Wie kommt man da nun raus? Oder ist das Problem des zunehmenden Fachkräftemangels gar keines? Oder ist die Fragestellung falsch? - Wahrscheinlich nicht. Denn mit dem „Fachkräftemonitor“ besitzt die IHK zu Leipzig seit 2014 ein Programm, mit dem sich recht zielgenau berechnen lässt, wo es künftig Fachkräfteengpässe geben wird. Und für 2022 prognostiziert das Programm 129.000 fehlende Fachkräfte in Sachsen.

Der IHK-Fachkräftemonitor (ein Projekt der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Leipzig, entwickelt und umgesetzt vom Wirtschaftsforschungsinstitut WifOR aus Darmstadt) betrachtet sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes. Er geht also eine komplette Stufe höher als die Zahlenauswertungen der Arbeitsagentur und berechnet die kompletten aktuell auf den Arbeitsmarkt kommenden Fachkräftekontingente – und gleicht sie mit den absehbaren Bedarfen der einzelnen Branchen ab.

Er bietet somit die Möglichkeit, Fachkräfteengpässe und -überschüsse für Sachsen und die Region Leipzig wahlweise nach Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen bis zum Jahr 2022 auszuweisen.

Bis zum Jahr 2022 wird allein für die Region Leipzig ein Rückgang des Fachkräfteangebots im Vergleich zu heute von knapp 10 Prozent und damit ein Engpass von 8.000 Fachkräften prognostiziert. Allein über 5.000 Fachkräfte dürften dann zum Beispiel in Berufen der Unternehmensführung und -organisation fehlen, wertet die IHK die aktuellen Zahlen aus.

Von der negativen Entwicklung seien auch Branchen berührt, die gegenwärtig kaum vom Fachkräftemangel betroffen sind. Im sächsischen Einzelhandel dürfte sich beispielsweise der derzeitige Überschuss bis 2022 in einen Engpass von ca. 4.000  Fachkräften wandeln, schätzt die IHK ein.

„Der Fachkräftemonitor liefert wertvolle und gesicherte Informationen für alle Akteure auf dem Arbeitsmarkt. Er hilft Unternehmen der regionalen Wirtschaft bei ihrer strategischen Ausbildungsplanung und Personalentwicklung, zeigt Jugendlichen bei der Berufswahl Chancen auf und dient der Politik bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen,“ fasst Dr. Thomas Hofmann, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Leipzig zusammen und richtet sich an die Unternehmen: „In Zukunft müssen Unternehmen stärker in eine zielgerichtete Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren. Denn aufgrund des demografischen Wandels stehen immer weniger potenzielle Mitarbeiter zur Verfügung.“

Halbierte Ausbildungsjahrgänge

Wobei zu betonen ist: Der eigentliche Engpass entsteht dadurch, dass seit 2010 die halbierten Geburtsjahrgänge der 1990er Jahre in die Berufsausbildung kommen. Ab 2012 ist damit die Zahl der Arbeitnehmer, die in Ruhestand gehen, deutlich höher als die der Berufseinsteiger.

Dazu kommt: Es gibt durchaus Branchen, die die Veränderung abfedern können. Denn ganz neu ist das Dilemma des Auseinanderklaffens von Angebot und Nachfrage ja nicht. Wie erwähnt: Seit 2010 ist es virulent, auch wenn die Lücke etwa im Jahr 2015 noch deutlich kleiner ist – nämlich 71.000.

Was aber auch bedeutet: Das Problem beginnt nicht erst 2022. Es macht sich jetzt schon in einigen Branchen bemerkbar, die ihre Ausbildungs- und Arbeitsplätze nicht im ausreichenden Maß besetzen können. Oder es aus ziemlich seltsamen Gründen nicht tun – wie der öffentliche Dienst, der schon heute 8.000 Arbeitsplätze nicht besetzt hat, obwohl die Arbeit dringend erledigt werden müsste. Darunter bekanntlich etliche Personalstellen im Bildungswesen oder bei der Polizei.

Und weil die zuständigen Entscheider noch immer auf der Bremse stehen, wird gerade die Riesenlücke für das Jahr 2022 produziert. Denn fast alle Bereiche des öffentlichen Dienstes leiden heute schon unter Überalterung, müssten eigentlich mit deutlich höheren Einstellungsquoten den Bedarf der nächsten Jahre auffangen. Aber es passiert nicht. So dass der öffentliche Dienst 2022 mit 21.000 fehlenden Facharbeitskräften einer der Bereiche sein wird, der am heftigsten unterm Nachwuchsmangel leiden wird.

Ein ähnliches Loch klafft bei den „personenbezogenen und sonstigen Dienstleistungen“ auf mit 17.000 fehlenden Fachkräften, im Gesundheits- und Sozialwesen mit 11.000 oder bei den wirtschaftsnahen Dienstleistungen mit 23.000.

Da kann man im Grunde schon heute Wetten abschließen darüber, dass Sachsen ziemlich bald beginnen wird, neue Gastarbeiter zu werben für bestimmte Branchen – wie etwa den Pflegebereich – ohne die die Zukunftssicherung des Landes nicht zu gewährleisten ist. Und in anderen Bereichen werden die Löhne deutlich ansteigen, weil man so am besten um die besten Fachkräfte kämpfen kann.  Was logischerweise den öffentlichen Dienst weiter unter Druck bringt, die öffentlichen Kassen erst recht. Die Zeit der planmäßigen Unterfinanzierung staatlicher Dienstleistungen müsste eigentlich sehr bald ein Ende finden. Und die Ausblutung des Bildungssystems eigentlich auch.

Aber wie bringt man das verantwortlichen Politikern bei, die glauben, man könne Länder „gesundsparen“?

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Es gibt 2 Kommentare

Fachkräftemangel halte ich für ein Märchen. Fachkräfte gibt es reichlich – nur keine Arbeitgeber, die Fachkräfte entsprechend bezahlen wollen. Oder welcher Ingenieur geht schon für Mindestlohn arbeiten?

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