Für FreikäuferDie Zeit der Automobile geht vorbei. Nicht sprungartig von Heute auf Morgen. Auch nicht wegen des Diesel-Skandals, der freilich ein Symptom dafür ist, wie verzweifelt viele Deutsche an Altgewohntem festhalten. Übrigens nicht nur die Bürger. Die Regierenden erst recht. Sie haben kaum noch Mut, Neues in die Wege zu leiten. Selbst dann, wenn es schon kommt. So wie das Umdenken der Leipziger in Sachen Verkehr.

Hätte man nur die 2015er und 2016er Werte zum Vergleich, man könnte es als Eintagsfliege abtun, als einmaligen Ausrutscher in der Bürgerumfrage. 42 Prozent der befragten Leipziger gaben an, dass es in ihrem Haushalt kein Auto gibt, vier Prozent mehr als 2015. Der Ausstattungsgrad mit Pkw ist also wieder auf die Marke von 2014 gefallen, nachdem 2015 kurz wieder 62 Prozent erreicht waren. Damit zeichnet sich der Trend fort, der seit 2012 zu sehen ist: Die Leipziger verzichten zunehmend aufs Auto.

2011 gab’s mit 65 Prozent den Spitzenwert, nachdem der Pkw-Besitz binnen eines Jahres von 51 Prozent regelrecht hochgeschnellt war. Mögliche Ursache: Das Anziehen der Wirtschaft, der anziehende Arbeitsmarkt und die Beschleunigung des Bevölkerungswachstums. Wer aus einer Region kommt, in der ohne Pkw nichts zu bewerkstelligen ist, der braucht natürlich eine Weile, bis er auch sein Mobilitätsverhalten ändert.

Aber die Leipziger ändern ihr Mobilitätsverhalten unübersehbar, aber in ganz langen Schleifen. Im Jahr 2000 legten sie noch 54 Prozent ihrer Arbeitswege mit dem Pkw zurück. Kontinuierlich sank dieser Wert und erreichte 2016 mit 43 Prozent einen neuen Tiefststand. Dafür stieg der Anteil der zu Fuß oder mit Rad zurückgelegten Arbeitswege von 18 auf 29 Prozent deutlich. Und mit 28 Prozent hat auch der ÖPNV wieder seinen Wert von 2000 erreicht. Seit 2009 dominieren die umweltfreundlichen Verkehrsarten bei den Wegen zur Arbeit.

Beim Einkauf ist es noch nicht so. Da behält der Pkw mit 51 Prozent knapp die Nase vorn. Zeichen dafür, dass die Einkaufsstrukturen in Leipzig noch nicht umweltfreundlich sind, dafür autoaffin.

Und zurückliegende Bürgerumfragen haben immer auch die Vermutung genährt, dass vor allem das Fahrrad auf dem Vormarsch ist – nicht nur in der Freizeit, sondern bestimmend im Alltagsgebrauch. In der Freizeit nutzen die Leipziger das Auto noch in 36 Prozent aller Fälle – aber im Grunde dominiert dort schon lange der „Umweltverbund“, das heißt der Mix der umweltfreundlichen Verkehrsarten Radfahren (34 Prozent), ÖPNV (16 Prozent) und Zufußgehen (12 Prozent). Das ist auch gesünder. Viel zu viele Leipziger sind übergewichtig, weil sie sich zu wenig bewegen.

Deswegen gehört das Rad auch zum häufigsten Verkehrsmittel in den Haushalten: Nur 30 Prozent der Haushalte haben kein Fahrrad. Aber der hohe Wert ergibt sich vor allem durch die Senioren in der Stadt, die oft kein Fahrrad (mehr) besitzen und aus rein gesundheitlichen Gründen darauf verzichten.

Bei den Familien in der Stadt liegt der Fahrradbesitz zum Beispiel bei 89 Prozent – und in der Regel stehen dort mindestens zwei Fahrräder im Keller.

Und erstmals haben die Statistiker auch umfassend die ÖPNV-Nutzung abgefragt: 30 Prozent der Leipziger nutzen danach ein Abo-Angebot der LVB – was für die steigenden Fahrgastzahlen spricht. 44 Prozent holen sich, wenn sie mal Tram, Bus oder Zug fahren, ein Einzelticket – nur 10 Prozent der Leipziger geben an, niemals mit dem ÖPNV zu fahren. Das heißt: Die meisten Leipziger sind mit dem ÖPNV vertraut – ein riesiges Potenzial für die LVB und die Bahn.

Erwartungen der Leipziger an den ÖPNV wurden zwar nicht abgefragt. Aber man ahnt, was im Streckennetz möglich wäre, wenn es ausgebaut würde und auch die Bedürfnisse all jener bedienen würde, die es bislang nur sporadisch nutzen. Zum Beispiel für den Weg in die Innenstadt, wo der ÖPNV heute schon mit 48 Prozent das Verkehrsmittel Nr. 1 ist, während nur noch 19 Prozent der Befragten unbedingt mit dem Auto in die City fahren müssen.

Aber das Stichwort Fahrrad bringt uns aufs nächste Thema, das in der Bürgerumfrage besonders beleuchtet wurde.

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