LeserclubWie ärgert man die Grünen am besten? Irgendwie so scheint man sich im Hause LVZ zu fragen, wenn man wieder was Neues zum ÖPNV schreibt. Wie am Dienstag, 24. März. Da sollte ein Statement des Grünen-Kreisverbandes ins Blatt zur anrollenden Diskussion über die Finanzierung des ÖPNV. Aber das kann man ja wohl so nicht stehen lassen. Oder? Also ruft man mal wieder bei CDU-Stadtrat Konrad Riedel an.

Der hat seine Meinung, die er im Oktober zur Debatte geäußert hat, ja nicht geändert, hat sie also noch einmal wiederholt. Und das klingt dann in der kurzen Klippklapp-Meldung der LVZ zum Thema so: “‘Auch ständige Wiederholung macht aus unausgereiften Vorschlägen keine guten’, hält man dem CDU-Stadtrat Konrad Riedel entgegen. Es würden nach wie vor nur Fragen aufgeworfen, aber keine Antworten gegeben. Riedel: ’20 Euro für jeden Bürger – aber was ist mit den Sozialhilfe- oder Grundsicherungsbedürftigen, Mindestrentnern, Familien mit mehreren Kindern? Nach den blauäugigen und populistischen Vorschlägen muss hier der städtische Haushalt eintreten oder andere öffentliche, von Steuergeldern gefüllte Kassen.”

Das ist tatsächlich genau das, was er auch im Oktober gesagt hat. Tatsächlich kann er gar nichts anderes sagen. Es hat sich ja am Thema nichts geändert. Das Gutachten, das sich der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) zur künftigen Finanzierung des ÖPNV in der Region Leipzig/Halle bestellt hatte, hatte mehrere Anregungen gegeben, das Thema Finanzierung zu diskutieren. Das Bürgerticket war eine davon. Schon als das Wort aus dem zuständigen Stadtratsausschuss nach außen drang, schoss sich die LVZ auf das Bürgerticket ein und hatte auch keine Scheu, gleich mal gegen die “Zwangsabgabe” zu wettern, also gleich mal (ja, genau wie beim Freiheits- und Einheitsdenkmal) Vor-Urteile zu setzen und ein Projekt auf eine Diskussionslinie zu trimmen, wo es auf der politischen Ebene noch gar nicht war. Tatsächlich wurden erst die Gremien informiert über das Gutachten, die darin enthaltenen Zahlen zur finanziellen Entwicklung und die völlig offene Frage: Wie nun weiter?

Mit dem alten Klippklapp wird nun suggeriert, es gäbe gerade wichtige politische Weichenstellungen und das Thema “Bürgerticket” stünde auf der Agenda. Da steht es aber nur, weil die LVZ am Wochenende so getan hat, als wäre man in Berlin jetzt soweit, eines einzuführen. Was auch nicht der Fall ist.

Die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat reagiert denn auch auf die LVZ-Meldung und die Reaktionen der CDU auf die Ankündigung des MDV zur weiteren Untersuchung alternativer Finanzierungsformen “mit völligem Unverständnis”.

“Die Linke  begrüßt und unterstützt dieses Vorgehen des MDV ausdrücklich”, erklärt die verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion Franziska Riekewald. “Eine weitere eingehende Untersuchung von alternativen Finanzierungsformen ist – gerade mit Blick auf die rechtlichen Möglichkeiten – absolut notwendig. Nur so ist es möglich, die inzwischen zur Routine gewordenen jährlichen Preissteigerungen der LVB zu stoppen.”

Das ist also nichts Neues.

Und dass die Grünen den MDV-Geschäftsführer Steffen Lehmann am Donnerstag, 26. März, zur Diskussion eingeladen haben, ist schlichtweg Teil des Entscheidungsfindungsprozesses. Und der wird jetzt noch zwei Jahre dauern. Ist aber so gewollt. MDV, Verwaltung und Stadtrat möchten das Thema wirklich gründlich durchdenken. Denn zumindest eines hat das MDV-Gutachten ja gezeigt: Einfach mal ein paar kosmetische Korrekturen reichen nicht. Es braucht eine neue, nachhaltige Finanzierungsstrategie.

“Dieses Prozedere entspricht immerhin auch der Beschlusslage des Stadtrates”, betont Riekewald. “Die Ratsversammlung beschloss im November 2012 einstimmig (!) die Beauftragung des Oberbürgermeisters bzw. seiner Vertreter in der Gesellschafterversammlung des MDV mit der Untersuchung alternativer Formen zur Finanzierung des ÖPNV im Rahmen der laufenden Strategiediskussion. In dieser Ratsversammlung war nachweislich auch die CDU-Fraktion anwesend. Wenn die MDV-Geschäftsführung nun an dem Thema weiterarbeitet, ist das nur die konsequente Umsetzung des Willens des Stadtrates.”

Das im Sommer 2014 – mit einem Jahr Verspätung – vorgestellte Gutachten ist nur das erste Ergebnis dieses Auftrags. Sogar ein notwendiges, weil es ziemlich eindeutig zeigte, wie der ÖPNV in der Region immer mehr auf Verschleiß fährt und in den nächsten Jahren eindeutig in ein Finanzierungsloch gerät, das mit immer neuen Fahrpreiserhöhungen für die Fahrgäste nicht zu stopfen ist. Das ist die zentrale Botschaft.

Und mal so gesagt: Es ist eine erfreuliche Botschaft, dass sich jetzt auch Verwaltungen und Stadträte endlich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen. Ob sich dann am Ende das Bürgerticket als die sinnvollste und beste Lösung des Problems herausstellt, ist völlig offen. Normal sind auch in der regionalen Politik Kompromisse, die auch von den eher autoaffinen Parteien mitgetragen werden. Und eine Aussage war von der MDV-Informationsveranstaltung im November ebenfalls mitzunehmen: Die Nahverkehrs-Experten gehen davon aus, dass ein Bürgerticket derzeit in Leipzig politisch noch nicht vermittelbar ist. Das Signal hat man ganz gewiss auch im Rathaus gehört, wo ein vorsichtiger OBM ganz bestimmt versuchen wird, eine Lösung zu finden, die er politisch auch vermitteln kann – auch der CDU.

Und so sieht auch die Linksfraktion die Debatte völlig offen.

Franziska Riekewald: “Auch die Fraktion Die Linke wird sich inhaltlich weiter mit alternativen Finanzierungsmöglichkeiten beschäftigen. Priorität hat hierbei die Einführung eines solidarisch finanzierten Bürgertickets. Dazu werden wir uns in unserer diesjährigen Klausurberatung am 11. April dem Thema umfassend widmen und Expertenmeinungen einholen”.

Wie offen die Diskussion um die Finanzierung der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB), die in Leipzig den ÖPNV abwickelt, aus Rathaussicht tatsächlich noch ist, zeigte im Dezember eine Antwort an den damaligen Linke-Stadtrat Jens Hermann-Kambach: “Die Fortschreibung des Nahverkehrsplanes beginnt in den nächsten Monaten mit einer verwaltungsseitigen Evaluierung des aktuellen Nahverkehrsplans und Vorschlägen hinsichtlich etwaiger Anpassungsbedarfe. Die Bearbeitungsdauer der Fortschreibung wird dabei auf 2 Jahre geschätzt. Ob und wenn ja, inwieweit sich daraus Folgen für eine Anpassung der Finanzierungsstruktur und -höhe ergeben, kann erst in der Folge beantwortet werden”.

Das heißt also: Zwei Jahre Diskussionszeit und frühestens 2017 konkrete Vorschläge, wie das Finanzierungsdilemma aus Leipziger Sicht langfristig gelöst werden soll.

Der einzige Weg, dass ein Bürgerticket vorher spruchreif werden sollte, wäre ein überraschendes Abstimmungsergebnis aus dem Stadtrat. Aber dazu braucht es eine Mehrheit, die Grüne und Linke allein nicht haben. Und von den anderen beiden großen Fraktionen – CDU und SPD – ist nicht zu erwarten, dass sie so einem Vorstoß aktuell zustimmen würden.

Aber auf die Veranstaltung der Grünen können wir an dieser Stelle ja noch einmal hinweisen

In einer Veranstaltung „Grüne Ideen für die Nahverkehrsfinanzierung“ will der Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen am Donnerstag, 26. März, um 18 Uhr im Pögehaus (Hedwigstraße 20/Neustädter Markt) alternative Finanzierungsansätze diskutieren. Zu Gast ist Steffen Lehmann, Geschäftsführer des MDV.

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2 Jahre für ein Diskussionspapier. 2 Jahre ein bisschen Kaffeetrinken und ab und an mal mit den XXL probefahren, um etwas ÖPNV-Gefühl zu bekommen. 2 Jahre, wo weiter nichts geschieht, und in denen Leipzig vermutlich weitere 10 Jahre zurückfallen wird hinter zivilisierten Großstädten, für die ein guter ÖPNV eine der ersten Bedingungen guter Urbanität ist.

Mal zum Vergleich: In den frühen 1990ern wurde innerhalb von zwei oder drei Jahren das Semesterticket erfunden und für die Hochschulen in Darmstadt (Hessen) umgesetzt. Mit 14 DM(!!!) pro Semester. Das Semesterticket ist rechtlich wesentlich heikler (gibt ja auch immer Diskussionen) als so ein Diskussionspapier, welches die Leipziger Verkehrsschläfer…äh …politiker zusammenzustellen gedenken.

Nun haben es Stadt Leipzig und MDV geschafft, in Sachen ÖPNV sogar die ansonsten hellwache Lizzy einzuschläfern.

Wenn es so bleibt, wird in der Heldenstadt Leipzig nix mehr mit einem guten ÖPNV. Kein besseres Berlin, nur noch eine peinliche Autostadt.

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