Die Vorlage der Szenarien zum Leipziger Nahverkehrsplan verzögert sich – um mindestens ein halbes Jahr. Das kann vorkommen. Besonders dann, wenn der Stadtrat eine deutliche Verschärfung der Bedingungen definiert, was Leipzigs Stadtrat ja getan hat, als er den Grünen-Antrag mehrheitsfähig machte, der eben drei verschiedene Szenarien für Leipzigs Stadtverkehr forderte. Drei mögliche Visionen. Die Verwaltung selbst packte noch was drauf.

Denn wenn man Verwaltungen mit der Erstellung so eines Planes beauftragt, dann kommt meist eine Art Weiter-So heraus, da und dort mit kleinen Verbesserungen.

Aber das wird nicht funktionieren, wenn Leipzig weiter so wächst. Und es wird auch nicht vor dem Hintergrund von Energiewende und Nachhaltigkeitszielen funktionieren. Aber auch das Entwickeln neuer Zukunftsszenarien hat es in sich. Die beiden Netzreformen der LVB in den vergangenen Jahren waren vor allem Optimierungen im bestehenden Netz. Die Frage lautete einfach: Wie kann man aus dem Bestehenden das Bestmögliche machen. O ja, Leibniz ist überall. Und oft genug versucht der Mensch, die Dinge effizienter zu machen, indem er sich wie der fiktive Gott in Leibniz‘ Modellversuch benimmt: Er hat eine riesige Auswahl möglicher Welten. Aber er wählt die eine, die bestmögliche aus.

Und bleibt unter seinen Möglichkeiten.

Denn der Fehler an Leibniz‘ Denkmodell war immer: Er ging von einem statischen Weltmodell aus, nicht von einem, das sich fortwährend selbst weiterentwickelt, komplizierter und komplexer wird. Das Unvollkommene (Böse) dachte er sich als festeingebauten Bestandteil selbst der besten aller möglichen Welten, nicht als Entwicklungspotenzial. Da musste erst Goethe kommen …

Und genau das trifft auch auf Verkehrsmodelle zu. Man kann unter den gegebenen Umständen das bestmögliche Modell entwickeln. (Was übrigens der Bund mit dem Bahnkonzern ebenso sinnfrei versucht hat – mit bekanntem Ergebnis). Aber dadurch bekommt man keine neue Qualität. Die bekommt man nur, wenn man das Modell neu denkt, anders denkt, nicht nur in der Optimierung der alten Parameter.

Logisch, dass die Grünen so ein Gefühl haben, dass sie der Verwaltung genau die richtige Aufgabe gestellt haben.

„Es steht zu befürchten, dass unser Antrag, für den Nahverkehrsplan verschiedene Szenarien zu erstellen, genau das Richtige bewirkt hat und die Verwaltungsspitze nun nicht weiß, wie sie mit dem Ergebnis der Mobilitätsszenarien und den sich daraus ergebenden Konsequenzen umgehen soll“, erklärt Daniel von der Heide, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Leipziger Stadtrat.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte im September 2015 beantragt, dass zum Nahverkehrsplan mindestens drei Szenarien erarbeitet werden sollten. Über den Alternativvorschlag der Verwaltung wurde dann sogar die Vorlage verschiedener Szenarien nicht nur für den Nahverkehrsplan, sondern für die gesamte Mobilität in Leipzig allgemein beschlossen.

„Unser Antrag hatte vor allem zum Zweck, dass der neue Nahverkehrsplan nicht von vornherein nur mit dem Ziel eines Ausgleichsbetrages von höchstens 45 Millionen Euro erarbeitet werden würde“, erläutert Daniel von der Heide. „Nun hat die Verwaltung die Mobilitätsszenarien sehr aufwendig erarbeitet. Offensichtlich will man die Augen vor dem verschließen, was unumgänglich ist: Wenn die Bevölkerung so stark steigt wie prognostiziert, droht Leipzig der Verkehrskollaps, sollte sich am Modal Split nichts ändern. Dies bedeutet, dass sich bei der Verkehrsorganisation einiges ändern muss. Dafür muss Geld in die Hand genommen werden, um den Umweltverbund zu stärken und insbesondere den ÖPNV attraktiver und bezahlbar zu machen.“

Modal Split – das ist die Verteilung der täglichen Wege der Leipziger auf die verschiedenen Verkehrsarten. 2015 war das ein heiß umkämpftes Thema im Stadtrat, als es um den neuen Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum ging. Die CDU-Fraktion hatte gegen das ambitionierte Ziel von 25 Prozent Wege-Anteil durch den ÖPNV opponiert. Aktuell schafft es der Leipziger Nahverkehr nur auf 17 Prozent – und ist dabei oft schon an der Grenze seiner Belastbarkeit. Man ahnt zumindest, dass eine ordentliche Schippe draufgepackt werden muss, wenn man auch nur die zuletzt beschlossenen 23 Prozent erreichen will.

Aber selbst die Nachhaltigkeitsziele der Stadt besagen, dass der motorisierte Individualverkehr deutlich zurückgehen muss, damit die Einsparungsziele beim CO2 erreicht werden. Heute trägt der Verkehr mit einem Drittel zum Leipziger CO2-Ausstoß bei.

Es wird also nicht ohne wirklich kluge und zukunftsweisende Investitionen in den ÖPNV gehen.

Aber woher nehmen das Geld?

Eine entscheidende Frage.

„Es ist wenig überraschend, dass Oberbürgermeister Jung dies lieber nicht wahrhaben will. Aber man löst die Probleme, die auf einen zukommen nicht, in dem man wie das Kaninchen paralysiert vor der Schlange sitzt“, sagt Daniel von der Heide. „Wir fordern Herrn Jung auf, schnellstens die Vorlage mit den Mobilitätsszenarien ins Verfahren zu geben und auf dieser Grundlage die notwendige öffentliche Diskussion über die Mobilität in der wachsenden Stadt zu eröffnen. Das wäre die notwendige Einbettung für die Fortschreibung des Nahverkehrsplanes.“

Denn erst wenn man einen klug durchdachten Plan hat, der Hand und Fuß hat, kann man auch in die finanziellen Planungen gehen und den Fördergeldgebern sagen, wo der Schuh drückt. Heute haben sich alle in einen hübschen Sparmodus hineinlaviert, den gerade die Geldgeber ganz ausgezeichnet finden. Motto: „Läuft doch irgendwie.“

Aber dieses „irgendwie“ macht den ÖPNV zunehmend unattraktiv und nicht wettbewerbsfähig. Was eben bedeutet, dass die Automobilnutzung mit 40 Prozent hoch bleibt und vor allem der Radverkehr zulegt, wo alle Leipziger landen, die irgendwann an den LVB-Automaten gemurmelt haben: „Die nehmen es hier von den Lebenden.“ Weil Preis und Angebot nach und nach spürbar auseinanderklaffen.

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