Eigentlich ist es höchste Zeit, das Lenkrad herumzuwerfen, das Auto rechts ran zu fahren und umzusteigen. Das ist eigentlich die Botschaft, die in der Absage der AMI 2016 in Leipzig steht. Denn wenn das Auto noch immer die Attraktion für die Ostdeutschen wäre wie 1990 oder 2000, dann hätten die Automobilhersteller ihren Auftritt vom 9. bis 17. April nicht abgesagt. Aber der Abgasskandal der Diesel-Hersteller hat die Sache natürlich beschleunigt.

Es hat vor allem für einen gigantischen Vertrauensverlust gesorgt. Denn auch die Autokäufer von heute sind sich sehr bewusst, dass ihr Auto Teil der Umweltproblematik in den Städten ist. Neben Preis und Motorleistung sind Faktoren wie ein niedriger Spritverbrauch und geringe Abgaswerte bei der Kaufentscheidung immer wichtiger geworden. Und nicht nur VW hat seinen Diesel-Käufern immer wieder suggeriert, dass es für seine Ingenieure kein Problem wäre, immer neue Wundertechniken aus dem Hut zu zaubern, die die Abgase immer sauberer machen.

Und dann der geplatzte Ballon, der bestätigte, was kritische Wissenschaftler und Umweltverbände immer wieder angeprangert hatten: Die offiziell ausgewiesenen Stickoxidwerte lagen um Dimensionen unter den tatsächlichen Abgaswerten.

Und mittlerweile steht nicht nur VW im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – bei anderen Diesel-Pkw-Herstellern scheint es nicht besser auszusehen: Statt wirklich alle Ingenieurkunst einzusetzen, die Abgaswerte tatsächlich zu senken, hat man getrickst und die Politik bestürmt, die Grenzwerte aufzuweichen.

Ein Vertrauensverlust ohnegleichen.

Gleichzeitig ist aber auch noch etwas anderes passiert: Den Autobauern gingen die jungen Käufer verloren. Selbst in Leipziger Statistiken ist das sichtbar: Junge Menschen verzichten immer häufiger auf den Kauf eines Automobils, bevorzugen vor allem die stärkste Konkurrenz für den Pkw in den Großstädten – nein, nicht die Straßenbahn, sondern das Fahrrad. Es ist noch viel flexibler als das Automobil, frisst keinen Sprit, man findet schneller einen Stellplatz und man kommt oft sogar viel direkter ans Ziel.

Die Zukunft der großen Städte gehört ganz faktisch dem Umweltverbund: Schusters Rappen, Fahrrad, ÖPNV.

Dass das in Leipzig noch immer stockt und klemmt, liegt auch an einer Verkehrspolitik, die jahrelang vor allem ans Auto dachte, wenn Verkehrsprojekte umgesetzt wurden. Der Radverkehr musste immer um die paar Peanuts kämpfen, die dabei abfielen. Und noch immer warten die Leipziger auf das neue, wirklich mal die ganze Stadt umfassende Radverkehrskonzept, in dem vielleicht auch endlich ein funktionierendes und lückenloses Hauptroutennetz steckt.

Es ist überfällig. Wie wenige andere Städte besitzt Leipzig ideale Voraussetzungen, eine richtige Radfahrerstadt zu werden – nicht mit 15 oder 20 Prozent Wegeanteil fürs Fahrrad, sondern mit 30 Prozent.

Ganz zu schweigen davon, dass der Ausbau des ÖPNV-Netzes in derselben Dimension ein Vielfaches kosten würde. Aber auch hier gilt: Das ÖPNV-System ist, als sich vor zehn Jahren die Trendwende im Großstadtverkehr andeutete, nicht mehr mitgewachsen. Und dabei ist es auch für Leipzigs Messemacher kein Geheimnis, dass sich das Verkehrsverhalten in allen deutschen Großstädten verändert. Deswegen hat man schon vor Jahren im Windschatten der Automobilmesse AMI die Alternativmesse „new mobility“ platziert.

Daran erinnerte am Montag, 22. Februar, auch Messechef Martin Buhl-Wagner: „Für die Leipziger Messe spielt das Thema Mobilität sowohl in diesem Jahr als auch in Zukunft weiterhin eine Rolle.“ Damit verwies er auf die vom 12. und 13. April stattfindende „new mobility 2016“, die Fachmesse zur zukünftigen, verkehrsträgerübergreifenden Mobilität in vernetzten Infrastrukturen von Städten und Regionen.

Das Problem dieser Messe, die nun auf einmal – da die AMI davor weggezogen wurde – mitten im Rampenlicht steht: Es ist bislang noch eine reine Fachmesse mit Kongress und einer begleitenden Ausstellung zum Thema „Mobilität neu denken“. Der VDIK-Kongress „Alternative Antriebe“, in dessen Verlauf die Frage beantwortet werden soll, was uns morgen antreibt, ist ebenfalls auf den 12. April terminiert.

Tatsächlich ist es an der Zeit, diese Messe fürs große Publikum zu öffnen. Denn wer soll denn die neuen Angebote nutzen, wenn nicht der mobile Bürger, der früher wie selbstvertändlich seine Probleme mit dem Auto gelöst hat, jetzt aber nach Alternativen sucht?

„Vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Mobilitätsverhaltens in Stadt und Land müssen die Weichen mit Blick auf Konzepte, Ressourcen, Organisation und die technische Umsetzung neu gestellt werden“, heißt es zum Inhalt der Messe. „Die new mobility bietet ein Forum für die Vorstellung von Mobilitätskonzepten, neuen Geschäftsmodellen, Lösungen für die Bewirtschaftung der Infrastruktur bis hin zu Forschung, Innovation und dem Bereich der (neuen) Dienstleistungen.“

Das alles spricht natürlich die Fachleute zuerst an, jene, die die neuen Angebote schaffen wollen. Wie mühsam und kompliziert das von außen ausieht, kann man an Leipzigs Moblitätsstationen bewundern. Für die Eingeweihten ist das alles ganz logisch – für die Umsteiger ein Buch mit sieben Siegeln. Und das beschreibt wohl das Hauptmanko all dieser Konzepte: Sie werden von Fachleuten für Spezialisten entwickelt, haben den normalen Nutzer und seine Schwellenängste aber überhaupt nicht im Blick. Das Informationsbedürfnis ebenfalls nicht.

Denn die Neugier auf neue Nutzungs- und Antriebskonzepte ist längst ebenso groß wie bisher die auf neue Automodelle. Und zur „new mobility“ gehören auch all die alternativen Antriebskonzepte vom Strom bis zum Erdgas, neue Visionen für leichte alternative Stadtfahrzeuge genauso wie die neue Welt der E-Bikes.

Der Zeitpunkt, diese Messe – wenn auch erst mal tageweise – auch für das große Publikum zu öffnen und auszubauen, ist gekommen. Jetzt.

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Sie nennen es doch “Schaufenster Elektromobilität” – dann wird es Zeit, dass es mal eins gibt und nicht nur drüber gefaselt wird!

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