Vielleicht spricht es sich ja irgendwann einmal herum in den jeweiligen Landeshauptstädten, dass sich die Welt in Mitteldeutschland verändert hat. Und immer weiter verändert. Und dass das etwas mit Strukturen zu tun hat - lebensfähigen Strukturen und solchen, die auch mit Wiederbelebungsmaßnahmen nicht funktionieren. Selbst die sächsische Bevölkerungsentwicklung zeigt, dass es ohne Netz-Denken nicht geht.

Man könnte auch Metropolregion sagen. Wenn es so etwas schon gäbe in Mitteldeutschland. Dann könnte man damit nämlich arbeiten und Kräfte bündeln. Derzeit läuft das aber noch alles sehr chaotisch ab. Es sind einfach die jungen Menschen im Land, die umziehen, wenn es so weit ist, die nach der Schule ihre Sachen packen und in die drei großen Städte ziehen. Ein Zug, der 2014 völlig ungebremst weiter ging. Sämtliche Bevölkerungsprognosen in Dresden und Leipzig sind Makulatur. Geburtenrate und Abi-Quoten reichen nicht mehr, um die Wanderbewegung zu beschreiben.

Noch liegen die Jahresendwerte für Dezember nicht vor. Aber die für November hat das Statistische Landesamt nun ausgepackt. Und sie zeigen, wie heftig in jedem Herbst der Schluckauf ist, wenn die jungen Leute aus den Landkreisen zu Ausbildung, Studium oder Berufseinstieg in die Großstädte wechseln. Leipzig hat selbst in der offiziellen sächsischen Landesstatistik locker die 540.000er-Marke übersprungen, landete zum 30. November bei 543.244 Einwohnern. Das waren schon im November 11.682 mehr als zum Jahresende 2013, als Leipzig mit 531.562 in der Liste stand.

Dresden wächst nicht ganz so schnell, wuchs von 530.754 auf 536.107. Das hat auch mit dem Einzugsbereich zu tun oder eben – siehe oben – der Rolle als “Metropole”. Da kann man sich dann trefflich streiten, ob nun Leipzig eine Metropole ist, ob es jemals eine wird. Oder ob das überhaupt notwendig ist. Selbst wenn es das gefühlsmäßig nicht ist, nimmt Leipzig dennoch die Rolle des stärksten Netzknotens innerhalb der Wirtschaftsregion Mitteldeutschland ein. Um etwas anderes geht es schon lange nicht mehr, auch wenn die Landesregierungen in Dresden, Magdeburg und Erfurt all die Jahre gebremst haben, was das Zeug hält. Sehr zum Schaden anderer Knotenpunkte in einem dicht gewobenen Netz – Jena etwa oder Halle.

Doch solche Netzregionen funktionieren nicht nach dem Muster Residenzstadt/Provinz. Mit all den Faktoren, die Wirtschaft ausmachen (von der so gern diskutierten Hochkultur über die Hochschulen und Forschungseinrichtungen bis hin zu Flughäfen, Autobahn- und Gleisverbindungen) entwickeln solche Netzwerke ihr ganz eigenes Leben und beginnen Strukturen auszubilden (oder zu verstärken), die dem eigenen Gedeihen wichtig sind. An zentrale Produktionsstandorte docken sich Zulieferer, Logistiker und Dienstleister an. Es entstehen Verbindungen zur Forschung, zu den Nachwuchslieferanten, zu den Infrastrukturbetreibern, zur lokalen Politik sowieso, die oft gar nicht versteht, wie ihr da geschieht. Auch in und um Leipzig wird das oft nicht verstanden, hat man über Jahre viel Kraft und Ressourcen verschlissen im Gegeneinander, hat gern den großen Zampano gespielt, obwohl Politik nichts besser kann als Strukturbildungen zu begleiten und zu unterstützen. Das ist in und um Leipzig in den vergangenen zehn Jahren sichtlich besser gelungen. Sehr zum Ärger von Städten, die im mitteldeutschen Wirtschaftsnetz diese Knotenrolle von Natur aus nie spielen konnten. Auch deshalb haben sich ja Magdeburg und Dresden so krachend distanziert von der Region Mitteldeutschland – auch weil selbst die dortigen Stadtverwaltungen nicht wissen, wie sie sich in so einem Netz zukunftsfähig platzieren können.

Können sie eigentlich.

Doch der Weg heißt nicht Distanz, sondern – bessere Anbindung. Die Schaffung des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes war die richtige Idee für den Netzknoten der Wirtschaftsregion.

Die zweite fehlt noch – und die entscheidenden Politiker tun tatsächlich so, als hätten sie noch Jahre Zeit, diesen Schritt zu tun: Magdeburg und Dresden brauchen schleunigst eine Anbindung an dieses S-Bahn-Netz.

Der Leipziger City-Tunnel war von Anfang an nicht die falsche Idee. Und auch wenn 1 Milliarde Euro teuer klingt, ist das für ein Infrastrukturprojekt dieser Größe nicht zu viel. Da reicht schon der Blick nach Stuttgart, wo man den immer noch heiß umstrittenen U-Bahn-Hof mittlerweile mit 6,8 Milliarden Euro kalkuliert (was bei den dortigen Problemen und der wirklich langen Bauzeit garantiert nicht reichen wird) oder zum Berliner Großflughafen BER. Da wünschen sich zwar jetzt gerade die Betreiber des Flughafens Leipzig-Halle eine flotte Zugverbindung nach Schönefeld.

Aber Berlin ist das Zentrum einer eigenen Metropolregion. Diese Verbindung drängt nicht mal aus wirtschaftlichen Gründen. Eine andere ist viel dringender – die von Leipzig nach Chemnitz. Auch Chemnitz wächst inzwischen wieder, hat bis November 2014 auf 244.073 Einwohner zugelegt (von 242.022). Was natürlich bedeutet, dass jetzt auch Chemnitz dieselben Wachstumsschmerzen bekommt, wie sie Dresden und Leipzig schon haben. Wachstumsschmerzen, die aus Sicht der sächsischen Landespolitik immer im Gegensatz stehen zur Entwicklung in den ländlichen Räumen.

Denn während die Landkreise fortwährend Bevölkerung an die drei Großstädte verlieren (von Dezember 2013 bis November 2014 fiel die Bevölkerungszahl in den Landkreisen von 2.742.047 auf 2.731.250), wächst die Bevölkerung in den Großstädten seit Jahren (von 1.304.338  auf 1.323.424 im genannten Zeitraum).

Der Bevölkerungszuwachs in den drei Großstädten ist längst größer als der Verlust in den Landkreisen. Das liegt auch zum Teil an der wachsenden Zahl von Asylbewerbern, die auf dem sächsischen Arbeitsmarkt eigentlich dringend gebraucht werden. Es liegt auch an der überregionalen Attraktion solcher Knotenpunkte wie Leipzig, die nicht nur nach Sachsen-Anhalt oder Brandenburg ausstrahlen, sondern schon längst auch in den Westen der Republik. Tatsächlich müssen jetzt auch die Wirtschaftsakteure in der Region Leipzig lernen, wirklich in Netzen zu denken. Noch profitiert das benachbarte Halle nicht wirklich von der Entwicklung, obwohl man dort um die wichtige Rolle des S-Bahn-Netzes weiß.

Dass eine sich stabilisierende Stadt im Netzknoten auch ihr Umland stabilisiert, auch das zeigen die Zahlen vom November 2014. Im Landkreis Leipzig stieg seit Langem die Einwohnerzahl wieder leicht von 257.596 auf 257.606. Städte wie Borna, Markkleeberg und Markranstädt profitieren eindeutig von der Entwicklung.

In Nordsachsen ging die Bevölkerung noch zurück von 197.346 auf 197.108. Hier hängt Vieles davon ab, wie sich Städte wie Delitzsch, Eilenburg und Torgau (alle ans S-Bahn-Netz angeschlossen) in der nächsten Zeit positionieren. Da sind zum Teil auch neue Ideen gefragt.

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Man muss den Tatsachen ins Auge sehen. Und die sind, dass die Landeshauptsädte (Dresden, Erfurt, Magdeburg) die eigentliche Provinz sind. Die Post geht – wenn überhaupt – im erweiterten Raum Halle-Leipzig ab. Es wird also Zeit für ein Umdenken und ein Bundesland “Mitteldeutschland” (Arbeitstitel)…

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