Wie gestaltet man eigentlich eine Energiewende unter föderalen Strukturen? Die einen geben Gas, die anderen bremsen, die dritten mauern. Selbst Bundesenergieminister Sigmar Gabriel (SPD) tanzt im Kreis, weil der Netzausbau nicht vorankommt und die Bayern nun auf einmal die wichtigste neue Stromtrasse gar nicht haben wollen. Und dabei steigt die Produktion von Öko-Strom unaufhaltsam. Sachsen ist auch Öko-Strom-Exporteur.

Auf die Idee kommt man zwar nicht, wenn man von den immer neuen Tänzen der sächsischen Politik um die geliebte Braunkohle liest. Aber es ist tatsächlich so. Es sind die Bürger und die privaten Investoren, die den Ausbau der alternativen Energielandschaft vorantreiben. Und 2014 gab es einen wichtigen Positionswechsel – erstmals waren die Erneuerbaren der Energieträger Nr. 1 bei der deutschen Stromerzeugung. Das fand auch der Energieriese Vattenfall erwähnenswert. Auch wenn man in seiner Meldung vom 9. Februar eigentlich eher die Rolle der eigenen Kohlekraftwerke betonen wollte (die man eigentlich gern verkaufen will): “Neben den erneuerbaren Energien, die 2014 mit einem Anteil von fast 26 Prozent die Spitzenposition in der deutschen Energieerzeugung übernommen haben, hat die Braunkohle im vergangenen Jahr mit 25 Prozent einen gleichbleibend hohen Beitrag zur sicheren Versorgung von Industrie, Gewerbe und Haushalten mit Strom und Wärme geleistet.”

Nicht nur bei Vattenfall versucht man, die Kohlemeiler als wichtige Begleittechnologie beim Umbau der Energieerzeugung anzupreisen. Als Betreiber großer Kraftwerksblöcke steckt man in der Klemme. Denn der Ausbau der Erneuerbaren macht den Betrieb der alten Kolosse immer unrentabler.

Am Mittwoch, 18. Februar, legte Vattenfall ein eigenes Kritik-Papier zum vom Energieminister vorgelegten “Grünbuch Strommarktdesign” vor. Denn einige Fragen tun sich da auch für die Kraftwerksbetreiber auf: Wie etwa denkt sich die Regierung die Kostenerstattung für die Vorhaltung von Kraftwerkskapazitäten, die bei Ausfall von Sonne und Wind hochgefahren werden? – In der Formulierung des schwedischen Stromkonzerns: “Das Grünbuch enthält einige Modelle zur Vorhaltung ausreichender Kraftwerkskapazitäten in Deutschland. Was allerdings fehlt, sind die anfallenden Kosten. Angesichts einer schon heutigen staatlich bedingten Strompreisbelastung durch mehr als 50 Prozent Steuern und Abgaben, sollten auch die Zusatzkosten bei der Modellwahl genau abgewogen werden.”

Eigentlich hätte das in der von SPD und Grünen vor über zehn Jahren abgeschobenen Energiewende gar kein Thema für Kohlekraftwerke sein sollen. Die Rolle als Kraftwerkreserve sollten eigentlich umweltfreundlichere Gaskraftwerke übernehmen.

Aber nicht nur bei Vattenfall hat man mitbekommen, dass die Energiewende eher zu einem Zickzacklauf der verschreckten Kaninchen geworden ist. Die Preise für CO2-Zertifikate sind im Keller, was Kohlestrom enorm verbilligt.

Aber daran möge bitte niemand rühren, verwahrt sich Vattenfall: “Die Wahl eines bestimmten Marktmodells für die Strom- und Wärmeerzeugung soll dem Erhalt bestehender Kapazitäten bzw. Anreize setzen, um in neue Anlagen zu investieren. Demgegenüber werden CO2-Emissionen erfolgreich und kosteneffizient mittels des europäischen Emissionshandels gesenkt. Versorgungssicherheit und CO2-Minderungsziele sind strikt auseinander zu halten, will man unnötige finanzielle Mehrbelastungen für Verbraucher und Industrie vermeiden”, appelliert der Konzern an die Regierung.

Deutlicher kann man gar nicht ausdrücken, dass die Politik in den letzten Jahren vor allem den Kohlekraftwerksbetreibern zugute gekommen ist. Aber die kommen zusehends unter Druck, weil die Erzeugerkapazität der erneuerbaren Energien immer weiter wächst. Wenn Sonne und Wind ihre Arbeit tun, badet der deutsche Osten geradezu in Strom. Ein Thema auch für die Mitnetz Strom. Dazu kommen wir gleich. Denn wenn es um die Nutzung der Netze geht, überschneiden sich die Interessen: “Für das Gelingen der Energiewende führt an einem zeitnahen Netzausbau kein Weg vorbei. Neben dem Übertragungsnetz muss auch das Verteilnetz in den kommenden Jahren um- und ausgebaut werden, denn der größte Teil der regenerativen Stromerzeugung wird direkt hier eingespeist. Hierzu sind erhebliche Investitionen erforderlich, für die es im gegenwärtigen regulierten System keinen Anreiz gibt”, heißt es im Kritikpunkt Nr. 6 von Vattenfall.

Strom im Überfluss

Hier ist man um Jahre im Verzug. Mittlerweile wird selbst im Netz der EnviaM-Tochter Mitnetz Strom mehr alternativer Strom erzeugt, als in der Region (der größte Teil von Sachsen und Teile von Thüringen und Sachsen-Anhalt) verbraucht werden kann. Und 2014 gab es, so teilt Mitnetz mit, wieder einen neuen Rekord.

“Wir sind einer der Verteilnetzbetreiber mit der höchsten Einspeiseleistung aus erneuerbaren Energien in Deutschland. In Ostdeutschland wird schon jetzt deutlich mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als verbraucht. 2014 lag die installierte Leistung in unserem Netzgebiet mehr als doppelt so hoch wie der Bedarf“, erklärt dazu Dr. Adolf Schweer, technischer Geschäftsführer der Mitnetz Strom.

Demnach stieg die Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien im Jahr 2014 um rund 6 Prozent auf 10,4 Milliarden Kilowattstunden (2013: 9,8 Milliarden Kilowattstunden). Dies entspricht dem Stromverbrauch von mehr als 4 Millionen Haushalten in Ostdeutschland pro Jahr. Haushalten, wohlgemerkt, nicht Einwohnern. Wenn man dann noch bedenkt, dass allein Vattenfall mit seinen Kraftwerken in der Lausitz noch einmal Strom für 17 Millionen Haushalte produziert hat, dann ahnt man, welcher Stromüberschuss in Spitzenzeiten tatsächlich in den Netzen ist, zum großen Teil exportiert werden muss und gleichzeitig die Börsenpreise in den Keller drückt. Was dann übrigens dafür sorgt, dass die EEG-Umlage nicht mehr über den Strompreis an der Börse finanziert werden kann und damit auf die Stromkosten der Endabnehmer umgelegt wird. Die etwas irrationale Folge: Die riesige Menge verfügbaren Stroms sorgt dafür, dass der Strompreis in den letzten Jahren gestiegen ist.

Mittlerweile sorgt auf der anderen Seite der gesunkene Börsenpreis jetzt für eine kleine Strompreisentspannung.

Das eigentliche Problem ist nicht gelöst

Wohin mit den gewaltigen Strommengen, die im Osten produziert werden? Nicht nur beim Netzausbau klemmt es ja, sondern auch beim Bau von Speicherkapazitäten.

Die Anlagen, die Strom produzieren, vermehren sich ja emsig.

2014 allein nahm die Zahl der Anlagen für alternative Stromerzeugung im Verteilgebiet der Mitnetz Strom um rund 6 Prozent auf 36.636 (2013: 34.559) zu. Die installierte Leistung erhöhte sich um rund 5,9 Prozent auf 7.144 Megawatt (2013: 6.749 Megawatt) und hat sich seit 2009 nahezu verdoppelt.

Für die Mitnetz schon ein kleines Achtungszeichen. Denn die Netzhöchstlast im Netzgebiet liegt bei 3.438 Megawatt.

Die erneuerbare Energiequelle mit dem höchsten Anteil an installierter Leistung im Netzgebiet der Mitnetz Strom ist unverändert die Windenergie, gefolgt von Solarenergie, Biomasse, Wasserkraft und Deponiegas. Obwohl die damalige CDU/FDP-Regierung in Sachsen mit allen Mitteln bremste, stieg allein die Zahl der Windanlagen im Gebiet von 2.535 auf 2.611.

Der größte Teil des alternativ erzeugten Stroms verblieb im Land. Der Anteil am Endverbraucherabsatz stieg auf rund 72 Prozent in 2014 (2013: 65 Prozent). Dies liegt weit über dem Bundesdurchschnitt, betont Mitnetz. Was in der Gegenrechnung aber auch bedeutet, dass es vor allem der Kohlestrom ist, der im Land nicht gebraucht und deshalb grenzüberschreitend für stetig fallende Margen gehandelt wird. Zum Nachteil der Verbraucher.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die sächsische Regierung darüber nachdenken muss, die ersten Kohlemeiler abzuschalten, damit sich die verbleibenden überhaupt noch rechnen.

Probleme im Netz bereiten die überschüssigen Strommengen schon lange: Übersteigt die Einspeiseleistung den Verbrauch deutlich, kann das zu Netzüberlastungen führen. Zudem unterliegt die wetterabhängige Erzeugung der erneuerbaren Energien aus Wind- und Photovoltaikanlagen starken Schwankungen und ist nicht konstant verfügbar.

„Dies stellt uns vor besondere Herausforderungen. Wir haben immer mehr Eingriffe in das Stromnetz, um die Netzstabilität und damit auch die Versorgungssicherheit jederzeit gewährleisten zu können“, so Dr. Schweer weiter. Demzufolge musste der enviaM-Netzbetreiber im letzten Jahr 274 Mal in das Netz eingreifen. Dies entspricht einer Steigerung von 71 Prozent gegenüber dem Vorjahr, da war das nur 160 Mal nötig. Dass das in den nächsten Jahren noch zunehmen wird, ist sicher.

Die an die Anlagenbetreiber im Mitnetz-Gebiet gezahlte Einspeisevergütung stieg 2014 übrigens ebenfalls um rund 4,8 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro (2013: 1,24 Milliarden Euro).

Die Mitteilung von Mitnetz Strom mit den Zahlen zu den Anlagen und der installierten Strommenge als pdf zum Download.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Und es dreht sich doch etwas.
In Thüringen gibt es einen Linken Ministerpräsidenten, im Landkreis Nordsachsen gibt es ein Zusammengehen von Links, Rot und Grün und in ganz Mitteldeutschland genug klugen Strom um Vattenfall und Freunde zu verabschieden.
Gut und weiter so.

Schreiben Sie einen Kommentar