt. In Milliardengröße.

Ein anderes Problem wird immer größer

Und das ist weder der Mindestlohn (der in den Forderungen auch vorkommt) und auch nicht der Wirtschaftsverkehr, sondern der Fachkräftemangel.

In der sächsischen Wirtschaft hat man nämlich mittlerweile begriffen, dass Demografie kein Schönwetterthema ist und auch Appelle an die Landesregierung nichts nützen, die Bildungspolitik endlich auf ein festes Fundament zu stellen und nicht jedes Jahr 10 Prozent Schulabgänger zu produzieren, die niemand ausbilden kann.

Eine Hoffnung der Wirtschaftskammern richtet sich schon seit Jahren auf mehr qualifizierte Zuwanderung. Ein Thema, bei dem der sächsische Innenminister lieber so tut, als müsse er rings um Sachsen erst einmal hohe Mauern bauen.

Aber wenn Unternehmen aus Sachsen nicht abwandern sollen, weil hier schlicht die Fachkräfte fehlen, dann müssen die Fachkräfte nach Sachsen kommen. Und so lautet die dritte Forderung im Forderungskatalog: “Zuwanderungsregelungen vereinfachen, Willkommenskultur fördern!”

Die Zahlen hat die Kammer parat: “Bis 2020 werden nach Schätzungen des IHK-Fachkräftemonitors Sachsen in der Region Leipzig bis zu 11.000 Fachkräfte fehlen, zunehmend auch im kaufmännischen Bereich. Allein aus dem inländischen Arbeitskräftepotential lässt sich jener Fachkräftebedarf nicht mehr decken. Deshalb bedarf es einer gesteuerten Zuwanderung gut ausgebildeter ausländischer Fachkräfte.” Aber nicht nur dass. Denn Menschen, die in Sachsen Asyl suchen, sind in der Regel jung, oft gut ausgebildet – und wenn nicht, in der Regel bereit, sich auf den Hosenboden zu setzen, um in Deutschland wirklich auch mit ihrer Hände Arbeit eine Existenz aufzubauen. Gegen das, was eigentlich passieren müsste, wirkt die Abschiebepolitik von Innenminister Markus Ulbig (CDU) geradezu mittelalterlich. Nicht nur aus Leipzig werden junge Menschen, die in Sachsens Wirtschaft dringend gebraucht werden, einfach mit martialischem Aufwand abgeschoben. Die Forderung der IHK ist eine andere: “Begleitend muss die Politik für eine gelebte Willkommenskultur in allen Teilen der Gesellschaft werben.”

Aber auch da sprach ja Abschiebeminister Markus Ulbig lieber mit den Pegida-Organisatoren in Dresden, als mit den Asylbewerbern in den mittlerweile überfüllten Aufnahmeeinrichtungen unter seiner Regie.

Der komplette Forderungskatalog der IHK zu Leipzig

Wirtschaftsverkehr in der Stadt Leipzig nicht ausbremsen!

Mit der vom Leipziger Stadtrat zu verabschiedenden Fortschreibung des Stadtentwicklungsplans Verkehr (STEP) soll der Anteil des „Umweltverbundes“ an den Wegen der Leipziger in der Stadt im Personenverkehr bis 2025 auf mindestens 75% steigen. Der motorisierte Individualverkehr soll auf 25% gedrückt werden. Gleichwertige Mobilitätschancen sind jedoch zu sichern und die freie Verkehrsmittelwahl ist zu gewährleisten. Die im STEP anvisierten Verkehrsträgeranteile (Modal Split) müssen deshalb aus den vom Stadtrat zu verabschiedenden Planungsgrundsätzen gestrichen werden. Bei der Umsetzung sind stattdessen solche Anreize nötig, die den freiwilligen Verkehrsmittelumstieg fördern und die die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft nicht einschränken.

Mindestlohn entbürokratisieren, Flexibilität des Arbeitsmarkes erhalten!

Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn belastet seit 1. Januar 2015 die Kostensituation vieler Unternehmen erheblich. Vor allem die Gastronomie, das Taxigewerbe und kleine Einzelhändler sind verunsichert, ob höhere Preise am Markt durchgesetzt werden können. Durch die Dokumentationspflichten zur Arbeitszeit werden den Unternehmen in einigen Branchen sowie im Bereich der geringfügig Beschäftigten zusätzliche bürokratische Lasten auferlegt. Dies hemmt die Beschäftigungschancen vor allem für gering Qualifizierte und erstickt die Anreize für Mini-Jobs beinahe komplett. Die Nachweispflichten müssen deshalb deutlich vereinfacht werden, etwa durch Absenkung der Verdienstgrenze auf ein vertretbares Maß. Weitere regulatorische Einschränkungen im Bereich von Zeitarbeit und Werkverträgen müssen unterbleiben.

Zuwanderungsregelungen vereinfachen, Willkommenskultur fördern!

Bis 2020 werden nach Schätzungen des IHK-Fachkräftemonitors Sachsen in der Region Leipzig bis zu 11.000 Fachkräfte fehlen, zunehmend auch im kaufmännischen Bereich. Allein aus dem inländischen Arbeitskräftepotential lässt sich jener Fachkräftebedarf nicht mehr decken. Deshalb bedarf es einer gesteuerten Zuwanderung gut ausgebildeter ausländischer Fachkräfte. Mit der Blauen Karte EU („Blue Card“) wurden die Hürden für die Beschäftigung von Drittstaatlern 2012 zwar gesenkt. Die notwendigen Mindestgehälter sind aber für die regionale Wirtschaft immer noch zu hoch und steigen durch deren Kopplung an die Beitragsbemessungsgrenze der Gesetzlichen Rentenversicherung West jährlich weiter an (für 2015: 48.400 Euro bzw. 37.752 Euro in Mangelberufen). Begleitend muss die Politik für eine gelebte Willkommenskultur in allen Teilen der Gesellschaft werben.

Erbschaftssteuer rasch mittelstandsfreundlich nachbessern!

Das Bundesverfassungsgericht hat Teile des Erbschaftssteuerrechts für die Übertragung von Betriebsvermögen für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber zur Nachbesserung aufgefordert. Erfreulich ist, dass zumindest für kleine und mittlere Unternehmen eine vollständige Steuerbefreiung ohne weitere Voraussetzungen zulässig bleibt. Da das Bundesverfassungsgericht keine verbindlichen Vorgaben zur Abgrenzung der Unternehmensgrößenklassen getroffen hat, ist die Politik gehalten, hier praktikable Grenzen zu entwickeln, die der Struktur des deutschen Mittelstandes und der Familienunternehmen gerecht werden. Die zukünftig fast ausnahmslos notwendige Lohnsummenüberwachung muss bürokratiearm umgesetzt werden. Da zunehmend Betriebsübergaben anstehen, ist eine schnelle Rechtssicherheit unbedingt notwendig.

Stabilität des Europäischen Währungsraums sicherstellen!

Auch für die regionale Wirtschaft gewinnt der Export in die Eurozone immer mehr an Bedeutung. Die erfolgreichen fiskalischen Reformansätze in Südeuropa müssen im Interesse der Stabilität der Gemeinschaftswährung – flankiert durch die europäischen Institutionen – fortgesetzt werden.

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