Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) ist ein durchwachsenes Institut. Mal gibt es relativ seltsame Meldungen zum Mindestlohn, dann wieder legt man umfassende Analysen vor, die zeigen, warum der Osten hinterherkleckert und was getan werden könnte, um das zu ändern. Vielleicht. Möglicherweise. Denn es hängt wie so oft wieder mal am Geld.

Für das Jahr 2016 prognostiziert das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) einen Anstieg des ostdeutschen Bruttoinlandsprodukts um 1,7 % (Deutschland insgesamt: 1,8 %). Maßgeblicher Treiber ist wie in Deutschland insgesamt die Binnennachfrage.

Insbesondere profitiere die Wirtschaft von der hohen Dynamik des Dienstleistungssektors in Berlin, heißt es aus dem IWH, das damit auch wieder zeigt, wie sehr die alten Interpretationsmuster den Blick auf die Wirklichkeit versperren. Denn ganz ähnlich wie Berlin funktionieren auch die anderen wachsenden Großstädte im Osten. Sie sind allesamt Zentrum der sich entwickelnden Dienstleistung. Deswegen ist die Rechnerei mit dem „Zuwachs in den ostdeutschen Flächenländern“ eher irreführend – mit 1,3 % bleibt er wieder hinter dem in Westdeutschland zurück. Logischerweise, könnte man sagen.

Die Studie vergleicht die ostdeutsche Entwicklung wieder mal mit dem „Aufbau Ost“ der 1990er Jahre, als die ostdeutsche Wirtschaft nach dem Einbruch 1990/1991 (scheinbar) in rasantem Tempo wieder aufholte bei Produktivität und Löhnen. Aber seitdem klemmt es, gibt es kaum noch einen spürbaren Aufholprozess. Und die Rechner grübeln. Woran liegt das nur?

„Der Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft ist seit geraumer Zeit ins Stocken geraten. Nach einem fulminanten Anstieg der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in den frühen 1990er Jahren stagniert das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in Ostdeutschland bei gut 70 % des westdeutschen Niveaus. – Zwar gibt es auch in Westdeutschland zahlreiche Regionen, die sich persistent unterhalb der durchschnittlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit befinden, und die Mehrheit der ostdeutschen Kreise und kreisfreien Städte hat auch nach 1996 weiter wirtschaftlich aufgeholt“, so das IWH. „Aber es ist keiner ostdeutschen Region gelungen, deutlich über den gesamtdeutschen Durchschnitt zu kommen. Wie viele andere aufholende Volkswirtschaften auch macht Ostdeutschland die Erfahrung, dass es außerordentlich schwierig ist, nach der ersten Aufholphase Anschluss an die Spitzenliga zu finden.”

Eigentlich wissen es alle, vergessen es aber gern immer wieder. Es ist praktisch unmöglich, einen ganzen, von Industrie entblößten Landstrich binnen 20 Jahre auf das Niveau eines Industriekernlandes zu heben, das nach wie vor in der Weltspitze agiert. Da müsste man quasi über Nacht lauter neue Weltkonzerne aus dem Boden stampfen. Im Osten dominieren bis heute vor allem Energiedienstleister und Ableger großer Konzerne aus dem Westen. Was auch dazu beiträgt, dass hier deutlich weniger Geld für Innovation und Forschung eingesetzt wird. So etwas bezahlt man ja nicht aus dem laufenden Betrieb, sondern aus dem Gewinn.

Nur indirekt ist das mit dem Bildungsgrad der Beschäftigten verbunden. Auch wenn die Autoren der Studie glauben, hier die Lösung zu sehen: „Um wirtschaftlich aufzuholen, sollten Bildung und Forschung im Mittelpunkt der Wachstumspolitik stehen; mit traditioneller Förderpolitik lassen sich keine weiteren Aufholerfolge mehr erzielen.

In der ersten Phase des wirtschaftlichen Aufholprozesses ging es um den Aufbau der physischen Infrastruktur sowie Adaption und Imitation moderner Technologien, so das IWH. Die Produktivität stieg durch die Erhöhung der Kapitalintensität oder die Umschichtung von Ressourcen von weniger produktiven Bereichen in Bereiche mit höherer Produktivität, versuchen die IWH-Forscher das gelernte Interpretationsmuster.“

Und dann?

Im weiteren Aufholprozess müsse die Wirtschaftspolitik das Augenmerk auf das Humankapital und auf Innovationen legen, meinen sie. Mit weiteren Sachkapitalinvestitionen ließen sich jetzt kaum noch substanzielle  Verbesserungen erzielen. Das widerlegt die Studie eigentlich, denn womit sollen denn die „fehlenden innovativen Unternehmen“ gegründet werden? Mit Lust und Liebe? – Gerade die Sachinvestitionen in der ostdeutschen Wirtschaft sind wieder deutlich hinter die im Westen zurückgefallen. Wer aber neue, wettbewerbsfähige Produkte entwickeln möchte, muss auch in eine Erneuerung seiner Produktion investieren. Die Grafiken, die das IWH einstreut, deuten zumindest darauf hin, dass das im Osten immer seltener passiert. Möglicher Grund: Die ostdeutschen Unternehmen haben nicht den nötigen Kapitalpuffer aufgebaut, um auf diesem Niveau mithalten zu können.

Im Ergebnis rangieren auch die stärksten ostdeutschen Bundesländer bei Forschung und Entwicklung nur im Mittelfeld. Ausnahme: Berlin, das sich vor allem in der Dienstleistung zu einem gefragten Standort gemausert hat.

Die ostdeutsche Wirtschaft konnte schlicht den Renditevorsprung der starken süddeutschen Konkurrenz nicht wettmachen. Es wird schon seit Jahren vor allem in die Erneuerung des bestehenden Maschinenparks investiert, die Kraft für echte Innovation aber haben nur wenige Unternehmen.

Und dazu kommen natürlich auch Fehler in der Politik der einzelnen Länder. Man müsse die Bevölkerung besser qualifizieren, mahnen die IWH-Autoren an und verweisen darauf, dass die ostdeutsche Schulabbrecherquote mittlerweile doppelt so hoch ist wie im Westen.

Indirekt propagieren die Autoren der Studie natürlich eine Entwicklung, die längst im Gang ist, wenn sie dekretieren: „Es kommt vielmehr darauf an, die Bevölkerung so gut wie möglich zu qualifizieren, die Region attraktiv für die Zuwanderung junger und qualifizierter Menschen zu gestalten und gute Rahmenbedingungen für Innovationen zu schaffen.“

Genau das passiert ja in den Wachstumsstädten, die sich längst zum eigentlichen Motor der Entwicklung gemausert haben. In den ländlichen Regionen gibt es bislang nicht mal einen politischen Ansatz, wie man die demografische Wanderung stoppen könnte.

Deswegen vermischen sich die Zahlen – gerade für den Osten. Und außer Berlin verschwinden die eigentlichen Wachstumsknoten in einer generellen Statistik. Diese Städte sorgen mit den von ihnen ausgelösten Investitionen noch zusätzlich dafür, dass die Nachfrage steigt nach Wohnungsbau und Investitionsprogrammen in Infrastrukturen.

Wie das dann alles wirkt, beurteilen die Autoren eher zurückhaltend: „Die Nachfrageimpulse werden hauptsächlich dem Baugewerbe, Handel und Gastgewerbe sowie den gewerblichen und öffentlichen Dienstleistern in der auf die Inlandsmärkte ausgerichteten ostdeutschen Wirtschaft zugute kommen. Die Beschäftigung wird dank des Produktionszuwachses moderat zunehmen. Die Arbeitslosigkeit wird in Ostdeutschland weiter sinken.“

Was dann aus ihrer Warte für die ostdeutsche Wirtschaft insgesamt eine Wachstumsrate von 1,7 % ergibt, womit sie in etwa so kräftig expandieren wird wie die westdeutsche.

„Der Aufholprozess erhält also keinen neuen Schwung“, stellt das IWH fest. „Die Nachfrage der privaten Haushalte expandiert dank steigender Realeinkommen der privaten Haushalte infolge der recht hohen Lohnabschlüsse, der deutlichen Anhebung der Renten und der Preisstabilität. Die Ausgaben des Staates für die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge stimulieren die Konjunktur weiterhin geringfügig.“

Aber die Analyse weist eben auch darauf hin, dass die Bildungsausgaben in ganz Deutschland zu gering sind. Und das betrifft eben nicht nur Kitas und Schulen – sondern auch Hochschulen, die im Osten – das betont auch diese Arbeit – immens wichtig sind zur Entwicklung innovativer Kerne. Aber auch bei dem Thema wird ja nun seit Jahren diskutiert, ohne dass man einen Schritt weiter kommt. Da geht es ja auch wieder um Geld, das in Deutschland irgendwie immer nicht da ist, wo es gebraucht wird.

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