Die Stadt Leipzig und der Branchenverband biosaxony e. V. fungierten als Gastgeber für eine der größten Life Science-Partneringveranstaltungen Europas, die BIO-Europe, welche vom 24. bis 26. Oktober 2022 in Leipzig mit mehr als 5.000 Besucher aus 66 Ländern stattfand. Für Thomas Köhler war es Anlass, mit André Hofmann, CEO von biosaxony, einmal über die Rolle der Leipziger biocity und das Wachstum des Branchenverband für Biotechnologie in Sachsen zu sprechen.

Zurück zu Biocity, hier siedeln sich Unternehmen und Start-ups an und Sie haben ja auch, wie ich gelesen habe, Erweiterungspläne.

Das ist das, was uns so eine wahnsinnige Freude am Standort Leipzig macht. Es ist jetzt fast genau zehn Jahre her als ich bei Biocity angefangen habe. Damals haben wir uns vorwiegend um Dresden bemüht und Leipzig so ein bisschen mitgemacht. Jetzt hat sich das komplett gedreht. Von den, demnächst wieder 12, Mitarbeitern, die Biosaxony hat, sind zehn in Leipzig, eine in Freiberg im Homeoffice und eine in Dresden. Weil hier einfach mehr passiert.

Einen großen Anteil daran hat tatsächlich die Stadtverwaltung, mit der wir ein unheimlich gutes Kooperationsverhältnis haben. Auch mit der Leipziger Gewerbehof Gesellschaft, die ja Eigentümer der Biocity ist und LEVG, die den Campus letztendlich weiterentwickelt. Wir haben im Moment drei Erweiterungsprojekte, die Biocity ist voll vermietet, wir sind an der absoluten Lastgrenze.

Jetzt gibt es auf dem Campus mit OFB einen großen Neubau, für den der erste Spatenstich bereits erfolgte, wo sich SELECTA sich erweitern wird und wo für weitere Unternehmen zusätzliche Fläche geschaffen wird. Für solche, die aus der Biocity umsiedeln oder sich erweitern wollen, vielleicht auch noch für die eine oder andere Ansiedlung.

Vollak hat auch Flächen von der Stadt gekauft, um da auch nochmal ein Zentrum zu bauen, auch mit lifescience Prägung. Und natürlich die Halle 12, der ehemalige sowjetische Pavillon, in den ja auch ein Innovationszentrum entstehen soll. Drei sehr schöne Projekte, vielleicht kommen noch mehr dazu, in denen Kapazitäten entstehen, die wir brauchen.

Medicalforge ist ein Projekt zur Ansiedlung und über solche Plattformen, solche Angebote wie wir sie schaffen kommen, ganz ehrlich, Ansiedlungen fast von alleine zustande.

Leipzig als lifescience Standort ist ja wohl in unser aller Interesse. Die Frage ist doch, ganz viele reden über Ansiedlungen, aber was hat das ganz pragmatisch für Auswirkungen? Ich denke da hauptsächlich an Arbeitskräfte.

Momentan ist es noch so, dass die Fachkräftesituation in unserem Bereich nicht ganz so angespannt ist wie zum Beispiel im IT-Bereich. Akademiker findet man tatsächlich immer noch genügend, in Spezialfällen gibt es zugegeben Engpässe, aber das ist noch zu handhaben. Wo wir jetzt in den Flaschenhals hineinlaufen könnten, sind nichtakademische Fachkräfte.

Da gibt es massive Bedarfe. Ein schönes Beispiel für die Kooperation mit der Stadt, es gab zwei große Ansiedlungsanfragen vor zwei Jahren, die letztendlich daran gescheitert sind, dass wir das nichtakademische Fachpersonal hier in der Region nicht nachweisen konnten.

Leipzig hat es geschafft sich auf so einem Level zu präsentieren, dass man uns als lifescience Standort international wahrnimmt, dass auch proaktiv Anfragen an den Standort kommen. Wenn die nächste Anfrage kommt, sollten wir da besser aufgestellt sein.

Also wäre letztendlich eine Ausbildungsinitiative und Umschulungsinitiative sinnvoll. Ich kann mir vorstellen, dass für die Gewinnung von z.b. Laborkräften Umschulung ein gutes Mittel wäre.

Genau das machen wir. Die Stadt Leipzig kam auf uns zu und wir haben gesagt, das Einzige, was wir machen können ist, dass wir eine Ausbildung in Leipzig ermöglichen. Damit wir, wenn die nächste Anfrage kommt, sagen können: Wir haben jetzt die 800 Fachkräfte, die ihr braucht, nicht. Aber bis ihr euer Werk fertig gebaut habt, haben wir die ausgebildet. Wir haben mit verschiedenen Bildungsträgern gesprochen. Von denen hat keiner gesagt: Ja, hier unbedingt, machen wir.

Wie immer, wenn eine Lücke entsteht, die keiner füllt, sind wir es, die in die Bresche springen. Wir sind seit Mai 2022 zertifizierter Bildungsträger nach AZAV, seit drei Wochen ist die Maßnahme fast zugelassen, ein kleiner Zwischenschritt muss noch erfüllt werden. Im Februar wollen wir anfangen, die erste Klasse, erstmal nur 12, auszubilden. Wir haben schon jede Menge Bewerber.

Das Fraunhofer izi ist da enger Partner in der Laborausbildung. Wir werden die Fachkräfte für den Herstellungsbereich für Zell- und Gentherapien, der hier in Leipzig standortprägend ist, die Laborfachkräfte ausbilden. Wir starten mit der ersten Klasse, danach wird es noch einen Justierungsprozess geben und dann kann das weiter laufen.

Der Grund meiner Frage war, wir haben momentan zu viele Ansiedlungen z. B. von Logistikunternehmen, die hauptsächlich Bedarf an ungelernten bzw. angelernten Arbeitskräften haben. Meiner Meinung nach brauchen wir aber mehr Aus- und Weiterbildung von Fachkräften.

Da stimme ich zu, man muss solche Prozesse immer holistisch denken. Das finde ich in Leipzig auch sehr angenehm. Viele Aktivitäten konzentrieren sich jetzt schon auf uns, aber wir haben auch unglaublich gute Partner. Die sehen wir wachsen, die bauen ein neues Innovationszentrum und dafür brauchen die dann irgendwann Mieter. Die haben erkannt, dass medicalforge ein tolles Projekt ist, damit lassen sich Mieter akquirieren, auch aus dem Ausland. Die unterstützen uns entsprechend dabei.

Auch das gehört dazu, ich werde nicht müde es zu erzählen, der 3D-Drucker-Raum in den wir nachher noch gehen, sieht anders aus als normale Labore. In dem ist eine Schallschutzkabine und eine Kühlung, weil der nicht nur 3D druckt, der macht auch Krach und Wärme. Das haben wir nicht beachtet.

Als der Laborplaner sagt, 3D-Drucker ja, aber nicht hier, stand ich als Biotechnologe, der das nicht eingeplant hatte, da. Die LGH sagte, o.k., die 160.000 Euro für die Kabine übernehmen wir. Zahlen wir dafür einen Cent Miete mehr? Nein. Das wäre uns an keinem anderen Standort in Deutschland passiert. Das macht Leipzig so einzigartig.

Leipzig als lifescience Standort, da gehört natürlich auch internationale Promotion dazu. Also in Form von Fachtagungen, Kongressen u. Ä. Bei unserem letzten Gespräch, vor fast genau einem Jahr, hatten Sie gesagt, dass Kongresse auch in Leipzig stattfinden. Ich habe nichts davon gehört oder gelesen.

Es ist jetzt ein bisschen spät, im Oktober war die Bio-Europe. Um das einzuordnen, das ist in meinen Augen, im Bereich der Biotechnologie die zweitwichtigste Konferenz der Welt, nach der Bio-International, die aber immer in den USA stattfindet.

Wir haben es nach zwölf Jahren Vorbereitungszeit geschafft, diese Konferenz endlich nach Leipzig zu holen. Dazu muss man wissen, dass die Bio-Europe nur an ausgewiesene lifescience Standorte vergeben wird. Wir mussten also zwölf Jahre Grundlagenarbeit machen, damit Leipzig auf diesen Stand gekommen ist.

Die Bio-Europe in Leipzig, das war also quasi der Ritterschlag für Leipzig als lifescience Standort?

Exakt, das ist es, was wir damit erreicht haben, wir sind jetzt ich der Champions League der lifescience Standorte in Europa angekommen. Das hat auch unmittelbar Erfolge gezeitigt, ich bin jetzt selbst seit fünfzehn Jahren weltweit auf solchen Konferenzen. Ich bin das allererste Mal auf solchen Konferenzen von großen Pharmaunternehmen angesprochen worden und sollte etwas über den Standort erzählen.

Irgendetwas muss ja in Leipzig los sein, damit eine Bio-Europe hier herkommt. Es ist noch keine Ansiedlung oder ein Projekt dabei herausgekommen, aber wir sind im Dialog. Wir haben erreicht, dass wir proaktiv angesprochen werden, das hat die Bio-Europe mit sich gebracht.

Mein Zorn an der Stelle ist, dass die Akteure, die sich eigentlich um solche Themen kümmern sollen, in dem Bereich gar nichts gemacht haben. Wir haben mit der Stadtverwaltung das Projekt bilateral vorangetrieben. LEVG und LGH haben uns unterstützt, wir hatten sogar zwei Stände, einen sächsischen Unternehmensstand und einen für den biocity Campus.

Das gab es noch nie auf der Bio-Europe, es gab auch noch nie einen doppelstöckigen Stand wie wir den hatten. Den wird es auch nie wieder geben, weil das in einem Wettrüsten enden würde. Wir hatten dort auch die Immobilienentwickler dabei und wir haben dort etwas gezeigt, was europaweit ein Mangel ist.

Welcher Mangel ist das?

Es gibt nicht nur in Deutschland, sondern in Europa keine Laborflächen. Ich habe letztens einen Artikel aus Großbritannien bekommen, der ausführte, dass die Entwicklung der Biotechnologie dort stagniert, weil es keine Laborflächen gibt. Start-ups finden dort keine Laborflächen und Leipzig hat gezeigt „Leute wir bauen. Wir haben drei Projekte am Start und weitere Ideen, wenn ihr Erweiterungsflächen sucht, redet mit uns.“

Das müsste im Bereich der Investment-Promotion natürlich transportiert werden. Das ist das Einzige, was in Leipzig schlecht bzw. gar nicht funktioniert. Alles andere ist wunderbar verzahnt, es ist ein sehr angenehmes Kooperationsumfeld, aber dort hakt es.

Sie haben schon über viel Unterstützung gesprochen. Wo wünschten Sie sich mehr davon?

Aus Leipzig heraus sind wir wirklich super versorgt. Die Stadt ist bei uns Mitglied geworden, was ein Signal ist, aber wir haben so viele Kooperationsbeziehungen, dass das ein nettes addon war.

Was wir in den nächsten Jahren vorhaben, ich habe Ihnen mal das „Weißbuch lifesciences in Sachsen“ mitgebracht, dort haben wir formuliert was zu tun ist um den lifescience Standort voranzubringen. Wir haben seit 10 Jahren gesagt, was man tun müsste um den lifescience Standort voranzubringen. Wir haben die zuständigen Mitarbeiter in den Ministerien noch nicht identifiziert. Wie beim Fachkräfte und Regulatorikthema, springen wir dann in die Bresche, wenn es eine Lücke gibt.

Mit der medicalforge haben wir dazu die erste Plattform aufgebaut, weitere haben wir noch vor. Diese sind im Weißbuch beschrieben. Das heißt nicht, dass wir die alle machen müssen, obwohl das den einen oder anderen Vorteil für uns hätte.

Am Ende steht fest, wir brauchen diese Funktionen in Sachsen – wer immer das dann auch macht. Auch da steht die Stadt Leipzig hinter uns, hilft uns das alles umzusetzen. Langsam kommt auch der Freistaat dahinter, dass es bei biosaxony funktioniert, es gibt also auch das ein Vertrauensverhältnis.

Was brauchen Sie noch, besonders von der Politik aber auch von den Medien?

Was wir im Moment benötigen, ist Support für diese Plattformen. Wir treiben das gerne voran, aber auch da gilt: Es geht gerade in die richtige Richtung. Geben Sie uns etwas Zeit, ich bin sicher in den nächsten zwei, drei Jahren wird da einiges passieren. Viel davon wird in Leipzig passieren, weil ein starkes Commitment des Standortes da ist. Das sehen wir an anderen Orten nicht so, diese haben sich in den letzten Jahren stark auf andere Technologien fokussiert.

Warum ist Leipzig hier besonders wichtig?

Leipzig hat immer gesagt, dass lifescience ein wichtiges Standbein ist und auch in der Stadtverwaltung, besonders in der Wirtschaftsförderung Menschen eingestellt, die aus diesem Bereich kommen. Diese sprechen die Sprache, sind über die Besonderheiten dieser Branche informiert und haben das Verständnis dafür, dass man nicht heute fünf Euro hineinsteckt und schon morgen fünfzig Euro zurückbekommt. Also dafür, dass es ein längerer Prozess ist.

Es ist schon so weit, dass uns andere Standorte kontaktieren und fragen, was sie tun können um sich als lifescience Standort aufzubauen. Es ist manchmal schon drollig, dass man uns nach best practice Beispielen anfragt, aber es zeigt, dass wir als guter lifescience Standort deutschlandweit wahrgenommen werden. An den saturierteren Standorten, wie München und Hamburg, bewegt sich momentan nicht viel, Leipzig ist quasi der Tigerstaat.

Mit der Bio Europe haben wir da nochmal ein Ausrufungszeichen gesetzt und das Schöne ist, mit der Stadtverwaltung gibt es eine Agenda wie wir weitermachen. Ob nun in Form von Plattformen, Veranstaltungen oder anderem, wir haben eine Strategie, wie wir weitermachen.

Wir können uns also jetzt Hoffnung machen, dass Leipzig sich als Standort in einer Zukunftstechnologie aufstellen wird und wir diesmal nicht wieder abgehängt werden. Zumindest, solange wie wir nicht alles ins Ausland verkaufen.

Das ist richtig. Der Punkt ist, dass Sachsen im Bereich der Biotechnologie ein absoluter Spätentwickler ist. München hat 15 Jahre vorher mit Biotechnologie begonnen und die waren schon 15 Jahre nach Silicon Valley. Der Freistaat hat erst 2000 begonnen, das Thema für sich zu erkennen, hat aber intelligent agiert und 200 Millionen Euro in die Hand genommen und gesagt, wir investieren das in zwei Dinge.

Bricks and brains, wie wir das nennen. Bricks, das sind die Innovationszentren in Dresden und Leipzig und in jedes dieser Zentren kamen sechs neue Professoren, die etwas im Bereich Biotechnologie machen.

Das mit den bricks hat in Leipzig sehr gut geklappt, Dresden ist da nicht so gut aufgestellt. Im Wissenschaftsbereich hat, glaube ich, Dresden den besseren drive. Wir haben in Leipzig zwar das izi, aber aus dem bbz heraus ist nicht so viel herausgekommen wie wünschenswert wäre.

Wir sind spät gestartet, damals haben uns alle belächelt, es gab sogar mal einen Artikel „Jetzt kommen die Sachsen auch noch“. Mittlerweile lächelt keiner mehr über uns. Im Gegenteil, wir bekommen interessante Bewerbungen aus anderen Bundesländern, die hier etwas bewegen wollen – weil hier noch etwas zu bewegen ist. Das macht mir insgeheim Freude.

Nehmen wir das als Schlusswort. Herr Hofmann, ich bedanke mich für das Gespräch.

Im Anschluss an unser Gespräch führte mich Herr Hofmann noch durch einige Laborräume und natürlich auch zum 3D-Drucker, der zugegebenermaßen imposant ist. Vielleicht werde ich nächstes Jahr mit einigen Firmen in der biocity über konkrete Projekte sprechen.

Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption‘ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.

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