Da war auch Oberbürgermeister Burkhard Jung überrascht, wie klar dieses Ergebnis aus der „Bürgerumfrage 2015“ ausfiel. Die hat er am Montag, 29. August, gemeinsam mit Bürgermeister Ulrich Hörning und Amtsleiterin Dr. Ruth Schmidt vorgestellt. Irgendwie hatte er die Hoffnung, wenigstens die LVB-Fahrgäste würden der Idee mit großem Hurra zustimmen. Und dann das.

Nur 33 Prozent der befragten Leipziger können der Einführung eines Bürgertickets in Leipzig etwas abgewinnen. 57 Prozent stimmten klar mit „Nein“, 11 Prozent war es egal.

Bei LVB-Kunden war die Zustimmung mit 43 Prozent zwar höher. Aber auch hier stimmten 45 Prozent mit „Nein“ und sogar 12 Prozent meinten, es sei ihnen egal.

Das wäre alles nicht weiter tragisch, wenn alle fünf vom Mitteldeutschen Verkehrsverbund geprüften Varianten, den ÖPNV künftig durch weitere Finanzierungsinstrumente zu sichern, zur Frage gestanden hätten. Standen sie aber nicht. Die Stadt hatte sich gerade vom – „solidarischen“ – Finanzierungsinstrument Bürgerticket den höchsten Zuspruch erwartet. „Wir müssen uns weiter Gedanken machen“, sagte Jung.

Denn tatsächlich wird der ÖPNV in Leipzig schon heute solidarisch finanziert. Das wird gern vergessen in der Diskussion. Denn die 45 Millionen Euro, die die Stadtholding LVV den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) jedes Jahr zur Verfügung stellt, stammen ja aus den Gewinnen von Wasserwerken und Stadtwerken. „Und bei den Wasserwerken sind wir alle Kunde“, sagte Jung. Allein durch ihre Wasserrechnung finanzieren alle Leipziger die LVB solidarisch mit. Wer freilich keinen Vertrag bei den Stadtwerken hat, steigt an dieser Stelle schon einmal aus aus der Solidarität.

Nur funktioniert dieses solidarische Modell nicht mehr, seit Stadt und LVB sich 2009 darauf geeinigt haben, diesen (solidarischen) Zuschuss von 54 auf 45 Millionen Euro abzusenken.

Nicht die Leipziger haben also die Solidarität aufgekündigt, sondern die Stadtmanager.

Da wirkt es ziemlich peinlich, fünf Jahre später loszulaufen und die Leipziger jetzt um ein anderes (oder zusätzliches) solidarisches Modell zu bitten, bei dem dann jeder Bürger einen gewissen Beitrag für den ÖPNV zahlen würde. Von einem „festen“ Betrag sprechen Leipzigs Statistiker, aber das kann so nicht stimmen, wenn die Kosten auch im Nahverkehr von Jahr zu Jahr steigen.

Und weil der ÖPNV dann über eine Abgabe aller Bürger finanziert wäre, könnten Bahnen und Busse im Folgeschritt ohne Ticket genutzt werden.

Dass die Idee so schlecht ankam, hat auch damit zu tun, dass nicht mal die Größenordnung klar ist oder gar eine Vision eines deutlich verbesserten ÖPNV-Angebotes, das wirklich für alle attraktiv ist. Denn auch das zeigte die „Bürgerumfrage 2015“ wieder: Leipzigs LVB haben ein Image-Problem. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt schon lange nicht mehr. Nur für 12 Prozent der Befragten ist es ein Grund, die LVB zu nutzen. Nur 20 Prozent attestieren den LVB Geschwindigkeit, nur 23 Prozent finden, man könne die Fahrzeit sinnvoll nutzen – wer bei den lärmenden Ansagen in der Bahn noch lesen kann, der muss wirklich ein dickes Trommelfell haben.

Andere Gründe sind für die Tramnutzer viel wichtiger und zeigen eigentlich, dass die Leipziger sehr bewusst den ÖPNV nutzen, weil sie sich damit eine Parkplatzsuche ersparen (52 Prozent), die Haltestelle günstig liegt (53 Prozent) und man auf ein Auto komplett verzichten kann (33 Prozent).

Trotzdem oder gerade deshalb hat der ÖPNV in den vergangenen 20 Jahren heftig Anteile eingebüßt am Modal Split, der täglichen Verkehrsmittelwahl der Leipziger. Und wenn da kein Umdenken geschehe, sagt selbst Burkhard Jung, würde der ÖPNV weitere Anteile einbüßen zu Gunsten von Auto, Rad und Fußwegen. „Weitere Preissteigerungen in der Größenordnung können wir in den nächsten zehn Jahren nicht mehr riskieren“, sagt er.

Zeigt sich aber ratlos, wie das geändert werden könnte, „wenn Bund und Land ihre Zuschüsse nicht erhöhen“.

Was die „Bürgerumfrage 2015“ zeigt, ist auch, dass das Umsteigen der Leipziger weiterging. Auf den Wegen zur Arbeit und in der Freizeit haben Straßenbahn und Bus weiter Anteile eingebüßt. In der Regel war es das Fahrrad, das weiter hinzugewonnen hat. Logisch eigentlich, bestätigt auch Jung. „Leipzig ist ja eigentlich eine fahrradfreundliche Stadt.“

Nur bei den Wegen zur Arbeit hat auch noch ein anderes Verkehrsmittel deutlich zugelegt: das Automobil.

Das kann viele Gründe haben – zum Beispiel auch, dass die Arbeitsplätze in Außenregionen liegen, die schlecht vom ÖPNV erschlossen sind.

Und nicht nur nach den Gründen für die Nutzung wurde gefragt. Auch die Gegenfrage wurde gestellt. Was hält die Leipziger von der ÖPNV-Nutzung ab?

Und da wurde es dann ganz deutlich, dass die Preispolitik völlig aus dem Gleis geraten ist. 69 Prozent der Befragten gaben die zu hohen Kosten als Grund an, gefolgt von 35 Prozent, die die ungünstige Streckenverbindung genannt haben. Da kommen eine Menge Themen auf die Beteiligten der Diskussion um den neuen Nahverkehrsplan der Stadt zu, wie man sieht. Der soll ja 2018 fertig sein. Und die letzte Antwort zeigt auch, wo die LVB ein echtes Problem haben, weil sie sich viel zu wenig um attraktive Streckenverläufe im Stadtgebiet gekümmert haben. Da geht es nicht mal um Pünktlichkeit oder um Geschwindigkeit, sondern um fehlende Streckenverbindungen, die nicht nur Ost mit West verbinden, sondern auch Ost mit Süd und West mit Nord usw.

Die „Bürgerumfrage“, so Jung, sei jetzt wieder ein Material, mit dem man arbeiten könne.

Kann man nur hoffen, dass auch die richtigen Lösungen für die längst unübersehbaren Probleme gefunden werden.

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Es gibt 7 Kommentare

“Wer freilich keinen Vertrag bei den Stadtwerken hat, steigt an dieser Stelle schon einmal aus aus der Solidarität.”
Diese Aussage betrifft nur Strom und Gas.
Bei fernwärem sieht es schon anders aus. Bei wasser und Abwasser ist diese Aussage völlig unzutreffend. Denn hier gibt es einen Anschluß- und Benutzungszwang. Aus dem Bezug von Wasser und dessen Entsorgung kann man sich nicht verabschieden. Weshalb es hier die gesetzliche Pflicht eines wirtschaftlichen Angebotes und das Verbot von Gewinnen gibt. Der Verwaltungsrechtler von Arnim weist seit langem auf den rechts- und verfassungswidrigen Umstand der Gewinnerzielung in diesem Bereich hin.
Als Bürger wird man (zu recht) zwangsverpflichtet, Wasser und Abwasser, das von der Kommune bereit gestellt werden muß (noch wurde, im Gegensatz zu Strom und Kommunikation, dieser Teil der Daseinsfürsorge nicht privatisiert) abzunehmen. Dann kann der Zwangsverpflichtete nicht noch zusätzlich für Mobilität herangezogen werden.
Wenn man der Auffassung ist, daß Mobilität zur Daseinsfürsorge zu rechnen ist, muß sie auch so finanziert werden. Und nicht nur durch einen Teil der Nutzer, den Bürger.

Stimmt, hab ich nicht. 😀
Vielleicht sind unsere ja leiser, aber mich nervt der Motorenlärm und das ständige gehupe der Autos, am besten noch mit nem Sportauspuff, der mir das Trommelfell platzen lässt. Von heulenden Motorrädern und Mofas, die sich anhören wie kaputte Rasenmäher, fang ich besser erst gar nicht an.
Für die Umwelt ist die Bahn allemal besser, vielleicht bekommt man die ja auch mal leiser.

Weniger Lärm, Sabine? Dann hast du wohl noch nie eine “hochmoderne” Leipziger Straßenbahn durch die Straßen rattern hören? Nicht der LKW-Liefer- oder PKW-Individualverkehr holt dich hier aus dem Bett.

Mich betrifft es in diesem Fall zwar nicht, weil ich nicht in Leipzig wohne. Aber wenn hier ein Bürgerticket eingeführt werden sollte, wär ich dafür. Ich nutze die Bahn fast nie, würds dann aber tun. Die Vorteile für die Umwelt und die verbesserte Lebensqualität durch weniger Lärm und Abgase wären mir so eine “Zwangsabgabe” schon wert.

Erst die Linie 9 abschaffen und wenn man dann sein Abo kündigt, mit einem Bürgerticket einen wieder zu bezahlen zwingen. Ohne das man den ÖPNV nutzen kann.

Sich als OBM jetzt so ratlos und unschuldig hinzustellen ist schon sehr bezeichnend. “Wir müssen uns weiter Gedanken machen” – ein Armutszeugnis!

Warum gab es nur eine Auswahl?
Wieso werden Unternehmen nicht beteiligt, die davon profitieren?
Warum sollen die Bürger noch mehr Zahlmeister sein und seit Jahren werden die bestellten Leistungen durch die Stadt nicht kostendeckend abgegolten?
Wieso wird das Netz nicht erweitert – trotz 700.000-Einwohner-Prognose?
Und wieso gibt es nicht endlich mal grenzüberschreitendes Denken und Handeln? siehe Linie 9.

Man kommt permanent zum Ergebnis:
Unfähige Gremien, Tapete-Wand-Denke, Aussitzen von Problemen, Abwälzen auf die Allgemeinheit.
ÖPNV nicht erwünscht.

Im Großen und Ganzen spiegelt das ja auch meine Meinung wieder. Nur, wer wurde denn zur Bürgerumfrage ausgewählt bzw. eingeladen?

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