Natürlich muss man sich über den Verkehr in einer Stadt wie Leipzig Gedanken machen. Das ist überfällig. Die Probleme von heute sind die unterlassenen Investitionen von gestern. Und damit sind ganz bestimmt nicht fehlende Parkhäuser und Tiefgaragen gemeint. Denn 2016 hat Leipzig eine Schwelle überschritten. Eine, die deutlich zeigt, wie spät dran Leipzigs Verkehrspolitik ist.

In den vergangenen Jahren war es stets so, dass zwar mit dem Bevölkerungswachstum und der steigenden Zahl von Pkw in der Stadt auch die Zahl der Verkehrsunfälle stieg. Aber vor allem nahmen Blechschäden und leichte Unfälle zu. Eine Stadt, in der sich der Verkehr verdichtet, zwingt zu langsameren Geschwindigkeiten. Das verringert zwangsläufig auch die Schwere von Verkehrsunfällen.

Auch 2016 hat die Zahl der Unfälle weiter zugenommen. Aber die Autodichte wirkt sich nicht mehr mindernd auf eine wichtige Kenngröße aus: die der Verkehrstoten.

„In den ersten elf Monaten 2016 kamen insgesamt 14 Personen bei Verkehrsunfällen ums Leben, 6 mehr als ein Jahr zuvor“, schreiben Leipzigs Statistiker im gerade vorgelegten „Quartalsbericht IV/2016“.

Grund für diese vermehrte Zahl von Toten ist die Tatsache, dass jetzt nicht nur die motorisierten Verkehrsteilnehmer öfter in Konflikte miteinander geraten. Jetzt geraten auch Radfahrer und Fußgänger deutlich öfter in gefährliche Situationen, denen sie nicht mehr ausweichen können. Der Puffer einer Schadensminderung durch dichteren und gebremsten Verkehr ist aufgebraucht.

Und es tritt ziemlich deutlich an die Oberfläche, wo die Stadt Leipzig in den vergangenen Jahren zu wenig investiert hat. Und das betrifft vor allem das Radwegenetz, das in Teilen für seine Nutzer höchst gefährlich ist. Und zwar gerade dort, wo die Leipziger Planer seit Jahren zögern, die Weichen umzulegen und den umweltfreundlichen Verkehrsarten Vorrang und Sicherheit einzuräumen. Und keine Verkehrsart hat in Leipzig derart zugelegt wie der Radverkehr.

Die Reaktion der Politik auf das Thema ist schlicht ungenügend. Und zwar allein schon deshalb, weil das Thema sich „von allein“ entwickelt: Der Umstieg aufs Fahrrad ist in allen deutschen Großstädten im Trend. Und kaum eine Verkehrsart braucht so wenige grundsätzliche Investitionen, um die Voraussetzungen für ein nachhaltiges Wachstum zu schaffen. Leipzigs Politik sieht den Radverkehr perspektivisch irgendwo bei einem Wegeanteil von 20 Prozent.

Was fehlt, ist eine belastbare Untersuchung, was in einer Stadt wie Leipzig tatsächlich möglich ist. Selbst der heiß diskutierte „Modal Split“, den man bis 2025 erreichen will, ist nur am grünen Tisch ausgehandelt worden. Eine Art Wunschtableau, mit dem man unter anderem auch das Stadtklima verbessern und die künftigen Mobilitätsanforderungen leisten will. Aber niemand hat untersucht, welches Potenzial einzelne Verkehrsarten in Leipzig tatsächlich haben.

Andere Großstädte in der Bundesrepublik kommen wie selbstverständlich auf 30 Prozent Radwegeanteil an den täglichen Wegen ihrer Bürger – und sie haben in der Regel ihr Radwegenetz auch schon entsprechend ausgebaut.

In Leipzig gibt es keinen einzigen Hinderungsgrund, der vermuten ließe, dass die Stadt nicht auch 30 Prozent erreichen könnte (statt der mageren geplanten 20 Prozent). Das wäre zwar anteilig fast eine Verdoppelung zum heutigen Zustand (17 Prozent)  – aber Leipzig liegt flach wie ein Pfannkuchen in seiner Tieflandsbucht. Nur die fehlenden sicheren Radtrassen hindern gerade ältere Leipziger daran, ihre Wege wie selbstverständlich mit dem Rad zu erledigen.

Zwar staunten alle Beteiligten bei der Veröffentlichung des letzten „Modal Split“, dass der Pkw-Anteil bei 40 Prozent stagniert, während der ÖPNV sogar leicht verloren hatte von 18,8 Prozent im Jahr 2008 auf 17,6 Prozent im Jahr 2015. Aber darauf reagierte Ronald Juhrs, Geschäftsführer der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB), schon mit einem fröhlichen „Warten wir’s mal ab.“

Denn 2015 wurde ja deshalb auch als Vergleichsjahr im „Modal Spit“ genutzt, um auch die Wirkungen des City-Tunnels und des neuen S-Bahn-Netzes auf den Leipziger ÖPNV einschätzen zu können. Augenscheinlich hat das schnelle S-Bahn-Netz tatsächlich dazu geführt, dass viele Straßenbahnnutzer umgestiegen sind. Was dann für die LVB vor allem im Jahreswechsel von 2013 zu 2014 einen Verlust von Millionen Fahrgästen brachte. Fuhren 2013 noch 142 Millionen Personen mit Bussen und Bahnen der LVB, so waren es 2014 nur noch 136 Millionen. Eine Reform im Busnetz kam hinzu, mit der die LVB 2 Millionen Fahrgäste praktisch an den Landkreis Leipzig abgegeben haben.

Man kann nur mutmaßen, dass die fehlenden Fahrgäste allesamt in die neuen Bahnen des S-Bahn-Netzes umgestiegen sind. Leipzigs Statistiker grämen sich noch immer, dass sie von der Deutschen Bahn AG einfach keine verlässlichen Passagierzahlen für das Leipziger Netz bekommen können – obwohl die von den automatischen Systemen der modernen Bahnen genauso gezählt werden wie in den Straßenbahnen der LVB.

2015 zogen die Fahrgastzahlen der LVB wieder leicht an – auf 138 Millionen. Da war zu erwarten, dass im Jahr 2016 wieder die 140-Millionen-Marke erreicht wird. Denn selbst wenn der Anteil der Straßenbahnnutzer nicht wächst, muss ja allein schon das Bevölkerungswachstum dafür sorgen, dass mehr Menschen Bahnen und Busse nutzen.

Und da hat man dann noch so einen Spruch von Ronald Juhrs im Ohr, der übers Jahr einfach nicht zu passen schien: „Wir wachsen überdurchschnittlich.“

Die 2015er Zahlen haben das noch nicht belegt.

Aber die 2016er Zahlen belegen es jetzt. Denn hätten die LVB dasselbe Wachstum hingelegt wie die Stadtbevölkerung (plus 2,1 Prozent), dann hätte am Jahresende eine Zahl von 141 Millionen Fahrgästen erwartet werden können. Im neuen Quartalsbericht aber findet man jetzt eine durchaus überraschende Zahl von 148,2 Millionen beförderten Personen. Das ist dann tatsächlich ein Zuwachs um über 7 Prozent.

Und es erklärt natürlich viele Phänomene, die man mittlerweile im Straßenbahnnetz beobachten kann: Die Bahnen sind rappelvoll – und zwar nicht nur in der Rushhour. Und selbst auf Linien, wo zuvor kleine Fahrzeuge genügten, müssen mittlerweile Doppeltraktionen gefahren werden.

Noch haben die LVB ja ihren Jahresabschluss nicht vorgelegt. Aber es steht zu vermuten, dass auch die Fahrgasteinnahmen entsprechend gestiegen sind und dadurch eine Nichterhöhung der Fahrpreise im Jahr 2017 nicht nur gerechtfertigt, sondern auch finanzierbar ist.

Die Statistik für 2016 zeigt auch, dass das Wachstum vor allem im Straßenbahnnetz vor sich ging. Hier stieg die Zahl der Fahrgäste von 111 auf 120 Millionen. Was dann wieder ein Fingerzeig ist auf das, was jetzt im Leipziger ÖPNV passieren muss. Die 16 neuen XL-Straßenbahnen, die in diesem Jahr in Betrieb genommen werden sollen, werden vielleicht noch ein, zwei Jahre so einen Fahrgastzuwachs auffangen. Ein wenig Puffer kann man dadurch gewinnen, dass man einige Fahrtakte verdichtet.

Aber nicht ganz ohne Grund ist 2016 die Diskussion um das Nadelöhr Hauptbahnhof aufgekommen. Hier passen in der Rushhour nicht wirklich mehr Straßenbahnen durch.

Aber unübersehbar sind es die (modernen) Straßenbahnen, die das Umsteigen auf ÖPNV in Leipzig vorantreiben. Also muss es auch echte Streckenerweiterungen im Leipziger Netz geben, um die zusätzlichen Fahrgäste transportieren zu können. Das kann man, wie OBM Burkhard Jung es sich vorstellt, mit allen anderen  Verkehrsarten gemeinsam denken. Aber das bringt am Ende nicht weiter. Denn gerade Radverkehr und ÖPNV wachsen derzeit gleichzeitig. Man muss ihren Ausbau also auch gleichzeitig in Angriff nehmen. Und zwar nicht erst irgendwann nach 2020. Eigentlich muss Ende 2017 klar sein, was in welches Netz investiert werden muss. Und wie schnell.

Der Statistische Quartalsbericht IV / 2016 ist im Internet unter www.leipzig.de/statistik unter „Veröffentlichungen“ einzusehen. Er ist zudem für sieben Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) beim Amt für Statistik und Wahlen erhältlich.

Postbezug: Stadt Leipzig, Amt fĂĽr Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig; Direktbezug: Stadt Leipzig, Amt fĂĽr Statistik und Wahlen, Burgplatz 1, Stadthaus, Zimmer 228.

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https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/03/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

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,,Also muss es auch echte Streckenerweiterungen im Leipziger Netz geben, um die zusätzlichen Fahrgäste transportieren zu können”

Bitte nicht transportieren schreiben!
,,… um die zusätzlichen Fahrgäste befördern zu können.”

Es wird in Zukunft nötig sein,
auf bestimmten Linien Fahrzeuge mit mehr Kapazität an Sitz- und Stehplätzen einzusetzen.
Linie 4 und 10 mit den neuen XL ist bereits beschlossen,
jedoch sollten auch auf der Linie 1, 12 und 14 größere Fahrzeuge in den Einsatz gelangen, diese Linien sind im Berufsverkehr ausgelastet.
Auf Linie 14 wĂĽrde sich auch die EinfĂĽhrung eines 10-Minuten Takt helfen.

Auf der Linie 7 im Bereich Leutzsch sollte ĂĽber eine Taktverdichtung (alle 5min in der HVZ) nachgedacht werden.

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