Am Freitag, 24. April, veröffentlichte Innenminister Markus Ulbig (CDU) die neuesten Zahlen zu Verkehrsunfällen in Sachsen 2014. Nebst einer Auswertung nach Altersgruppen, Verkehrsart und - na ja - Fahren unter Drogen. Eine Statistik, die über die Probleme im sächsischen Verkehr gar nichts sagt. Aber was gesagt werden soll, muss ja mal gesagt werden dürfen.

Innenminister Markus Ulbig: „Alkohol und Drogen haben am Steuer nichts zu suchen. Entsprechende Kontrollen sind auch weiterhin ein Schwerpunkt polizeilicher Arbeit.“

Dabei ist das gar nicht das Hauptproblem im sächsischen Straßenverkehr. Die Alkoholunfälle haben in Sachsen seit den wilden 1990-er Jahren sogar drastisch abgenommen – von 8.577 im Jahr 1995 auf 1.724. Auch die Personenschäden nach Alkoholunfällen nahmen ab – von 2.980 auf 659.

Aber tatsächlich hat der Anteil der Leute, die betrunken Auto fahren, gar nicht abgenommen. Die Zahl der festgestellten Trunkenheitsfahrten bei Verkehrskontrollen ist praktisch stabil zwischen 6.000 und 8.000.  Im Jahr 2000 gab es einen Ausreißer, weil die Polizei die Zahl der Kontrollen drastisch ausgeweitet hatte. Da gab’s dann gleich mal die doppelte Zahl. Gegenüber 2013 stieg die Zahl scheinbar auch an – von 6.426 auf 6.080. Aber nach einem wirklichen Rückgang des Problems sieht das nicht aus.

Warum sinken dann die Unfallzahlen mit Alkohol?

Die wahrscheinlich richtige Antwort: Weil die Sachsen immer seltener dort wohnen, wo ein Unfall passieren kann.

Deswegen erwähnen wir hier das Thema “Fahren unter Drogen” auch nur nebenbei. Das Innenministerium wettert war über steigende Zahlen von Leuten, die bei Verkehrskontrollen unter Drogeneinfluss erwischt werden, und auch (noch in geringer Größenordnung) steigende Unfallzahlen unter Drogen.

Aber die Statistik lässt daran zweifeln, dass diese Menschen wirklich erziehbar sind. Alle Kopfstände des Innenministers können nicht darüber hinwegtäuschen, dass unsere Gesellschaft ein Drogenproblem hat. Und noch ein paar andere dazu. Bei 8.196 Kontrollen wurden zum Beispiel Leute aus dem Verkehr gefischt, die beim Fahren das Mobiltelefon am Ohr hatten. Das waren deutlich mehr als die 6.426 Alkoholisierten.

Und wie war das mit den 44.047 Fahrern und Mitfahrern, die ohne “Rückhalteeinrichtungen” erwischt wurden? Die also einfach nicht angeschnallt waren? Das waren fast 3.000 mehr als im Vorjahr. Was ja wohl heißt: Eine Menge Leute mit viel PS unterm Hintern spielt weiterhin Hasard im Straßenverkehr, spielt mit dem eigenen und mit fremden Leben.

Warum gingen die Unfallzahlen zurück von 109.315 auf 105.577?

Die Antwort lautet wie oben: Die Leute wohnen immer seltener da, wo ein Vorstoß schnell zum Unfall führt. Sie wohnen immer öfter in den Städten, wo sie dann gern einstimmen in den Chor, es stocke überall, man käme nicht schnell genug voran. Überall gäbe es Tempo-30- und Tempo-50-Zonen.

Das ist der Hauptgrund dafür, dass die Zahl der Unfälle überall in Deutschland sinkt. Nicht die tolle Technik. Die Obacht der Autofahrer schon gar nicht, von denen einige eben nicht auf Alkohol und Joint verzichten können und auf Telefonieren bei der Fahrt auch nicht.

Das Innenministerium stellt es selbst ganz trocken fest: “Häufigste Ursach für schwere Unfälle mit Todesfolge war hier ‘nichtangepasste Geschwindigkeit’.”

Es wird gerast, wo es das Straßenpflaster hergibt. Deswegen gibt es zwar die meisten Unfälle “innerorts”, aber die meisten Verkehrstoten draußen auf dem freien Land. Da stieg die Zahl der Getöteten sogar – von 82 auf 106, während sie innerorts von 88 auf 56 sank. Und auch da sind es eher die Dörfer und kleinen Städte, wo das Leben auf der Straße gefährlich ist, nicht die Großstädte, wo mittlerweile jeder dritte Sachse wohnt.

Was auch sichtbar wird, wenn es um die Verkehrsmittel geht, mit denen die bei Unfällen Geschädigten unterwegs waren. Die meisten Verletzten und Getöteten gab es bei Unfällen mit Pkw. Radfahrer sind zwar bei den Verletzten die zweitgrößte Gruppe, aber nicht bei den Getöteten. Da sind es die Motorradfahrer, die allein 34 der 184 Getöteten stellten, dazu noch zwei tote Mofafahrer. Und dann kommen die Radfahrer noch lange nicht, sondern erst einmal die Fußgänger – 30 mussten 2014 in Sachsen ihr Leben im Verkehr lassen – bei den Radfahrern waren es 24.

Aber auch bei der Zahl der verunglückten Kinder spielt unübersehbar die demografische Entwicklung in Sachsen eine Rolle. Auch wenn der Innenminister hier den Sorgenapostel heraushängen lässt: “Anlass zur Sorge ist für mich die gestiegene Zahl verunglückter Kinder. Wir brauchen mehr Verantwortungsbewusstsein mit Rücksicht auf die Schwächsten.“

Denn erstens gibt es natürlich wieder mehr Kinder in Sachsen. Und sie sind fast alle gezwungen, sich öfter im Straßenverkehr aufzuhalten, denn von wohnortnahen Kindergärten oder Schulen kann man in Sachsen immer öfter nur noch träumen. Auf dem Lande ist es fast schon normal, dass die Kinder von den Eltern Tag für Tag durch die Landschaft gekarrt werden. Logische Folge: Die meisten Kinder waren als Mitfahrer im elterlichen Auto unterwegs. Die Zahl der auf diese Weise verunfallten Kinder stieg von 446 auf 472. Und wenn sie dann älter werden, sind sie natürlich öfter mit dem Fahrrad zur (fernen) Schule unterwegs – allein hier nahm die Zahl der Unfälle von 344 auf 403 zu.

Längere Wege, schlechterer ÖPNV und ein immer dünneres Schulnetz haben ihren Preis.

Die ganze sächsische Unfallstatistik für das Jahr 2014 ist ein Abbild der demografischen Veränderungen. Dazu gehört auch die weiter sinkende Zahl von verunfallten jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren. Was nur logisch ist – gerade diese jungen Sachsen sind ja in den vergangenen Jahren vom Land in die Großstadt geflüchtet, wo man eben – auch dank ÖPNV – seltener verunglückt. Seltener als auf dem Land, auch wenn diese jungen Leute so schrecklich risikolustig sind: Sie stellen nur den 19. Teil der Bevölkerung, aber jeden 7. Verunfallten.

Nur differenziert die am Freitag ausgereichte Statistik natürlich nicht nach Unfall auf der Landstraße und Unfall in der Stadt.

Die sonst so gern als “bremsend” empfundene Stadt mit ihrer starken Regulierung trägt eindeutig dazu bei, dass Unfallzahlen sinken und auch die registrierten Personenschäden. Denn die meisten Verkehrsteilnehmer – und auch die mit PS unterm Hintern – sind augenscheinlich nicht belehrbar. Da reißt man lieber Witzchen über Punkte in Flensburg oder abgeschmetterte Ordnungsgelder. Tatsächlich aber ist auch die Zahl der festgestellten Geschwindigkeitsverstöße 2014 wieder gestiegen – von 328.331 auf 354.214.

Eine Menge Leute verlässt sich auch weiterhin darauf, dass das Auto für sie denkt, und drückt das Gaspedal durch, schnallt sich nicht an, telefoniert während der Fahrt usw.

Da ist es eher erstaunlich, dass nicht mehr passiert.

Die steigende Zahl von Unfällen mit Personenschaden innerorts (von 9.587 auf 10.106) würde dafür sprechen. Aber gerade weil die Geschwindigkeiten in den Städten deutlich reduziert sind, hat die steigende Zahl seltener schlimme Folgen.

Die “positive Entwicklung”, die Markus Ulbig als “Ansporn” begreift, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als das Ergebnis der innersächsischen Wanderung vom Land in die Großstädte. Und die Großstadt ist augenscheinlich fürs Überleben der Verkehrsteilnehmer deutlich besser geeignet.

Die vom SMI ausgereichte Verkehrsunfallstatistik für 2014 als pdf zum Download.

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