Fast hätte es Leipzigs Verwaltung verpasst, die Einstellung der Straßenbahnlinie 9 zwischen Connewitz Kreuz und Markkleeberg beschließen zu lassen. Jetzt hat sie schnell noch eine Abstimmungsvorlage für den Stadtrat am 28. Oktober vorbereitet, um sich quasi nachträglich die Zustimmung für einen Vorgang zu holen, der schon am 28. November umgesetzt werden soll. Und selbst Stadträte grübeln: Wer hat da eigentlich entschieden?

Dass da irgendetwas gewaltig schiefgelaufen ist, das wurde auch am Donnerstag, 8. Oktober, bei der Informationsveranstaltung zur Linie 9 im Neuen Rathaus deutlich. Eigentlich hätte die Veranstaltung im April stattfinden sollen, bevor der Landkreis Leipzig und der Stadtrat von Markkleeberg über das neue Verkehrskonzept in Markkleeberg entschieden. Immerhin war nicht nur bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) klar, dass eine Entscheidung des Landkreises für das dortige neue Verkehrskonzept zwangsläufig bedeuten würde, dass die Straßenbahnlinie 9 in Markkleeberg nicht mehr vom Landkreis Leipzig finanziert werden wird. Knapp 500.000 Euro Zuschuss waren damit weg und die Leipziger Verkehrsbetriebe mussten nach einer Alternative suchen.

Die sieht jetzt so aus, dass die Linie 9 ab Connewitz Kreuz über die Bornaische Straße zur Klemmstraße fährt. Die Route nach Markkleeberg übernimmt die Buslinie 70. Die dann freilich genauso “parallel” zur S-Bahn fährt wie zuvor die Straßenbahn, denn sie wird trotzdem gebraucht. Denn die Fahrgastzahlen in der Linie 9 in Markkleeberg sind nach Eröffnung des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes im Dezember 2013 zwar um 25 Prozent gesunken, aber verschwunden sind sie nicht.

Woher stammen die 25 Prozent Fahrgastrückgang?

Die 25 Prozent tauchen in einigen Papieren auf, die die LVB in den letzten Wochen vorgelegt haben. Am Donnerstagabend wurden sie wieder Thema und einige Vertreter der Leipziger Stadtratsfraktionen erfuhren tatsächlich zum ersten Mal, auf welcher Basis sie entstanden. Es sind simple Auswertungen aus den Zählautomaten in den Straßenbahnen. Die eine Zahl stammt aus dem Jahr 2012, als die LVB am Forsthaus Raschwitz 2.079 Fahrgäste am Tag zählten, die Richtung Leipzig unterwegs waren. Die andere Zahl stammt aus dem Jahr 2014, als dort noch 1.564 Fahrgäste am Tag gezählt wurden. Macht dann nach Adam Ries nicht ganz 25 Prozent. Rund 500 Fahrgäste aus Markkleeberg haben sich also entschieden, umzusteigen. Vielleicht auf die S-Bahn, die deutlich schneller in der Leipziger Stadtmitte ist als die Straßenbahn. Die Zeitersparnis beträgt rund 10 Minuten, berichtete Holger Flache, der bei den LVB für die Verkehrsplanung zuständig ist, am Donnerstag.

Er hatte viele Zahlen mitgebracht. Zur Freude der Leipziger und einer ganzen Reihe von Stadträten, die diese Zahlen noch nicht kannten. Worüber es am Rande der Veranstaltung noch einen kleinen Zwist gab. Waren die Zahlen in der Aufsichtsratsitzung der LVB am 17. September ebenfalls bekannt gemacht worden oder nicht? Franziska Riekewald aus der Linksfraktion meinte: Nein, waren sie nicht. Michael Schmidt aus der Grünen-Fraktion meinte: Waren sie doch.

Die Diskussion findet ein Jahr zu spät statt

Ist das ein Grund zum Streiten?

Natürlich. Nur dass der Streit ein ganzes Jahr zu spät stattfindet. Denn tatsächlich brodelt dahinter der Unmut in drei Ratsfraktionen (SPD, Linke und Grüne), dass die Leipziger Ratsversammlung über die Einstellung der Linie 9 nie beschlossen hat und auch keine Meinungsfindung dazu stattfand.

Auch das wurde Thema am 8. Oktober und es war ganz und gar nicht tröstlich, dass man dann hörte, dass die LVB schon seit 1998 über die Einstellung der Linie 9 nachdenken. Das wurde seinerzeit im ersten Nahverkehrsplan der Stadt thematisiert, der freilich in Gänze unter dem Stern einer “schrumpfenden Stadt” stand. Kein Mensch wunderte sich damals darüber, dass über die Einstellung von Straßenbahnlinien diskutiert wurde. Und einige sind ja dann wirklich mit der großen Netzreform verschwunden: die Linie 24 zum Beispiel genauso wie die Linie 22.

Die Linie 9 tauchte dann 2007 auch im nächsten Nahverkehrsplan der Stadt als Untersuchungsstrecke auf, damals auch noch mit dem ganzen Streckenabschnitt vom Bayrischen Bahnhof bis zum Connewitzer Kreuz. Ein Abschnitt, für den die nächsten Untersuchungen zeigten, dass die Einstellung völlig unwirtschaftlich wäre, selbst wenn Fahrgäste auf die neue S-Bahn umsteigen würden. Die meisten wären auf die Linien 10 und 11 ausgewichen, die im Tagesbetrieb oft schon zum Bersten gefüllt sind. Dieser Abschnitt wurde also schon 2009 als Untersuchungsstrecke aufgehoben.

Blieb jener Abschnitt, der jetzt auf einmal holterdipolter eingestellt werden soll.

Wann hat der Stadtrat dazu diskutiert und entschieden, war eine Frage, die am Donnerstagabend nur mit Schweigen beantwortet werden konnte. Er hat dazu nicht entschieden, sonst wäre ja die Vorlage der Stadtverwaltung jetzt nicht nötig.

Aber wer dann? Dazu gleich mehr im 2. Teil.

Stadtratsvorlage für den 28. Oktober.

Das Streckennetz, wie es am 28. November inkraft treten soll.

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Grundsätzlich soll man jeder Angabe, die die LVB machen, mit tiefem Misstrauen begegnen.

Hier bei diesen Zahlen 2.079 und 1.564 ist schon mal die auf die letzte Stelle genaue Angabe irritierend. Mag sein, dass es Durchschnittwerte sind. Nur über welchen Zeitraum genommen? Über einen Tag (welches Datum?), über welche Woche (welche Kalenderwoche?), über welchen Monat (welcher?) oder über das ganze Jahr? Seriöser wäre es gewesen, die Jahreszahl der Fahrgäste zu benennen. Dazu Vergleichswerte mit anderen Straßenbahnlinien,um sich einen Eindruck zu verschaffen, ob 2000 Fahrgäste auf den letzten 2 Kilometern einer mäßig gut erschließenden Strecke nicht sogar noch ganz gut sind. Man kann ja mal messen, wer hinter Wahren noch sitzenbleibt (Linie 11) oder hinter Leutzsch (Linie 7). Dürfte städtebaulich ganz ähnlich sein.

Dazu kommt noch, dass die LVB gar nicht so viele Zählwagen haben. Das sind vielleicht 20 oder 30 Stück für alle Linien. Und ob die haltestellengenau arbeiten, bezweifele ich auch erheblich.

In den S-Bahnen wird an jeder Tür gezählt (über Videokamera, die sogar Ein- und Aussteiger unterscheiden kann(!)), die MDSB verfügt über (statistisch gesehen für die Mehrkosten sogar überflüssig genaue) Daten auf den S-Bahn-Linien.
In puncto Datenerhebung bei den Fahrgastzahlen können die LVB hier überhaupt nicht mithalten – und das merkt man auch im täglichen Betrieb, wo stark ausgelastete Linienäste wie der Ostast der Linie 4 eisern mit NGT8 befahren werden, während in den XXL der Linie 16 abends mehr leere Coladosen auf dem Boden herumrollen als Fahrgäste überhaupt sitzen.

Mir ist nicht klar, welcher Teufel die LVB seit mehr als zehn Jahren reitet, die Linie 9 stilllegen zu wollen.

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