CDU-Stadtrat Konrad Riedel ist ein wackerer Kämpfer, wenn es um die Sorgen von Senioren geht. Das thematisiert er auch immer wieder im Zusammenhang mit dem ÖPNV in der Stadt. Nun war er wohl beim Lesen seiner Lieblingszeitung erschrocken, die am Freitag, 8. Juli, groß titelte: „Jede fünfte Straßenbahn ist zu spät“. Ist sie auch. Das hat ja der Evaluationsbericht zum Nahverkehrsplan der Stadt Leipzig gezeigt.

Seit 2007, seit der Inkraftsetzung des derzeit gültigen Nahverkehrsplans, hat sich die Pünktlichkeit im Netz drastisch verschlechtert: bei den Straßenbahnen von 87,7 Prozent auf 80,9 Prozent, bei den Bussen von 90,1 auf 85,0 Prozent.

Nach Ansicht von Stephan Rausch, Fachbereichsleiter Nahverkehr im Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadt, sind vor allem Wachstumsprobleme schuld an den zunehmenden Verzögerungen: mehr Autos auf den Straßen und damit mehr Behinderungen von Straßenbahnen, mehr Fahrgäste und damit längere Einstiegszeiten, Pulkbildungen an Engpässen, mehr Verschleiß im Netz usw.

Das sah Konrad Riedels Lieblingszeitung anders. Und Konrad Riedel sieht es auch anders: „Die Straßenbahn ist unpünktlich. Die Fahrzeiten auf sieben Linien verlängerten sich deutlich, sie wurden also unattraktiver. Wie aus der Studie von Kasseler und Berliner Nahverkehrsexperten hervorgeht, ist die Bahn besonders genau zu spät, wo bewusst die Kraftfahrzeuge auf die Gleise gezwungen wurden zum Vorteil komfortabler Radwege. Wie zum Beispiel auf Linie 1 (Könneritzstraße), 7 (G.-Schwarz-Straße) oder 10/11 (Schumannstraße). Während sich auf einigen Linien (15!) die Fahrzeit verkürzte, nachweisbar wegen separater oder für anderen Verkehr gesperrter Gleiskörper.

Das stimmt so nur halb. Was damit zu tun hat, dass die Welt vor allem aus Autofahrersicht betrachtet wird. Für Autofahrer ist es immer ärgerlich, hinter einer Straßenbahn zu stehen und nicht durchbrettern zu können. Deswegen sind auch die von Riedel genannten Liniennummern nur halb richtig.

Die größten Verschlechterungen in der Pünktlichkeit haben seit 2007 ganz andere Linien erlebt: Die Linien 3 und 9 nämlich um durchschnittlich 4 Minuten.

Entwicklung der Fahrzeiten auf Leipziger Straßenbahnlinien 2007 - 2014. Grafik: Stadt Leipzig
Entwicklung der Fahrzeiten auf Leipziger Straßenbahnlinien 2007 – 2014. Grafik: Stadt Leipzig

Die Linie 11 ist für die CDU nun schon seit 2012 ein Kritikpunkt. Man ärgert sich dort maßlos darüber, dass rechts und links Radstreifen eingeordnet wurden, die den Autoverkehr in die Mitte der Straße drängen. Doch wer mit der 11 unterwegs ist, weiß, dass nicht diese Engpässe schuld an den meisten Verspätungen sind, sondern Ampelschaltungen, die die Straßenbahn selbst dann zum Warten zwingen, wenn Strecke und Kreuzungen frei sind. Mit der Fertigstellung von „KarLi“ und Peterssteinweg wurden gleich eine ganze Reihe solcher Geniestreiche eingebaut, auf die die Ampelplaner sogar noch stolz sind. Immer wieder erleben Fahrgäste, dass ihre Bahn vor der Haltestelle Südplatz hält, obwohl diese frei ist – ein sinnloses Einfahrtzeichen lässt die Bahn vor der Haltestelle zum Verkehrshindernis auf der Körnerstraße werden. Dasselbe erlebt man auf der Südseite, wenn die Bahn beim Einfahren über die Schenkendorfstraße gehindert wird. Ganz ähnliche Narrenspiele wurden an der neuen Haltestelle Hohe Straße eingebaut. Und ein Narrenstreich ist auch die Rote Ampel an der Dimitroffstraße, wenn die Bahn endlich freie Fahrt aus der Haltestelle Münzgasse bekommen hat.

Und nicht nur auf Linie 11 kann man solche Ampelschaltungen finden – im Norden geht es ja an der Berliner Straße weiter. Allein die Haltestelle Hauptbahnhof ist eine Zumutung für Fahrgäste. Kaum ein Tram-Fahrer fährt zügig ein. Manche zuckeln sich minutenlang zurecht, bis sie endlich in der vorderen Halteposition sind, während auch ältere Fahrgäste mit einiger Verzweiflung hin und her laufen, weil sie nicht wissen, wo die Tram nun halten wird.

Es ist schon erstaunlich, dass Konrad Riedel diese Zumutungen nicht thematisiert.

Dass er eigentlich nicht für Leipzigs Senioren und auch nicht für die Fahrgäste der LVB spricht, macht er deutlich, wenn er aus der Autofahrerperspektive der CDU argumentiert: „Tatsachen und Binsenweisheiten auf die die Senioren-Union Leipzig schon seit Jahren hinweist und den übrigens vom Stadtrat postulierten absoluten Vorrang des ÖPNV und die Gleichbehandlung allen Individualverkehrs (zu dem auch Radfahrer gehören!) fordert. Doch bei Baubürgermeisterin Dorothea Dubrau steht einseitig der Radverkehr an erster Stelle. Wie Stadträtin Krefft von den Grünen sagt: ‚Dorothea macht grüne Politik erlebbar.‘ … in provozierten ÖPNV-Verspätungen. Außerdem: Wie soll es anders sein, dass Barrierefreiheit aus einem nicht barrierefreien Rathaus nicht zu erwarten ist und die Behörden den Neubau von nicht barrierefreien Haltestellen genehmigt (Springerstraße, Schumannstraße, Leutzscher Rathaus).“

Die von Riedel benannten Haltestellen wurden vorerst provisorisch eingerichtet. Für einen wirklich barrierefreien Umbau, so merkte auch LVB-Geschäftsführer Ulf Middelberg am Donnerstag an, fehle das Geld. Immerhin ist es ein Mammutprogramm, die bis 1990 allesamt nicht barrierefreien Haltestellen in Leipzig nach und nach umzubauen. Geschafft habe man 63 Prozent der Straßenbahnhaltestellen, stellte der Evaluationsbericht zum Nahverkehr fest. Bei Bushaltestellen sind es 31 Prozent.

Fünf bis sechs neue barrierefreie Haltestellen schaffe man pro Jahr, sagte Middelberg. Und um schneller zu sein, wünsche man sich durchaus mehr Partner wie beim Modellprojekt der behindertengerechten Haltestelle am Diakonissenhaus.

Skepsis zeigt Konrad Riedel auch beim Bürgerticket, das am Donnerstag bei der Vorstellung der wichtigsten Ergebnisse aus dem Evaluationsbericht – nicht genannt wurde. Immerhin versucht der MDV ja gerade erst, ein halbes Dutzend möglicher neuer Finanzierungsmodelle auf ihre Umsetzbarkeit zu überprüfen. Ob dann das Bürgerticket vorgeschlagen wird, ist völlig offen.

Aber ein schönes rotes Tuch ist es.

Riedel: „Und beim Bürgerticket handelt es sich um einen Selbstbetrug. Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass Senioren mit kleiner Rente gar nicht mehr mit Bus oder Bahn fahren oder nur zwei-, dreimal im Jahr, da sie sich die jährlich anstehende MDV-Fahrpreiserhöhung nicht leisten können. Bei wie viel Leipzigern also würde das Bürgerticket vom Sozialamt bezahlt – also einfach von der linken in die rechte Hosentasche der Stadt. Die Stadt leistet sich freiwillige Ausgaben in Millionenhöhe, aber für Pflichten wie Barrierefreiheit ‚fehlt‘ das Geld. In anderen europäischen Ländern ist der ÖPNV für Senioren kostenfrei (z.B. Prag ab 70 Jahre): DAS sollte für Leipzig Signal sein für die Sicherung der Teilhabe älterer Menschen am gesellschaftlichen Leben. – Aber wie schon gesagt, mit Gesetzen und internationalen Abkommen nimmt es erlebbar gemachte ‚grüne Politik‘ nicht so genau. Die Studie jedenfalls bestätigt nur das, was wir als Senioren-Union Leipzig schon seit langem beobachten und bemängeln!“

Da hat er die Gelegenheit genutzt, also mal wieder über die Grünen zu schimpfen.

Und jetzt die kleine Zwischenfrage: Und was sagen die Fahrrad fahrenden Senioren dazu? Man sieht sie überall radeln. Aber wenn über Verkehr und bessere Radwege geredet wird, tauchen sie einfach nicht auf.

Nach den Linien 3, 9 und 11 haben übrigens die Linien 1, 7 und 10 mit im Schnitt 2 Minuten Verspätung die größten Pünktlichkeitsverluste seit 2007 zu verzeichnen. Und die Linie 7 ist dabei sogar sehr typisch, betonte Ulf Middelberg am Donnerstag: Es sind falsch geparkte Autos, die insbesondere in der schmalen Georg-Schwarz-Straße dafür sorgen, dass die Straßenbahn nicht mehr durchkommt und die Serviceteams der LVB bis zu zwei Mal am Tag ausrücken müssen, um das Problem vor Ort zu lösen.

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