Muss man bekennender zugezogener Leipziger sein, um sich in einer Stadt wie Leipzig mal einen autofreien Sonntag vorstellen zu können? Eigentlich nicht. Aber augenscheinlich darf man weder Stadtrat noch Verwaltungsmitarbeiter sein. Sonst kann man sich das partout nicht vorstellen. Der letzte Leipziger Stadtrat, der sich einen autofreien Sonntag noch vorstellen konnte, hieß Jens-Herrmann Kambach.

Der saß damals für die Linke im Stadtrat und brachte 2010 den gar nicht so abwegigen Antrag ein, den Tag, an dem der große Leipzig-Marathon stattfand, gleich noch zum autofreien Sonntag zu machen. Der Antrag kam tatsächlich bis zur Entscheidung. Nachdem die Verwaltung ihn vorher gründlich entschärft hatte. Wo käme man in einer autoverliebten Stadt eigentlich hin, wenn man an einzelnen Sonntagen einfach mal das Innenstadtgebiet absperrt, die Marathon-Läufer dort laufen lässt und die Leipziger ansonsten einfach mal auffordert, mit Rad, Straßenbahn oder S-Bahn in die City zu fahren? Ist das eine Zumutung? Oder haben Leipzigs Verkehrsplaner Angst, dass das Schule machen könnte und die autofahrenden Leipziger sich tatsächlich angewöhnen könnten, den ÖPNV zu benutzen?

Genauso liest sich dann die abgeänderte Vorlage, die am Ende so aussah:

1. Es wird geprüft, ob der Sonntag, an dem der Marathon 2011 stattfindet, innerhalb der Stadtgrenzen Leipzigs zum autofreien Sonntag erklärt werden kann.
2. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, Verhandlungen mit dem Mitteldeutschen Verkehrsverbund aufzunehmen, mit dem Ziel, an dem Sonntag, an dem der Marathon stattfindet, eine kostenlose Nutzung aller ÖPNV-Verkehrsmittel innerhalb der Zone 110 auszuhandeln.
3. Die Strecke des Marathons 2010 sollte identisch mit der 2009 sein, jedoch sollte aus dem südlichen Innenstadtgebiet mindestens in jede Hauptrichtung (Nord, Süd, West, Ost) eine Schleuse für den Individualverkehr eingerichtet werden.

Und so verlief sich der Antrag im Dickicht der Prüfungen. Als wenn ein ausgehandeltes kostenloses Ticket tatsächlich die Voraussetzung dafür wäre, so einen Tag durchzuführen. Was natürlich ebenfalls wieder ein Ausweichversuch war. Denn wenn nur am autofreien Sonntag die Tickets kostenlos sind, senkt das ja die Umsteigebarrieren für die anderen Tage nicht. Man macht den Autofahrern ein sinnloses Geschenk, ändert aber nichts am zu hohen Preisniveau und dem undurchschaubaren Ticketwirrwarr.

Es ist schon erstaunlich, dass man für Autofahrer immer wieder solche Geschenke parat hält – für normale ÖPNV-Nutzer aber nicht.

Vielleicht liegt es am Denken der motorisierten Verkehrsteilnehmer. Die Sache verlief im Sand, taucht aber jetzt als Bürgervorschlag im Online-Dialog zum neuen Luftreinhalteplan und zum neuen Lärmaktionsplan wieder auf. Denn die eigentliche Herausforderung eines autofreien Sonntags ist ja, Menschen aus ihrer bequemlichen Haltung zu holen und sie an einem durchaus stressfreien Tag einmal dazu zu bringen, sich mit alternativen Verkehrsformen ernsthaft zu beschäftigen.

Bis hin zum Ticketkauf.

Vielleicht – und das könnte ein nicht ganz unwichtiger Effekt sein – beginnen dann auch Leipzigs Autofahrer zu verstehen, wie schwer es Leipziger ÖPNV-Nutzern gemacht wird, das Nahverkehrssystem nutzen zu können, angefangen bei den Tarifen und nicht endend beim viel zu geringen Wagenangebot auf hoch frequentierten Strecken. Und vielleicht würden auch Autofahrer dann merken, dass nicht nur sie immer zur Kasse gebeten werden. Mal abgesehen von all dem, was Oliver Schulze jetzt in fast liebevoller Art in seine Petition geschrieben hat, mit der er sich „einen Autofreien Sonntag für die Stadt Leipzig und die angrenzenden Stadtviertel“ wünscht. Wie im Westen eben, wo man das vielerorts seit Jahrzehnten kennt und den Tag einfach genießt, wenn die Innenstadt einmal nicht dem Autoverkehr gehört.

Die ganze Petition zum Nachlesen:

Einreicher: Oliver Schulze
Autofreier Sonntag!

Liebe Stadtverwaltung, liebe Bürgerschaft, lieber Bürgermeister,

erinnern sie sich noch an die autofreien Sonntage in den 70er-Jahren? Ich auch nicht, da war ich noch nicht da, und es war Westdeutschland, was die Ossis damals wahrscheinlich ignoriert haben. Damals war ein Erdölmangel das Problem. Heute ist es der unerträgliche, übertriebene Verkehrslärm.

Waren sie schon mal an einer Hauptstraße? z. B.: im Bachviertel, mit den teuren Mieten? Wissen sie, was dort lang fährt: Radfahrer, Motorräder, Busse, Straßenbahnen alle 15 Minuten, LKWs, spez. Baufahrzeuge.

Individueller PKW-Verkehr und Einsatzfahrzeuge… Rund um die Uhr, bei geöffnetem Fenster unerträglich.

Schauen Sie sich einfach mal die westdeutschen Städte, die Gewinner des kalten Krieges an: http://www.adfc-frankfurt.de/Touren/Autofrei/autofreie_sonntage.html Hier sind solche Sperrungen immer noch gang und gäbe.

Ausnahmen sind dann natürlich: Einsatzfahrzeuge und Notfälle. Ansonsten muss die Innenstadt und alle angrenzenden Stadtviertel gesperrt werden. Dem Pendelverkehr der berufstätigen wird Vorrang gegeben, und auswärtige Gäste können an der Messe parken und mit der S-Bahn ermäßigt fahren. Oder mit gratis gestellten Fahrrädern in  die Stadt.

Dies wäre auch ein interessanter Beitrag zur Umweltschonung und wäre in den neuen Bundesländern einmalig, dies würde wiederum für ein positives Bild in den Medien sorgen. Nach den ganzen linken und rechten Ausschreitungen sowie den wiederkehrenden Pegida-Märschen. Klar wäre es ein großer organisatorischer Aufwand,  aber es hätte auch eine sehr positive Außenwirkung, bei rechtzeitiger Ankündigung durch die Presse.

Ich finde, genau Leipzig als tolerante und sich selbst als weltoffen bezeichnende Stadt ist für so etwas perfekt geeignet. Überlegen Sie sich doch mal, was das für ein schönes Gemeinschaftserlebnis wäre. Wie in guten alten Zeiten, entspannte romantische Ruhe und kein Autokrach. Von daher beantrage ich einen autofreien Sonntag für die Stadt Leipzig und die angrenzenden Stadtviertel.

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Es gibt 5 Kommentare

Was habe ich mit dem Virus gesagt? Der Kommentar vor mir passte jetzt gerade gut. Und ist verfehlt, denn:

In Sachen Lärm sind die LVB nämlich keineswegs ein Vorbild, sondern im Vergleich mit anderen bundesdeutschen Straßenbahnbetrieben eine echte Ausnahme. Nur die LVB habens fertig gebracht, neue(!!) Straßenbahnen mit Lärmwerten wie im 19. Jahrhundert bauen oder anzuschaffen. Selbst die eigentlich recht guten XXLs (das sind die ganz langen Fahrzeuge) rumpeln fürchterlich. Zu bewundern auf der (Schienen)Kreuzung am Augustusplatz, die erst vor wenigen Jahren neu angelegt wurde.

Wenn der Schienenbonus der EU mal nicht mehr greift, können die LVB ihre Flotte stilllegen.

Aber Lärm hat auf Leipziger Nichtzugezogene eine geradezu aphrodisierende Wirkung. Nicht lange her, da waren die Signaltöne der Rettungswagen selbst über zwei Häuserblöcke hinweg noch so laut, dass man in der Wohnung nicht telefonieren konnte.
Mit dem Lärmaktionsplan ist die Stadt Leipzig sowieso schon im Verzug; ich warte nur noch auf die EU-Sanktionen.

Nein, die Leipziger Autofahrer sind böse im Umgang mit Fußgängern. Wundern sich selbst beim Rechtsabbiegen, dass es querende Fußgänger gibt. Wahlweise werden Zehen oder Fersen abrasiert. Erlebe ich in Berlin so nicht.

Geschwindigkeitsmessungen gibt’s nicht, das wäre ja Abzocke, das geht überhaupt gar nicht, gell. Polizei ist überfordert, und das Ordnungsamt (seltsame Behörde) betreibt Verkehrspolitik auf eigene Faust. Wochenlanger Gehwegparker (verbunden mit richtigem Umweg für Kinderwagen)? Keine Ursache, sich aus der warmen Amtsstube (in der Prager Straße) herauszubewegen. So sieht’s aus. Das Virus ist auch in der Prager Straße im Ordnungs- und im Verkehrsamt stark verbreitet.

Immer die bösen lauten Autofahrer? Ich wohne an der Karl-Liebknecht-Straße, laut sind nicht die Autos und Lieferanten-LKW, sondern die Billigststraßenbahnen der LVB, Marke Leoliner, die machen richtig Lärm!
Eher friert die Hölle zu, als dass ich Sonntags mein Auto stehen lasse. ;o)

Ein autofreier Sonntag? Eine wunderbare Vorstellung. Ich wohne in einer Straße, in der 30 km/h gefahren werden dürfen. Daran hält sich besonders nachts aber fast niemand. Als durch Bauarbeiten auch eine Buslinie durch diese Straße fuhr und auch die Busse die 30-km/h-Regelung nicht einhielten, mit der entsprechenden Lärmbelästigung, habe ich mich beschwert bei der Stadt. Und erhielt doch tatsächlich die Antwort, Geschwindigkeitsmessungen seien in dieser Straße nicht möglich. Ich habe dort schon einmal eine Messung erlebt, aber vermutlich waren das illegale Abzocker, da ja solche Messungen in dieser Straße nicht möglich sind!
Die Autofreundlichkeit ist wirklich zum K … Das Parken auf dem Gehweg ist zwar durch Einbahnstraßenregelungen reduziert, aber die die immer noch auf dem Gehweg parken, tun dies ungestraft. Ich bin auf dem Gehweg, zu Fuß unterwegs, schon einmal von einem Ausparker fast angefahren worden, der mich dann beschimpfte, ich hätte doch gucken können. Nicht in einer solchen gewählten Wortwahl selbstverständlich.

Oder Stefan, es ist der Tatsache geschuldet, dass es sich leichter mit breiten Gummireifen über die Straßen Leipzigs von A nach B fahren lässt, als das man auf schmalen Gummisohlen von A nach B, auf den Fußwegen der Stadt gelaufen.

Ein autofreier Sonntag in Leipzig!? Un-vor-stell-bar.
Das Auto-Virus sitzt extrem fest in den Köpfen der nicht zugezogenen Leipziger. Das kann man wirklich so sagen. Kommt anscheinend noch von der anhaltenden Freude am “West”-Auto, obwohl es auch schon ein Vierteljahrhundert alt sein dürfte.

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