Wenn Sachsens Regierung ihre typischen Werbekampagnen unter dem Motto „So geht sächsisch“ startet, dann wird es jedes Mal heimattümelnd, knistern Lagerfeuer, wallen Nebel überm Elbsandsteingebirge und glückliche Menschen stoßen mit Bier an. Aber das ist nicht die sächsische Realität. Die jahrelange Niedriglohnpolitik hat das Land verändert. Und macht das Leben vieler Sachsen noch immer zu einem Nomadendasein.

Denn was sich die Verfechter der Niedriglohnpolitik nie klar gemacht haben, ist natürlich, welche Kollateralschäden so eine Politik anrichtet. Denn damit wandern nicht nur Arbeitnehmer ab, entleeren sich ganze Regionen, fehlt es flächenweise an Kaufkraft, Kundschaft und Investitionskraft.

Es stabilisieren sich auch Verhältnisse, in denen Hunderttausende tagtäglich zu besser bezahlten Arbeitsplätzen über die Landesgrenzen pendeln müssen. Jahraus, jahrein.

Jedenfalls interpretiert Nico Brünler, Sprecher für Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Linksfraktion, die Antworten auf seine Kleine Anfrage „Pendler in Sachsen“ (Parlaments-Drucksache 6/6023) so.

„Für viele Beschäftigte in Sachsen sind lange Arbeitswege inzwischen Normalität geworden. Fast die Hälfte der Menschen arbeitet nicht am Wohnort, ein Viertel pendelt sogar regelmäßig über die Kreisgrenzen hinaus“, stellt er fest. Denn wenn in der Heimat die belastbaren Arbeitsplätze fehlen und selbst der Freistaat Infrastrukturen und Personalstellen streicht, dann besteht die Lösung zur Sicherung des Familienhaushalts langfristig nur darin, dass man sich in den wirtschaftlichen Schwerpunktgebieten anderswo einen Job sucht – und dann eben pendelt, wenn man nicht gleich ganz wegziehen will.

„Rund 134.000 Menschen pendeln auf der Suche nach Arbeit in andere Bundesländer. Diese Zahl ist in den letzten zehn Jahren sogar um rund ein Zehntel gestiegen, wobei die Zahl der Auspendler die der Einpendler um fast 29.000 übertrifft“, stellt Brünler fest. „Während die Pendlerströme in die ostdeutschen Nachbarländer nahezu ausgeglichen sind, sieht die Wanderbewegung in die Altbundesländer deutlich anders aus. Über die Hälfte der Betroffenen fährt, meist als Wochenpendler, in die Altbundesländer, hauptsächlich nach Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.“

Anschaulich wird es für ihn beim Blick auf die Autobahnen.

„Diese Bewegungen lassen sich jedes Wochenende auf den Autobahnen beobachten: Sonntagabend in Ost-West-Richtung und freitags in umgekehrte Richtung zurück. Das hat auch Auswirkungen auf die Sozialstruktur im Land und das Alltagsleben vieler Familien: Wenn ein Elternteil, meist der Vater, regelmäßig Sonntagabend die Koffer packt und erst am nächsten Freitag wiederkommt, dann hat das auch Folgen für den Familienzusammenhalt“, schildert Brünler. Und er reißt damit die nächsten Probleme an, die entstehen. Denn gut für ein intaktes Familienleben ist diese Abwesenheit der Väter ganz und gar nicht.

Aber wesentlich stärkere Auswirkungen hat das Ganze natürlich auf die diversen sächsischen Regionen. Denn mit der Kaufkraft sind ja auch viele Unternehmen und damit Arbeitsplätze abgewandert. Die Niedriglohnpolitik hat den Effekt nur verstärkt und gar nichts gesichert, auch wenn die diversen Minister das immer so beschworen haben.

„Diese Zahlen sind letztlich Ergebnis der in Sachsen jahrelang gepflegten Niedriglohnstrategie“, zieht Brünler die Bilanz dieser Politik. „Auch nach Einführung des Mindestlohnes werden hier im Freistaat besonders niedrige Löhne gezahlt, wobei auch regional noch ein hohes Gefälle zu beobachten ist. Es gibt in Sachsen Regionen, in denen die Menschen trotz bundesweit guter Konjunktur einfach keine Arbeit finden oder diese so schlecht entlohnt wird, dass Pendeln als das kleinere Übel erscheint.“

Und da sich die neuen Arbeitsangebote dort herausbilden, wo sich die wirtschaftliche Entwicklung mittlerweile konzentriert, werden die Pendlerzahlen auch in einer Region wie Leipzig weiter steigen. Noch sieht es so aus, als ob sich der Prozess selbst befeuert, während er für weite Teile der ländlichen Regionen eine weitere Abwanderung bedeutet. Es sei denn, die Menschen pendeln.

Die Anfrage von Nico Brünler (Die Linke) „Pendler in Sachsen. Drs. 6023“

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