Der ÖPNV in der Region Leipzig steckt in der Klemme. Eigentlich geht nichts mehr. 2012 hatte der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) 2012 den Auftrag bekommen, neue, alternative Finanzierungsvorschläge zu machen. Daraus wurde dann 2014 ein Gutachten, das erst einmal wilde Preissteigerungen in die Zukunft malte. Und seit dem Wochenende geistern fünf neue Ideen durch die Stadt. Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

Die LVZ hatte da augenscheinlich wieder den Draht hinein in die Gremien, wo so etwas besprochen wird. Wohin die Reise gehen könnte, war ja schon 2014 angedeutet worden. Im Grunde sind es dieselben fünf Vorschläge, die damals aus der Hüfte geschossen wurden, die jetzt einfach mal als Gutachten in Auftrag gegeben wurden.

Die fünf Spielvorschläge nach Auflistung in der LVZ:
Nr. 1: ein „sogenannter ÖPNV-Sockelbetrag, der von allen Einwohnern aufgebracht werden soll, gleichgültig ob sie den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nutzen oder nicht“. Um die Nicht-ÖPNV-Nutzer zu entschädigen, könnte es für sie ein jährliches Freifahrtkontingent geben.
Nr. 2: „kleinteiligere Zusatzangebote wie Zubringer-, Stadt- oder Dorfbusse“
Nr. 3: das „Bürgerticket“. Wobei die Frage ist, ob über Grundsteuer oder eine Wohnungsabgabe (sozusagen eine GEZ für den ÖPNV) finanziert.
Nr. 4: Hier geht es um die reine Grundsteuererhöhung zur Gegenfinanzierung des ÖPNV.
Nr. 5: eine „sogenannte ÖPNV-Taxe, die von Touristen erhoben werden soll“.

Erstaunlicherweise kam postwendend so eine Art Zustimmung aus der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat. „Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse der Gutachter. Gerade in der Einführung eines Bürgertickets sehen wir eine sehr gute Möglichkeit, die Fahrpreise für alle zu senken. In unseren Augen ist dies jedoch nur im Einvernehmen mit den Leipzigerinnen und Leipzigern möglich. Wir streben hierfür mittelfristig einen Bürgerentscheid an“, erklärte Franziska Riekewald, verkehrspolitische Sprecherin.

Aber irgendwie hat man auch in der linken Fraktion gemerkt, dass irgendetwas an der Vorschlagsliste nicht stimmen kann: Man werde „vor allem auf eine solidarische Finanzierung achten. Gerade Gruppen wie Kinder, Jugendliche, Menschen mit niedrigem Einkommen usw. müssen von einer Finanzierung ausgenommen sein bzw. dürfen nur vermindert herangezogen werden“, formulierte die Fraktion ihre – wohl nur zu berechtigten – Bauchschmerzen. „Das Bürgerticket darf jedoch keinesfalls dazu führen, dass sich die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs noch mehr zulasten der Bürgerinnen und Bürger Leipzigs verschiebt und sich die öffentliche Hand aus der Verantwortung stiehlt. Auch die öffentlichen Gelder müssen sich erhöhen.“

Der Blick auf die fünf Vorschläge aber zeigt, dass genau das die Intention dieses Finanzierungsvorschlags ist, mit dem die Mitglieder des MDV vor allem eines versuchen: Die eigentlich Verantwortlichen für das Finanzierungsdebakel völlig aus der Debatte herauszunehmen. Denn das Ö in ÖPNV steht ja nicht dafür, dass alle Bürger einsteigen können, wenn sie sich das noch leisten können, sondern für die Öffentliche Hand, die den Nahverkehr eigentlich organisieren und finanzieren muss. Doch die hat sich in den vergangenen Jahren immer massiver aus der Finanzierung des ÖPNV zurückgezogen.

Worauf dann der finanzpolitische Sprecher der Fraktion, Steffen Wehmann, einging: „Vor allem das Land und die Stadt Leipzig müssen auch bei neuen Finanzierungsformen zu ihrer Zuständigkeit für den Nahverkehr stehen. Im Gegenteil: Eine bessere und stabile Finanzierung des ÖPNV durch Landesmittel ist unbedingt vonnöten.“

Aber die Stadt hat ihren Beitrag zum ÖPNV ebenfalls um Millionenbeiträge gekürzt.

Möglich findet Wehmann, dass trotzdem ein paar andere Leute noch zuzahlen: „Da der Öffentliche Personennahverkehr zur Daseinsvorsorge gehört und einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen besitzt, sollten ebenso all jene, die auch indirekt davon profitieren, an der Finanzierung beteiligt werden. Damit sind Arbeitgeber, die Wirtschaft, Grundstücks- und Immobilienbesitzer – kurz: die Allgemeinheit – gemeint. Gute Anbindung an den ÖPNV sorgt für höhere Attraktivität und damit auch für höheren Umsatz bzw. höhere Mieteinnahmen oder für weniger Ausgaben für Parkplätze.“

Aber das belastet am Ende auch wieder nur Mieter und Arbeitnehmer und löst den Grundfehler des MDV nicht auf: Er ist ein schizophrenes Gebilde, in dem Auftraggeber und Auftragnehmer nicht getrennt sind, sondern gleichberechtigt an einem Tisch sitzen. Die beste Voraussetzung, ein solches Entscheidungsgremium völlig unfähig zu zukunftsweisenden Lösungen zu machen.
Ein Thema übrigens, das der Fahrgastverband Pro Bahn jetzt thematisiert.

Damit beschäftigen wir uns gleich an dieser Stelle.

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