Sachsens Statistikern geht es nicht anders als Sachsens Politikern: Wenn sie an Wirtschaft denken, sehen sie vor allem die Industrie. Und den Rest vom Schützenfest nehmen sie nicht wirklich ernst. So auch in dieser Woche wieder geschehen, als die Landesstatistiker die aktuellen Zahlen zum BIP 2014 herausgaben.

Das BIP – das Brutto-Inlands-Produkt – das ist der ganze Bembel an Waren und Dienstleistungen, der im vergangenen Jahr in Sachsen produziert und geliefert wurde. Das waren nicht nur Autos und Maschinen, auch nicht nur neue Straßen und Einfamilienhäuser, sondern auch all die Dinge, die einen Staat am Laufen halten: bezahlte Lehrer, Gerichte, Polizisten, Pflegekräfte, Ärzte, Fensterputzer, Müllarbeiter, Dozenten, Finanzbeamte, Zollbeamte, Straßenmeister, Theatermacher usw.

Erst die Summe macht den Staat. Erst alles zusammen macht das BIP. Und das wächst in Sachsen. Seit 2010. Das war das Jahr nach dem Tiefschlag der Finanzkrise, die in ganz Deutschland die Wirtschaft abwürgte und den Freistaat völlig auf dem falschen Fuß erwischte. Denn vorher war das Ländchen im deutschen Osten gerade dabei gewesen, sich wirtschaftlich zu stabilisieren. Glück für Deutschland und Sachsen: Die Krisenauswirkungen linderten sich schon 2010. Der Freistaat erreichte wieder das Produktionsniveau des Jahres 2008. Und seitdem geht es sanft bergauf. Nicht rekordverdächtig. Das Tempo in Deutschland geben eindeutig die Südstaaten an – Bayern und Baden-Württemberg, wo sich der Großteil der modernen Industrieniederlassungen befindet.

Aber Sachsen liegt – dem Fleiß der Sachsen sei Dank – in der Gruppe dahinter, die man nicht unbedingt Verfolgergruppe nennen kann, denn dann müsste das Tempo ja höher sein als im Süden. Aber mit einem BIP-Zuwachs von 6,53 Prozent seit 2010 liegt Sachsen auf einer Höhe mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein, knapp vor Berlin und Thüringen.

Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Sachsen stieg 2014 um 1,9 Prozent, teilen nun die Landesstatistiker mit. Damit erreichte der Freistaat ein (leicht) überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum, denn  für Deutschland war real ein Zuwachs um 1,6 Prozent zu verzeichnen.

“In den alten Ländern (ohne Berlin) entsprach das reale Wachstum 2014 dem gesamtdeutschen Ergebnis, in den fünf neuen Ländern betrug der Anstieg 1,4 Prozent”, melden die Statistiker. Was eigentlich Unfug ist. Denn wenn man Berlin im Westen nicht mitrechnet (was ja logisch ist), dann muss man die Stadt im Osten mitrechnen, wo sie genauso wie Leipzig und Dresden als Metropole funktioniert. 2,2 Prozent Wachstum hat Berlin hingelegt 2014, Sachsen immerhin 1,9. Damit schaffen auch die ostdeutschen Länder den Schnitt von 1,6 Prozent.

Dass die deutschen Statistiker noch immer zwischen “alten” und “neuen” Bundesländern unterscheiden, ist nicht nur peinlich, es zeigt auch, welche Scheuklappen selbst in der Statistik immer noch üblich sind, wenn man auf Deutschland schaut. Dass es dieselben Scheuklappen auch in der Bundespolitik gibt, ist ja unübersehbar. Aber spätestens wenn es um grundlegende ökonomische Parameter geht, wird zumindest den Einäugigen unter den üblichen Blinden klar, dass der Osten ein zwar von Ländergrenzen durchzogenes Terrain ist, wirtschaftlich aber ein (irgendwie) funktionierendes Netzwerk mit zwei mehr oder weniger klaren wirtschaftlichen Kernen. Und einer davon ist Berlin.

Der andere könnte in noch viel stärkerem Maße “Mitteldeutschland” sein. Aber da ist man ja schon gleich bei der herrschenden politischen Ignoranz: Lieber bewahrt man seine kleinen Königreiche, als die Werkstatt mal wirklich auf Hochtouren zu bringen.

Und die Scheuklappensicht setzt sich dann leider auch beim Blick auf die wirtschaftlichen Teilbereiche fort.

“Das  preisbereinigte Ergebnis in Sachsen wurde 2014 maßgeblich durch  4,5 Prozent Zuwachs der  Bruttowertschöpfung (BWS) im  Produzierenden Gewerbe bestimmt”, meinen die sächsischen Statistiker aus Kamenz. “Innerhalb dieses Bereiches übertraf das reale Wachstum des Baugewerbes in Höhe von 6,7 Prozent noch die Entwicklung im Verarbeitenden Gewerbe mit einem Zuwachs von 5,9 Prozent.”

Der Zuwachs bei den umgesetzten Summen im Bau ist schon beachtlich. Seit 2010 stieg er kontinuierlich an von 5,8 Milliarden Euro auf 6,5 Milliarden. 2014 gab es einen echten Sprung von 6,5 auf 7,2 Milliarden. Natürlich analysiert diese BIP-Statistik nicht, wo all diese Baustellen sind – aber der Boom in den Großstädten spielt da nicht nur eine einfache, sondern eine doppelte Rolle. Denn er hat auch dafür gesorgt, die Kapazitäten voll auszureizen. Im Ergebnis stiegen die Baupreise deutlich an. Das heißt: Hinter den 7,2 Milliarden steckt auch ein heftiger Preisauftrieb.

Das vergessen Statistiker gern, auch wenn sie versuchen, die Inflation aus dem BIP herauszurechnen. Aber das gelingt nur bedingt. Aber nicht nur höhere Preise stecken im BIP, auch höhere Löhne, die ja bekanntlich auch auf den Produktpreis umgeschlagen werden. Mehr BIP bedeutet also nicht unbedingt immer mehr Arbeit, mehr Produktion oder gar ausgeweitete Geschäftstätigkeit.

Die Industrie selbst hat seit 2010 durchaus ein ordentliches Stück Zuwachs hingelegt, wenn man bedenkt, dass praktisch der komplette europäische Süden als Absatzmarkt weggefallen ist. Von 20,4 Milliarden Euro stieg hier der Bruttowertumsatz auf 23,8 Milliarden.

Aber auch sachsenweit gilt: Die Hauptbasis von BIP und wachsender Beschäftigung ist die Dienstleistung. Der Sektor wächst etwas langsamer, steuert aber schon seit Jahren fast zwei Drittel zum Gesamt-BIP bei. Und er hat seine Abnehmer konsequenterweise im Inland. Von 58,5 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung im Jahr 2010 wuchs dieser Wirtschaftsbereich binnen fünf Jahren auf 65,8 Milliarden Euro. Hier stecken Handel und Gastronomie genauso drin wie Logistik, Informationstechnologie, Erziehung, Gesundheit, Kultur und Haushaltsdienste.

Alle diese Bereiche “wachsen” so langsam vor sich hin und tragen damit nicht nur zum BIP-Wachstum bei, sondern auch zum Steueraufkommen. 2014 erwirtschafteten die Sachsen allein 10,9 Milliarden Euro an Gütersteuern, zu denen auch die Umsatzsteuer gehört (Vorjahr: knapp 10,6 Milliarden).

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