LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus der kommenden Ausgabe 35Es ist manchmal sogar ein wenig beruhigend, dass Themen, die man in Leipzig frühzeitig aufgreift, dann doch ein paar Leute zum Nachdenken bringen. Jahrelang haben wir uns hier gewundert, warum die Statistischen Ämter immer nur Gesamtzahlen zur Preisentwicklung im Verkehr liefern und nur den Kfz-Verkehr ab und zu einer Betrachtung würdigen. Als gebe es den ÖPNV überhaupt nicht. Nun haben sogar die Bundesstatistiker gestaunt.

Am Dienstag, 13. September, meldeten sie: „Mobilität hat ihren Preis: Seit dem Jahr 2000 sind die Preise rund ums Auto um rund 27 % gestiegen. Dies teilt das Statistische Bundesamt (Destatis) anlässlich der Europäischen Mobilitätswoche vom 16. bis 22. September mit. Während sich seit dem Jahr 2000 die Verbraucherpreise in Deutschland durchschnittlich um rund 25 % erhöht haben, stiegen die Preise für den Kauf und die Unterhaltung von Kraftfahrzeugen um rund 27 %. Trotz der momentan günstigen Kraftstoffpreise liegen diese um 28 % höher als 2000.“

Was aber überhaupt keine Meldung wert wäre, denn damit haben sich die Kraftfahrerkosten nicht wirklich von der normalen Inflationsrate unterschieden. Selbst wenn das übliche Autofahrergefluche hörbar wird, wenn man liest: „Der Preis für Superbenzin erhöhte sich um fast 28 %, Diesel war sogar fast 35 % teurer.“

Aber das alles ist eher witzlos. Sprit ist aufgrund der Tatsache, dass der Rohstoff Erdöl endlich ist, sogar viel zu billig. Von den Umweltschädigungen der Abgase und der Abbaumethoden ganz zu schweigen.

Aber während Politiker landauf, landab von der Energiewende schwafelten und fast alles bremsten, was diesen Prozess in Deutschland tatsächlich vorangebracht hätte, haben sie den eigentlich zukunftsfähigen Verkehrsarten einfach die Finanzen entzogen.

Das Ergebnis: „Mit einer Steigerung um fast 73 % in den letzten 16 Jahren legten die Preise im öffentlichen Personennahverkehr noch stärker zu. Die Preise für Bahntickets erhöhten sich in diesem Zeitraum um fast 50 %.“

Und dann so eine schlecht gesetzte Pointe: „Erfreulich für alle, die ausschließlich zu Fuß unterwegs sind: Die Preise für neue Schuhe kletterten nur um 9 %.“

Die 2000er Zahlen haben wir für Sachsen so schnell nicht bei der Hand. Aber wir haben den Vergleich für das Jahr 2005. Aber selbst diese Zahlen sind beeindruckend.

Von 2005 bis zum August 2016 sind die allgemeinen Verkehrspreise in Sachsen um 19,5 % gestiegen. Darin mischen sich alle Verkehrsarten vom Kauf von Kraftfahrzeugen über Flugtickets bis hin zum ÖPNV.

Dass der ÖPNV (im Statistikerdeutsch: Kombinierte Personenbeförderungsdienstleistungen) so selten Beachtung findet, liegt am geringen Anteil im Wägungsschema: Nach Einschätzung der Statistiker macht ÖPNV nur 8,44 Promille vom gesamten Warenkorb aus, während alle Kosten rund ums Auto mit 113 Promille gewichtet werden. Aus Statistikersicht ist also das Nutzen von Bussen und Bahnen eine reine Randerscheinung. Aus Politikersicht wohl auch. Denn seit 2005 haben sie den ÖPNV auf allen Ebenen einem radikalen Streichkonzert unterzogen – so radikal, dass sich heute kaum noch ein Verantwortlicher vorstellen kann, was ein ausreichend finanzierter ÖPNV ist.

Das Ergebnis ist logisch: Alle Kosten, die Bund, Land und Kommunen nicht mehr übernommen haben, wurden auf die Nutzer abgewälzt. Die Einsparorgien der Politik haben sich zu exorbitanten Preissteigerungen für die Fahrgäste entwickelt.

Und das fiel – bei lächerlichen 8,44 Promille – in den Statistiken einfach nicht auf. Bestenfalls schauten die Statistiker mal auf die Flugticketpreise, weil sie augenscheinlich alle gern mit dem Flieger in den Urlaub fliegen. Den ÖPNV kann man in den Meldungen der sächsischen Statistiker lange suchen. Es gibt ihn dort einfach nicht.

Aber der Blick in die Entwicklung seit 2005 zeigt, wie sehr sich hier die sächsischen Politiker aus der Verantwortung gezogen haben: Während der gesamte Verkehrsindex um die erwähnten 19,5 % anstieg, also nicht einmal um 2 % pro Jahr, legten die Ticketpreise im sächsischen ÖPNV um 38,9 % zu, um das Doppelte.

Oder eben knapp 4 Prozent jedes Jahr.

Der Gesamtpreisindex wuchs übrigens um 18 Prozent. Der sogenannte Kraftfahrzeugindex lag also nur leicht über der allgemeinen Inflationsrate. Die Preissteigerung im ÖPNV aber war doppelt so hoch, lässt sich also mit allgemein steigenden Kosten nicht erklären. Hier haben eindeutig Politiker, die umweltfreundlichen Verkehrsarten geradezu fremd gegenüberstehen, die Haushalte um die notwendigen ÖPNV-Zuschüsse leichter gemacht. Frei nach dem Motto: Irgendein Dummer wird sich schon finden, der das alles zahlt. In der Regel sind es die Dummen, die umweltfreundliche Verkehrsarten bevorzugen.

Bestimmt hat jemand noch die Fahrpreistabellen der LVB irgendwo greifbar.

Man kann nicht alle auf dem Rechner haben.

Aber einen guten Vergleichswert haben wir: die Preise für ein ganz normales LVB-ABO aus dem Jahr 2004 (2005 haben wir leider nicht, vielleicht kann da wirklich ein ÖPNV-verliebter Leser mal nachschauen).

Damals kostete ein ABO für die Zone Stadt Leipzig 33,33 Euro. Es gab auch ein 10-Uhr-Abo für 26,33 Euro.

Zumindest das Letztere kann man direkt vergleichen. Denn auch 2016 gibt es noch ein 10-Uhr-ABO – inzwischen zum Preis von 47,30 Euro.

Dieses ABO hat sich also binnen zwölf Jahren um knapp 80 Prozent verteuert. Bestimmt bekommen die LVB dafür lauter Dankschreiben von ihren Fahrgästen. Genauso wie für die Steigerungsraten bei den anderen ABO-Produkten. Wobei es 2004 nur ein normales ABO gab, 2016 aber gleich drei mit unterschiedlichen Zutaten: Basis, Premium und Light.

Wir haben einfach mal das Basis-ABO zum Vergleich genommen, das heute 54,90 Euro im Monat kostet. Das entspricht einer Preissteigerung von knapp 65 Prozent. Also über 5 Prozent im Jahr.

Ähnliche Preissteigerungen findet man bei allen LVB-Produkten. Und damit wird sichtbar, dass die LVB mit ihren Preissteigerungen sogar noch über den eh schon hohen ÖPNV-Tarifsteigerungen in ganz Sachsen liegen.

Mit so einer Politik macht man ÖPNV natürlich nicht attraktiv. Und man schafft auch keinen höheren Anteil am Modal Split.

Aber es ist zumindest herzerwärmend, dass jetzt zumindest die Bundesstatistiker entdeckt haben, wer im deutschen Verkehr eigentlich die Melkkuh ist.

Die LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 35 erscheint am 16. September 2016 überall in leipzig, wo es gute Zeitungen gibt.

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