Am Ende waren sie nicht drin. Sie stehen nicht unter den fest disponierten Projekten und auch nicht im vordringlichen Bedarf: Die drängendsten sächsischen Schienenprojekte im Bundesverkehrswegeplan, der nun am Freitag, 2. Dezember, beschlossen wurde. Sie stehen nur ganz unten, auf einer Warteliste, die noch nicht mit Geld bedacht ist aus dem 270-Milliarden-Paket des Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt.

Diese „Nachrückerliste“ nennt sich „Vorhaben des Potentiellen Bedarfs, die in den VB aufsteigen können“. Da stehen sie alle: die Elektrifizierung der Strecke  Cottbus – Görlitz (Planungsstand? Keine Angabe.), die Elektrifizierung der Strecke Dresden – Görlitz bis zur polnischen Grenze (Planungsstand? Unbekannt.) und die Elektrifizierung der Strecke Leipzig – Chemnitz, für die der Freistaat Sachsen schon Planungsmittel bereitgestellt hat – nur das Ministerium des Bundesautoministers hat sich noch nicht bemüßigt gefühlt, die Offerte aus Sachsen ernst zu nehmen.

Was eben auch heißt, dass bis 2030 kein müder Euro für diese Strecken bereitgestellt wird – obwohl eigentlich klar ist, dass es elektrifizierte Regionalstrecken sind, die künftig das Rückgrat der Verkehre bilden. Selten hat eine große Koalition so deutlich gemacht, dass man den Osten eher nur als Anhängsel betrachtet – auch und gerade in der regionalen Verkehrsfinanzierung. Jüngst ja erst mit der Verteilung der Regionalisierungsmittel durchexerziert.

Die Bundesrepublik hat ein Problem. Das stellt jetzt auch Stephan Kühn, sächsischer Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Verkehrspolitik der Grünen im Bundestag, wieder fest: „Mit dem von der Großen Koalition beschlossenen Bundesverkehrswegeplan wird die gescheiterte Verkehrspolitik der Vergangenheit fortgeschrieben. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ignoriert mit dem neuen Plan die drängenden energie- und klimapolitischen Herausforderungen. Der Bundesverkehrswegeplan leistet keinen Beitrag zum Klimaschutz im Verkehrssektor.“

Denn mit der ministeriellen Unfähigkeit, die notwendigen Strukturverbesserungen im Osten zu sichern, geht ja das Ignorieren eines längst begonnenen Verkehrswandels vor sich. Nicht nur der Osten erlebt ja die zunehmende Fokussierung der wirtschaftlichen Entwicklung auf einige zentrale Großstädte, die sich immer mehr zu Metropolkernen mausern. Das Phänomen verändert auch den Westen und sorgt gerade in Städten wie München, Frankfurt, Stuttgart oder im Ruhrgebiet für überlastete Autotrassen, die auch dann nicht aufnahmefähiger werden, wenn man sie – wie jetzt wieder beschlossen –  immer weiter ausbaut. Moderne Straßensysteme können die hohen Pendlerzahlen in die Großstädte schlicht nicht aufnehmen. Einen immer weiter wachsenden Pkw-Verkehr erst recht nicht. Deswegen steigen immer mehr Pendler auf Regionalzüge und S-Bahnen um. Auch das Systeme, die überlastet sind, aber mit kluger Planung zukunftsfähig erweitert werden können.

Mit einigen dieser Erweiterungen haben sich westliche Bundesländer im Bundesverkehrswegeplan durchgesetzt.

Den ostdeutschen Ländern fällt diesmal wieder die Schwäche der eigenen Landesregierungen auf die Füße.

„Aus sächsischer Perspektive bringt der Bundesverkehrswegeplan keine Klarheit für bessere Schienenverbindungen. Insbesondere der Ausbau der Strecken, die für den Verkehr in Richtung Polen relevant sind, hat keine Priorität. Auch die Verbesserung der für Südwestsachsen wichtigen Mitte-Deutschland-Verbindung steht ebenso in den Sternen wie die Elektrifizierung zwischen Chemnitz und Leipzig“, zählt Kühn auf. Und vermutet, dass die Dresdner Regierung nicht wirklich ernsthaft dafür gekämpft hat, dass diese Strecken endlich Priorität bei der Bundesförderung bekommen. „Wenn sich der Freistaat in den kommenden Jahren nicht richtig ins Zeug legt und beim Bund seine Interessen vertritt, verpassen die Oberlausitz und die Städte entlang der Sachsen-Franken-Magistrale endgültig den Anschluss an den Fernverkehr.“

Das Problem aus sächsischer Sicht ist eben auch, dass man über Jahre ein ausuferndes Straßensystem selbst in Regionen favorisiert hat, in denen die Bevölkerung zurückgeht und von einer wirtschaftlichen Renaissance keine Rede sein kann. Straße statt Schiene, hieß jahrelang das Motto.

„Im sächsischen Bundesstraßennetz wird zahlreichen Orten eine Ortsumgehung versprochen, obwohl es dafür objektiv keinen Bedarf gibt und die neue Straße vor Ort auch nicht gewollt ist“, kritisiert Kühn. „Der Bundesverkehrswegeplan krankt daran, dass er vermeintliche Verkehrsprobleme nach wie vor zuerst mit Neubau lösen will. Für viele Gemeinden wäre ein Ausbau im Bestand die vernünftigere Lösung. Bürgerinnen und Bürgern wird aber stattdessen die unerreichbare Möhre einer millionenschweren Ortsumgehung hingehalten. Der Ausbau einer Ortsdurchfahrt würde die Verkehrssicherheit verbessern, die innerörtlichen Verkehrsprobleme entschärfen und ist zudem kostengünstiger, umweltverträglicher sowie schneller umzusetzen als ein Neubau. Das Prinzip Ausbau vor Neubau verinnerlicht auch dieser Bundesverkehrswegeplan nicht – eine verpasste Chance. Die Betroffenen an den Ortsdurchfahrten werden weiter mit nicht erfüllbaren Wunschprojekten auf den Sankt-Nimmerleinstag vertröstet.“

Von einer nachhaltigen Änderung in der Bundesverkehrspolitik ist also – so sieht es Kühn – nichts zu merken: „So geht Bundesverkehrsminister Dobrindt mit der Gießkanne über das Land und beglückt Bürgermeister und Landräte mit bundesweit rund 500 Ortsumgehungen. Diese Form der politischen Landschaftspflege ist teuer wie umweltschädlich und bringt praktisch keinen Nutzen für das überregionale Verkehrsnetz.“

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Keine Kommentare bisher

Das soll doch auch keinen Nutzen für den Bürger haben. Reicht doch, wenn der Bürger das bezahlt. Und wenns dann doch noch nicht reicht, gibts halt noch ne Maut. Auf Ortsumgehungen. Erst für die bösen LKW, dann für die bösen Autofahrer, die alle immer die schönen Straßen kaputtfahren.

Wem das alles nĂĽtzt? Na ratet mal, wer all die schönen StraĂźen baut …

… und sozial ist, was Arbeitsplätze schafft … wie kursichtig auch immer

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