Die Stadtratssitzung am Mittwoch, 28. Oktober, wird spannend. Nicht nur, weil es eine Aktuelle Stunde zur Bewältigung der Flüchtlingsproblematik in Leipzig gibt (wozu die CDU-Fraktion schon vorab mal einen Brief an OBM Burkhard Jung geschrieben hat), sondern auch, weil der Beschluss zur Einstellung der Linie 9 nach Markkleeberg auf der Tagesordnung steht.

Mit erheblicher Verspätung hat die Stadtverwaltung diesen Beschluss formuliert. Markkleeberg und der Landkreis Leipzig haben schon im Juli entschieden. Das ist ein eigenes Thema und es könnte sich auch für die Markkleeberger als richtiger Bumerang erweisen, was sie da als schickes neues Verkehrskonzept für ihre Stadt beschlossen haben. Denn die Frage ist natürlich spannend: Können zwei neue Buslinien, die beide im Halb- und Ganzstunden-Takt verkehren, überhaupt annähernd ersetzen, was mit einer im 10-Minuten-Takt verkehrenden Straßenbahn wegfällt? Die Buslinie 70 soll ja stattdessen verkehren. Aber mittlerweile mehren sich von mehreren Seiten die Zweifel, was das soll: Da stellen LVB und MDV einhellig fest, dass man auf der Strecke Connewitz-Markkleeberg-West eindeutig einen dichten Fahrtakt von 10 Minuten braucht (trotz “parallel” verkehrender S-Bahn), und dann ersetzt man die barriereärmere Straßenbahn durch Busse und kalkuliert weitere Fahrgastverluste mit ein.

Logisch ist das nicht.

Und deswegen sind zumindest Stadträte aus drei Parteien der Überzeugung, dass der Antrag der Verwaltung zur Stilllegung des Straßenbahnastes am 28. Oktober so nicht beschlossen werden kann. Es sind die beiden Mitglieder der Linksfraktion Franziska Riekewald und Marco Götze, die Stadträtin der Piraten Ute Elisabeth Gabelmann und SPD-Stadtrat Mathias Weber, die gemeinsam einen Änderungsantrag formuliert haben, der die Straßenbahn zumindest auf Leipziger Gebiet bis zur Beschlussfassung eines neuen Leipziger Nahverkehrsplans erhalten sehen will.

Denn im alten Nahverkehrsplan steht die Straßenbahnlinie nach Markkleeberg-West bis heute als Untersuchungsstrecke. Und aufheben kann man den Status nur, wenn man im gesamten Nahverkehrsplan nachweisen kann, dass die Stilllegung sinnvoll ist und Alternativen nicht finanzierbar. Aber dazu gibt es keine Vorlagen für den Stadtrat. Die Untersuchungen zur Auslastung der Linie 9 haben ihre Tücken. Alternativen oder gar eine Aufwertung der Strecke wurden überhaupt nicht untersucht.

Und aus der Informationsveranstaltung, die dann auf den letzten Drücker am 8. Oktober stattfand, gingen die interessierten Stadträte noch verwirrter heraus als sie hineingegangen sind. Die uninteressierten Stadträte waren gar nicht erst da, was natürlich für die Stadtratsentscheidung am 28. Oktober ein großes Fragezeichen ergibt: Werden sie wieder – wie beim Linke-Antrag im September – einfach nur den leichten Weg gehen und der Vorlage der Verwaltung zustimmen? Oder sehen sie den Handlungsbedarf im Fall dieser Straßenbahn und fordern eben von Verwaltung und LVB eine profunde Vorarbeit, die überhaupt erst eine fachliche Entscheidung ermöglicht?

Und so fordern die genannten Stadträte nicht nur eine Änderung des ersten Beschlusspunktes in: “Die Straßenbahnlinie 9 wird auf dem Streckenabschnitt Connewitz Kreuz bis zur Stadtgrenze auch nach dem Fahrplanwechsel Ende November 2015 bis mindestens zur Beschlussfassung des fortzuschreibenden Nahverkehrsplanes weiter betrieben.”

Was natürlich den Druck auf die Verwaltung erhöhen würde, endlich einen sachlich durchdachten neuen Nahverkehrsplan vorzulegen.

Und der Antrag fordert ein externes Gutachten – also nicht die üblichen Betrachtungen von LVB und MDV aus der Innensicht, die zumeist durchs eigene Tagesgeschäft beschränkt sind. Und natürlich durch die finanziellen Vorgaben, denn seit 2014 liegt ja nun auch das “Gutachten” des MDV auf dem Tisch, das alle Stadträte mit enormen Kostensteigerungen im ÖPNV der Region erschreckt hat, als hätte man gerade 2014 erst das Wort Inflation erfunden.

Mittlerweile liegen ja auch einige vage Ideen für “alternative Finanzierungsquellen” vor. Aber das Grundproblem ist nicht gelöst: Gerade die Kommunen haben ihren ÖPNV in den letzten Jahren alle als Einsparquelle benutzt. Auch Leipzig. Noch 2009 hat die Stadt die LVB mit 52 Millionen Euro bezuschusst. 2010 sank der Betrag auf 50 Millionen, im Folgejahr auf 48 Millionen Euro. Seit 2012 versucht das Verkehrsunternehmen mit 45 Millionen Euro über die Runden zu kommen. Doch das reicht hinten und vorne nicht.

Das hat zwar geholfen, den Stadtkonzern LVV zu sanieren, der die Unterstützung für die LVB aus den Überschüssen von Stadtwerken und Wasserwerken querfinanziert. Aber allein die Diskussion um die Linie 9 zeigt, dass die LVB schon lange ihre Kraft verloren haben, das eigene Netz (parallel zum Bevölkerungswachstum) auch wieder technisch auf Wachstumskurs zu bringen.

Wer nachrechnen will: Gegenüber 2009 haben die LVB von Stadtseite mit insgesamt 34 Millionen Euro weniger auskommen müssen. Geld, das beim Personal eingespart wurde, aber auch bei Netzinvestitionen oder Taktverdichtungen fehlt. Wenn im Stadtrat der Wunsch auftaucht, auf stark frequentierten Linien endlich einmal eine Taktverdichtung herzustellen, kommt prompt die Kostennote der LVB, denn das ist dann nicht mehr durch den Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag gedeckt (der schlicht den Status Quo der Vergangenheit festschreibt), sondern muss durch Extraüberweisungen aus der Stadtkasse ausgeglichen werden. Ein einziger Verschiebebahnhof, der am Ende aber die Kostensteigerungen fast komplett bei den Fahrgästen ablädt.

Deswegen fordern die vier Stadträte lieber ein externes Gutachten in Punkt 2 ihres Antrags: “Zur Fortschreibung des Nahverkehrsplanes wird ein externes Gutachten dem Stadtrat vorgelegt, in welchem untersucht wird, wie sich die Fahrgastpotentiale im MDV Liniennetz Zone 110 weiter steigern lassen. Besondere Berücksichtigung gilt dabei den Hinweisen des Fahrgastverbandes ProBahn zur Linie 9 bzgl. einer Streckenverlängerung und ob eine Einstellung der Straßenbahn im o.g. Abschnitt notwendig ist.”

Der alte Punkt 2 wird dann zu Punkt 3: “Die Ratsversammlung beschließt einen neuen Basisfahrplan entsprechend des Fahrplanangebotes ab dem 13.12.2015 auf Grundlage des Betrauungsbeschlusses zur Betrauung der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH (Anlage 2 des Konzeptes zur Finanzierung des ÖPNV in der Stadt Leipzig und Betrauung der LVB).”

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Es gibt 2 Kommentare

Die Leipziger Grünen haben sich durch ihren (hysterischen) Offenen Brief ins Abseits gekegelt.

Absurd.

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