Am Donnerstag, 20. Oktober, veröffentlichte das Sächsische Landesamt für Statistik gleich zwei Meldungen – eine zur Beschäftigung im Jahr 2015 und den verblüffenderweise sinkenden Beschäftigtenzahlen. Und gleich dazu die Statistik zum 1. Halbjahr 2016: Der Beschäftigungsaufbau geht (wieder) weiter. Es ist schon erstaunlich, wie der Mindestlohn wirkt.

Nämlich völlig anders, als von den Rechenkünstlern diverser Wirtschaftsinstitute vorausgesagt, die ja das Jahr 2014 bekanntlich damit zubrachten, lauter Menetekel an die Wand zu malen: Das wird Arbeitsplätze vernichten! Das wird die Wirtschaft im Osten besonders hart treffen!

Dort arbeiten Leute, die nicht mal begreifen, wie flüssig Geld ist. Und dass nur fließendes Geld eine Wirtschaft am Leben erhält. Und trotzdem hört die halbe Gilde der hochbezahlten Politik auf diese Leute. Wie kann das sein? Leben die alle noch im Zeitalter der Alchemie?

Augenscheinlich ja.

Der Grund ist natürlich die Wirtschaftslehre, die seit den 1970er Jahren fast alle wichtigen Lehrstühle für Wirtschaftswissenschaften in Deutschland erfasst hat, die Professoren auf die wichtigsten Lehrstühle gebracht hat, die ihren Studenten mit komplexen mathematischen Modellen beibringen, dass Wirtschaft 1.) etwas ganz Rationales ist (da lachen sogar die Hühner im Stall), 2.) dass Wirtschaftsteilnehmer rationale Entscheidungen treffen (da kichert sogar die Marketingabteilung des berühmten Brauseherstellers) und 3.) dass „der Markt“ eine klar abgegrenzte Spielwiese mit klaren und für alle gültigen Regeln ist (da lachen sich dann sogar die PR-Abteilungen der großen Investmentbanken tot).

Es ist eine zum Popanz aufgeblasene BWL, die als „Neoliberalismus“ seitdem auch zur politischen Doktrin geworden ist. Und so fatale Ergebnisse zeitigt, dass sich auch Adam Smith nur vor Entsetzen die Perücke raufen würde. So viel Irrationalität hätte der Mann den künftigen Wirtschaftsexperten ganz bestimmt nicht zugetraut.

Wahrnehmbar wird die Schieflage immer dann, wenn sich alle Voraussagen der modernen Vogelflugdeuter als falsch erweisen. Richtig falsch.

Und das zeigen ausgerechnet die beiden Meldungen des Statistischen Landesamtes.

Denn der scheinbare Rückgang der Beschäftigtenzahl 2015 hat natürlich mit dem tatsächlichen Zuwachs an Arbeitsplätzen 2016 zu tun. Eins bedingt das andere. Und wir haben es an dieser Stelle schon mehrfach analysiert, wie die Einführung des Mindestlohns im Januar 2015 (in einigen Branchen sogar noch früher) wirkte: Er hat gerade im Bereich der Dienstleistung tausende Firmen gezwungen, über die Bezahlung ihres Personals neu nachzudenken und aus einer Vielzahl der gerade seit 2005 massiv entstandenen Mini-Jobs ein paar besser bezahlte Vollzeitbeschäftigungen zu machen.

Aus einer Menge prekär Beschäftigter wurden ein paar Glückliche, die endlich eine auskömmlich bezahlte Vollzeitbeschäftigung hatten – plus jene Dienstleistungsbranchen, in denen die niedrigen Normalgehälter auf Mindestlohn aufgestockt wurden. Das wurde – wie bei Friseuren, Bäckern und Taxifahrern – meist schon 2014 auf die Preise umgelegt. Und?

Das große Arbeitsplatzsterben blieb aus. Im Gegenteil: Dienstleistung wurde deutlich besser anerkannt.

Diese „Verwandlung“ sorgte natürlich dafür, dass tausende Mini-Jobs 2015 aus der Statistik verschwanden. 3.200 plus X. Die 3.200 sind der durchschnittliche Rückgang der Beschäftigten im Jahr 2015. Tatsächlich aber sank auch noch parallel die Arbeitslosenzahl – um über 13.000. Das heißt: Es wurden auch 2015 weiter neue Arbeitsplätze geschaffen. Viele Menschen, die zuvor nur einen Mini-Job hatten, fanden nun eine Vollzeitstelle.

Das Statistische Landesamt verzeichnet 17.500 „verschwundene“ marginale Jobs.

Was vor allem daran liegt, dass einige Branchen in Sachsen weiter auf dem Wachstumspfad sind, allen voran die Dienstleistungsbranche.

Und was melden die Landesstatistiker für das erste Halbjahr 2016?

Die Zahl der marginalen Jobs geht auch 2016 weiter zurück, während die Vollzeit-Beschäftigung weiter wächst.

„Um 1,1 Prozent bzw. rund 23.000 Personen erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen in Sachsen im zweiten Quartal des Jahres 2016 im Vergleich zum Vorjahresquartal. Damit stand auch aktuell einem deutlichen Anstieg der Zahl der Arbeitnehmer ohne marginal Beschäftigte ein sehr starker Abbau bei der marginalen Beschäftigung gegenüber“, meldet das Landesamt am Donnerstag, 20. Oktober.

Sachsen verwandelt sich immer mehr weg von dem jahrelang von diversen sächsischen Wirtschaftsministern gepriesenen Niedriglohnland.

Was schon 2014 spürbar war: Da sank die Zahl der Marginal Beschäftigten um 4,2 Prozent, 2015 ging sie sogar um 8,6 Prozent zurück.

Und auch in anderen Beschäftigtengruppen wechseln immer mehr Sachsen aus einem prekären Verdienstmodell in eine besser bezahlte Beschäftigung: „Außerdem ging die Zahl der Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen leicht zurück.“

Und von der Landwirtschaft abgesehen, wo der Preisverfall vieler Produkte auch die Vernichtung von landwirtschaftlichen Arbeitsplätzen bedeutet, wachsen in allen Wirtschaftszweigen die Beschäftigtenzahlen: „Die positiven Impulse bei der Entwicklung der Erwerbstätigkeit kamen zum einen aus dem Verarbeitenden Gewerbe, das einen Anstieg um 1,4 Prozent bzw. rund 5.000 Personen verzeichnete. Zum anderen wurde im gesamten Dienstleistungssektor ein Zugang um 1,3 Prozent  bzw. reichlich 18.000 Erwerbstätige festgestellt. Hier trugen insbesondere der Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation mit einem Plus von 1,7 Prozent bzw. knapp 8.000 Personen sowie der Bereich Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung und Gesundheit mit einem Zuwachs um 1,3 Prozent bzw. reichlich 8.000 Personen zum positiven Gesamtbild bei der Erwerbstätigkeit in Sachsen bei.“

So viel Schmalz aufs Brot! Dabei waren es gerade Handel und Gastronomie, die 2014 das große Menetekel anstimmten. Aber das Problem an so einer gesamtsächsischen Statistik ist: Sie kann nicht zeigen, mit welchem Tempo heute die Großstädte Arbeitsplätze schaffen – und wie das flache Land eher stagniert oder sogar verliert. Die 1,1 Prozent Zuwachs ist eine Mischzahl.

Übrigens auch für Gesamtdeutschland: „Im gesamtdeutschen Vergleich fielen sowohl der Anstieg im Verarbeitenden Gewerbe als auch der Zuwachs im Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation in Sachsen überdurchschnittlich aus. Deutschlandweit stieg die Erwerbstätigenzahl  im zweiten Quartal 2016 im Vergleich zum Vorjahresquartal um 1,2 Prozent. Dabei erhöhte sich die Zahl der Erwerbstätigen in den alten Ländern (ohne Berlin) ebenfalls um 1,2 Prozent und in den fünf neuen Ländern mit 0,7 Prozent wesentlich verhaltener. Berlin lag mit 2,7 Prozent Anstieg an der Spitze der Länder.“

Die ostdeutschen Flächenländer liegen sichtlich im Hintertreffen, in Berlin aber als Metropole geht die Post ab. So ungefähr ist das Verhältnis von Land und Großstadt auch in Sachsen.

Aber das erzählen wir den phlegmatischen Wirtschaftsinstituten lieber nicht. Da müssten sie ja ihre alten Interpretationsmuster in den Papierkorb stopfen.

Die Mitteilung des Landesamts für Statistik zu den Zahlen im 2. Quartal 2016.

Mitteilung des Statistischen Landesamtes zur Erwerbsbeschäftigung 2015.

In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

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