Wer ist eigentlich für die Organisation des Strukturwandels in der Lausitz zuständig? Die Bundesregierung, meinen jetzt die ostdeutschen Bundestagsabgeordneten der SPD. Sie fordern zwar nicht den kompletten Verzicht von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) auf die von ihm geplante Sonderabgabe für alte Kohlemeiler. Aber eine Art Ost-Bonus fordern sie schon - damit der Strukturwandel nicht gar so heftig ausfällt.

Die Vorsitzende der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten, die Leipzigerin Daniela Kolbe, warnt vor unkalkulierbaren Folgen für ganze Regionen, sollten die Pläne aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) zur Sonderabgabe für ältere Kraftwerke in der jetzigen Form Realität werden. Hierzu hat die SPD-Landesgruppe Ost mit großer Mehrheit eine entsprechende Resolution verabschiedet.

Dabei sehen die ostdeutschen Genossen durchaus, dass es ohne Strukturwandel nicht geht, wenn Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele bis 2020 erreichen will. Das wird sogar ohne das Abschalten alter Kohlemeiler nicht funktionieren.

“Die ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten stehen zum Klimaziel der Bundesregierung, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 % gegenüber 1990 zu verringern”, betont Daniela Kolbe. “Der Weg dorthin muss jedoch noch einmal neu justiert werden.”

Denn wenn es um das Abschalten von Kohlekraftwerken geht, betrifft das in der Bundesrepublik nun einmal nur drei Regionen: Nordrhein-Westfalen, die Lausitz und den Leipziger Raum. Und in der Lausitz wird das Thema besonders heftig diskutiert, weil es da neben der rund um die Braunkohle angesiedelten Wirtschaft nicht allzu viel gibt. Was auch dafür sorgt, dass jedes Hüsteln aus dem dort agierenden Energiekonzern Vattenfall für regelrechte Erdbeben in der regionalen Politik sorgt. Es hängen Arbeitsplätze und Steuereinnahmen dran und entscheidende Politiker in Brandenburg und Sachsen haben bis heute die Hoffnung, sie könnten die Kohlewirtschaft in der Lausitz bis 2045 als stabilisierendes Wirtschaftselement erhalten und den fälligen Strukturwandel noch um ein paar Jahrzehnte verzögern.

Denn auf einen schnellen Strukturumbruch in den nächsten 5 bis 15 Jahren ist man nicht vorbereitet. Viel zu lange hat die regionale Politik sich auf das (direkt aus der Marketingabteilung der Großkonzerne stammende) Argument versteift, Kohlekraftwerke wären nach dem Abschalten der deutschen Atomkraftwerke ab 2021 die eigentliche Übergangstechnologie der Energiewende. Eine Rolle, die im ursprünglich von SPD und Grünen konzipierten Projekt “Energiewende” die deutlich umweltfreundlicheren Gaskraftwerke ausfüllen sollten. Doch die sind – auch bedingt durch die weiterhin hohen Subventionen für Kohle – unrentabel geworden, auch weil mittlerweile viel mehr Kohlekraftwerke ins Netz einspeisen, als überhaupt noch gebraucht werden.

Eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie des Strombörsenspezialisten Energy Brainpool belegt nun, dass Deutschland problemlos 36 Kohlemeiler vom Netz nehmen könnte und trotzdem noch genug Strom zur Verfügung hätte, um seinen Bedarf zu decken. Der Brainpool-Vorschlag will einen Teil der Kraftwerksblöcke trotzdem noch als “strategische Reserve” vorhalten, was natürlich Extra-Kosten von 0,6 Cent je Megawattstunde erzeugen würde. Aber das ist schon ein Maximal-Szenario, das auch deutlich über den Vorschlag von Sigmar Gabriel hinausgehen würde.

Denn was Brainpool auch diskutiert, ist die schlichte Tatsache, dass sich beim Abschalten älterer Kraftwerksblöcke mit niedriger Effizienz die Auslastung der verbleibenden Kraftwerksblöcke wieder erhöhen würde. Dass freilich von Gabriels Plan auch ältere Blöcke in Jänschwalde und Boxberg betroffen wären, liegt auf der Hand.

Und deshalb haben sich auch die SPD-Bundestagsabgeordneten die Argumentation der Landesregierungen in Brandenburg und Sachsen zu eigen gemacht, den Gabriel-Vorstoß möglichst auszubremsen, um dem Energiekonzern Vattenfall den Verkauf seiner Lausitzer Kraftwerke nicht zu erschweren. Denn seit 2014 sucht Vattenfall nach einem Käufer, hat aber augenscheinlich noch keinen gefunden.

Der Gabriel-Vorschlag hat die Verkaufspläne augenscheinlich noch einmal verzögert. So erklärte Catrin Jung-Draschil aus der Vattenfall-Strategieabteilung am 6. Mai: “Natürlich ist Vattenfall hier in vorderster Reihe betroffen. Wir haben klare Entscheidungen getroffen.“ So laufe der Verkauf der Braunkohleaktivitäten weiter, wird sie zitiert, und bis zum Jahresende wolle Vattenfalls Vorstand Magnus Hall dem Eigentümer einen Vorschlag unterbreiten. Dazu müsse aber die deutsche Regierung bis zum Sommer Klarheit in puncto Kohleabgabe schaffen. Unter unsicheren Rahmenbedingungen könne ein möglicher Käufer keine Entscheidung treffen.

Tatsächlich ist Vattenfall längst dabei, seine Technologiebasis in Deutschland deutlich zu verändern – raus aus der Kohle, rein in Windparks und KWK-Anlagen.

Es geht also eigentlich nur um das Tempo des Strukturwandels und die mögliche (finanzielle) Unterstützung des Bundes, um die wirtschaftlichen Folgen insbesondere für die Lausitz abzufedern.

Um das zu erreichen, wählen freilich die ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten für ihre Positionierung wieder satte Farben. Daniela Kolbe: “In den Braunkohlerevieren in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, aber auch in NRW droht durch die Sonderabgabe ein weiterer Strukturabbruch. Allein in der Lausitz ist die Zahl der Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft durch die Umwälzungen seit der Wiedervereinigung von 100.000 auf gerade einmal 20.000 zurückgegangen. Ferner rechnen wir mit weiteren Beeinträchtigungen nicht nur für die ostdeutsche Energiewirtschaft, sondern auch Unternehmen in deren Umfeld. Viele energieintensive Unternehmen oder die Fernwärmeversorgung mancher Stadt kämen dadurch ebenfalls in Bedrängnis.”

Den Sinn der Resolution fasst sie so zusammen: “Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, die aktuellen Pläne zu überdenken und den Strukturwandel mit einer zwischen Bund und betroffenen Ländern abgestimmten Strukturpolitik langfristig zu begleiten.“

In der Resolution bündelt sich das in der Forderung: “Wir fordern die Bundesregierung und die Länder auf, den laufenden Strukturwandel in den betroffenen Regionen mit einer aktiven und abgestimmten Strukturpolitik langfristig zu begleiten.”

Die Resolution der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten.

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