Sicher darf man Leipzigs Stadträte beglückwünschen. Heftig diskutieren sie die Frage, ob die Leipziger Verkehrsbetriebe nun mehr Zuschüsse brauchen oder nicht. Eine Frage, die seit zwei Jahren auf dem Tisch liegt. Jeder erinnert sich noch an das große MDV-Gejammer 2014 über die exorbitant steigenden Nahverkehrskosten. Und dann lehnen sie den Linke-Antrag, den Zuschuss endlich mal auf 48 Millionen Euro zu erhöhen, ab. Die Retourkutsche gibt es postwendend.

Denn da die Stadtratsmehrheit auch so freundlich war, den alten, längst überarbeitungsreifen Nahverkehrsplan von 2009 bis ins Jahr 2017 zu verlängern, haben die Stadtratsfraktionen auch keine Argumente in der Hand, um höhere Zuschüsse für die LVB zu begründen. Denn begründen kann man die nur, wenn man vom eigenen Nahverkehrsunternehmen mehr Leistungen abfordert. Und die müssen natürlich im Nahverkehrsplan beschlossen sein. Neue Straßenbahnlinien zum Beispiel, neu erschlossene Wohngebiete, dichtere Takte im Berufsverkehr usw. All die Dinge, bei denen die Fahrgäste schon lange merken, dass da irgendwas klemmt.

Natürlich liegt es am Geld. Man kann nicht alle Kostensteigerungen allein auf die Tarife umschlagen, so wie das derzeit im gesamten MDV der scheinbar einzig verbliebene Weg ist.

Das Ergebnis bekommt die Ratsversammlung jetzt auf den Tisch: Die Stadtverwaltung wünscht sich eine Unterschrift für die Festlegung, dass der Zuschuss aus den letzten Jahren auch für 2015 und 2016 so bleibt, wie er ist: 45 Millionen Euro. (Klammer auf: Obwohl es für beide Jahre darüber bislang keine vertragliche Regelung gab. Das soll jetzt schnellstens nachgeholt werden.)

Man muss die Begründung schon sehr genau lesen, um zu erkennen, dass es wirklich der Leipziger Stadtrat ist, der hier das Heft des Handelns völlig ohne Not aus der Hand gegeben hat. Zwar ist die Auslegung des europäischen Rechts bei der Beauftragung des eigenen Verkehrsunternehmens in Leipzig besonders eng, was auch zum Ergebnis hat, dass die Kostensteigerungen allein bei den Fahrgästen landen und die beauftragten Rechnungsprüfer zu dem Ergebnis kommen können, dass die von der Stadt beauftragten Leistungen mit den 45 Millionen Euro abgedeckt sind.

Denn der Rest ist reine Betriebswirtschaft. Nichts anderes haben die Rechnungsprüfer untersucht und am Ende festgestellt, dass „für die betrachtete Periode 2014 die Finanzierung der LVB im gesamten Bereich Linienverkehr und auf dem Gebiet der Stadt Leipzig den finanziellen Nettoeffekt gemäß Anhang der VO (EG) 1370/2007 nicht überschreitet und aus beihilferechtlichen Gesichtspunkten nicht zu einer rechnerischen Überkompensation führt und der angesetzte Gewinn angemessen ist“.

Womit man bei der in der Begründung erwähnten “VO (EG) 1370/2007” wäre, der “VERORDNUNG (EG) Nr. 1370/2007 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 23. Oktober 2007”, in der in Punkt 27 auch geregelt ist, wie Kommunen sich zu verhalten haben, wenn sie ihre ÖPNV-Beauftragung nicht mit einem Wettbewerbsverfahren regeln, sondern ein eigenes Unternehmen beauftragen. Das dürfen sie nämlich. Niemand zwingt sie, einen Wettbewerb durchzuführen. Und die EU-Kommission hat durchaus auch bemerkt, dass sich einige qualitative Standards nur durch so eine Eigenbeauftragung sichern lassen.

Aber in der europäischen Gesetzgebung würden ja einige private Interessenten nicht so mächtig mitmischen und Klinken putzen, wenn sie am Ende nicht auch ihre privatwirtschaftlichen Regeln in die Gesetze schreiben dürften. Eine davon klingt zum Beispiel so: “Um ungerechtfertigte Wettbewerbsverfälschungen zu vermeiden, darf die Ausgleichsleistung zum anderen nicht den Betrag übersteigen, der notwendig ist, um die Nettokosten zu decken, die durch die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verursacht werden, wobei den dabei erzielten Einnahmen sowie einem angemessenen Gewinn Rechnung zu tragen ist.”

Und genau das haben die Rechnungsprüfer jetzt für die LVB geprüft. Mit dem Ergebnis: der “finanzielle Nettoeffekt” wurde 2014 nicht überschritten. Die 45 Millionen Euro haben den Minuseffekt der LVB nicht überschritten. Sonst hätten es die LVB ja als “Gewinn” abführen müssen.

Und wie berechnet man diesen “finanziellen Nettoeffekt”?

Selbst das hat die EU vorgegeben.

Vom Gesamtergebnis werden “alle positiven finanziellen Auswirkungen, die innerhalb des Netzes entstehen, das im Rahmen der betreffenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung(en) betrieben wird”, abgezogen. Auch alle “Einnahmen aus Tarifentgelten oder alle anderen Einnahmen, die in Erfüllung der betreffenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung(en) erzielt werden” werden abgezogen “zuzüglich eines angemessenen Gewinns”, das ergibt dann den “finanziellen Nettoeffekt”, den die “beauftragenden Behörden” bezuschussen dürfen.

Wer sich allein auf diese Regelung beruft, lädt natürlich alle Kostensteigerungen bei den Fahrgästen ab. Und die deutschen Kommunen bekommen natürlich genau den ÖPNV, den sie jetzt haben – zurechtgespart und mit Entsetzen der Zukunft entgegenblickend, in der die Kosten exorbitant steigen und die Kommunen ihre Zuschüsse gedeckelt haben, weil das irgendwie in den EU-Verordnungen so steht.

Oder wie es jetzt forsch in der Vorlage steht: “Aus beihilferechtlichen Gründen darf der Höchstbetrag nicht oberhalb der Summe des sich aus den einzelnen Finanzierungskomponenten ergebenden Gesamtbetrages liegen.”

Natürlich kann die Stadt ihre Beauftragung ergänzen. Dazu muss sie aber den Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag (VLFV) verändern. Aber das wollte die Mehrheit des Leipziger Stadtrates im Herbst 2015 nicht. Und so wird es den Mandatsträgern auch unter die Nase gerieben: “Der Rat hat in seinem oben genannten Beschluss die Evaluation des VLFV von der Fortschreibung und etwaigen Anpassungen des Nahverkehrsplans abhängig gemacht. Nachdem der Rat durch Beschluss im Oktober 2015 die Fortschreibung des Nahverkehrsplans bis 2017 beschlossen hat, erfolgt die Evaluation des VLFV auch erst zu diesem Zeitpunkt. Dies ist auch sinnvoll und zweckmäßig, da vorher die von der Stadt zu beauftragenden gemeinwirtschaftlichen Leistungen in Folge der noch fehlenden Anpassung des Nahverkehrsplans nicht feststehen. Bis zu diesem Zeitpunkt verbleibt es deshalb bei dem Höchstbetrag von 45 Millionen Euro.”

Da haben also Leipzigs Stadträte im Herbst so ganz nebenbei schon die nächsten deftigen Fahrpreiserhöhungen für 2016 und 2017 beschlossen. Denn nichts anderes heißt es, wenn die Stadt ihren Zuschuss zu den LVB auch in den nächsten beiden Jahren deckelt.

Die Begründung der Vorlage.

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Es gibt 3 Kommentare

>Haben Sie Ihr persönliches Versagen (u.a. bei den Landtagswahlen) immer noch nicht analysiert bzw. begriffen? Es wären und waren nicht die ersten Schüsse, die nach hinten losgehen bzw. losgegangen sind. Wie langen wollen Sie noch aus dem (scheinbar) anonymen Hintergrund mit Platzpatronen feuern? Ihrer „neuen“ Partei dürfte das nicht gefallen!!!!

Wie meinen? “persönliches Versagen” bei den Landtagswahlen? “neue” Partei?

Ich bin nur 1 Stück Stimmvieh.

Ich habe sowieso den Eindruck, dass Sie Ihre Mitkommentatoren hier auf L-IZ mittlerweile verwechseln. Vielleicht machen Sie sich mal eine kleine Liste, wer mit welchen Aussagen hier so unterwegs ist.

“Wie man in Leipzig sowieso alles besser weiß.

Ach, heute soll doch die berühmte Gleiskreuzung abgebrochen werden – im Auftrag der Leipziger Vandalismusbetriebe.”

Nicht nur für das Finanzamt, sondern auch für Sie sollte der “Weihnachtsfrieden” heilig sein. Was soll eine solche Wortwahl “Leipziger Vandalismusbetriebe”?

Haben Sie Ihr persönliches Versagen (u.a. bei den Landtagswahlen) immer noch nicht analysiert bzw. begriffen? Es wären und waren nicht die ersten Schüsse, die nach hinten losgehen bzw. losgegangen sind. Wie langen wollen Sie noch aus dem (scheinbar) anonymen Hintergrund mit Platzpatronen feuern? Ihrer “neuen” Partei dürfte das nicht gefallen!!!!

Der Leipziger Stadtrat hat den Schuss nicht gehört.

Zur Kostenberechnung kommt es auf das wirtschaftliche Gesamtbild an, auch auf die berühmten indirekten Einnahmen.

Bei einem starken ÖPNV fließen die Kundengelder als Fahrkartenentgelte in die öffentliche Kasse, bei einem schwachen ÖPNV in die privaten Hosentaschen der diversen Parkhausbetreiber, die an die Stadt maximal einen festen Konzessionsbetrag zahlen.
Das ist nur ein Punkt, andere Effekte (geringerer Autoverkehr -> wenige Straßenschäden usw.) noch gar nicht bepreist.

Gerne wird vergessen, dass sogar der ADAC(!!!) festgestellt hat, dass es in Leipzigs Innenstadt viel zu viel Parkplätze gibt.

Anscheinend denken Leipziger Stadtrat und die Stadtverwaltung, dass die anderen europäischen Großstädte (wir könnten aber schon mit Halle und Dresden anfangen) einfach nur blöd sind, weil sie jetzt (eigentlich: schon seit ca. zehn Jahren) viel bis massiv in den ÖPNV investieren.

Allein, dass in Frankfurt am Main eine Straßenbahn neu gebaut wird, in einer Ecke, wo ich dachte, da müsste der Busverkehr doch dicke langen…

Oder die ganzen taufrischen Straßenbahnnetze in Frankreich.

Schon klar, andere Städte treiben sich mit dem ÖPNV in den totalen Ruin. Die erleuchteten Entscheider in Stadtrat und Stadtverwaltung zu Leipzig wissen es jedoch & natürlich besser. Wie man in Leipzig sowieso alles besser weiß.

Und dabei sind wir verkehrspolitisch irgendwo in den späten 1980er Jahren.

Ach, heute soll doch die berühmte Gleiskreuzung abgebrochen werden – im Auftrag der Leipziger Vandalismusbetriebe.

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