Was für eine schräge Diskussion: Da tricksen ein paar Autobauer an ihren Motoren herum, damit sie noch mehr und noch mehr Autos mit Dieselmotor verkaufen können. Die Leute kaufen wie blöd, obwohl seit zwei Jahren bewiesen ist, dass getrickst wird. Und dann wird lamentiert, dass man dafür doch nicht bestraft werden dürfe. Mit Fahrverboten zum Beispiel. Nichts gegen Diesel-Fahrer, aber ...

Der war jetzt gut, stimmt’s?

Aber eigentlich geht es nicht darum. Niemand hat augenscheinlich vor, Diesel-Autofahrer zu bestrafen. Selbst wenn es Fahrverbote geben sollte. Es sieht sogar ganz so aus, dass deutsche Großstädte heute schon das Recht haben dürften, solche zu verhängen – nämlich an Tagen mit erhöhter Luftschadstoffbelastung. Darum ging es ja beim Stuttgarter Gerichtsurteil. Weitere werden folgen.

Und zumindest ältere Bewohner der westlichen Bundesländer werden sich daran erinnern, dass es dort in Großstädten auch des Öfteren einmal Fahrverbote gab – nämlich bei Smog-Warnung. Die Ostdeutschen nicht. Denn der Smog endete ja bekanntlich am „Antifaschistischen Schutzwall“.

Aber diese Maßnahmen brachten den Bundesbürgern ins Bewusstsein, dass exzessiver Autoverkehr seinen Teil beitrug zur Luftverschmutzung. Und dass Autos sauberer werden mussten. Spritsparender auch.

Solche Fahrverbote galten immer befristet. Der Verzicht aufs eigene Auto war also auf Tage hin überschaubar. Eigentlich darf man so ein Selbstverständnis in einer Gesellschaft wie der unseren erwarten.

Aber in die deutsche Politik ist eine Art Gefühligkeit eingekehrt, die nur noch frappiert. Als dürfe man partout nicht darüber nachdenken, wie man Bürger aus ihren bequemen Abläufen herausreißen darf. Als dürfe man Dieselfahrer nicht daran erinnern, dass der Kauf des Autos nur zur Hälfte eine gute Idee war – zur anderen aber eine Dummheit. Es ist ja nicht so, dass im Laden keine Benziner, Hybrid- oder Elektro-Autos zur Wahl dastehen. Manchmal muss man auch einfach solche simplen Folgen einberechnen.

Und wer ein bisschen aufmerksamer war, der konnte auch in auflagenstarken Medien immer wieder lesen, wie gerade die Deutsche Umwelthilfe (DUH) seit 2007 regelmäßig auf die messbaren Überschreitungen bei Spritverbrauch und Schadstoffausstoß neuer Diesel-Fahrzeuge hinwies. Sie konnte nur noch nicht sagen, wie es dazu kam. Die Existenz der elektronischen Abschaltvorrichtung für die Abgasreinigung wurde erst 2015 nachgewiesen.

Aber jeder Autokäufer konnte wissen, dass sein Auto nicht die Messwerte hatte, die auf dem Verkaufsprospekt standen. Die meisten kauften nur nach Preis. Diesel ist ja billig. Und die Äußerungen diverser Politiker der letzten Tage zeigen, dass sie genauso denken. Immer noch.

Was Rico Gebhardt, den Vorsitzenden der Linksfraktion im Landtag, zumindest ins Grübeln bringt: „Sachsens Regierungsspitze agiert einmal mehr gespalten und schwach – Tillich begrüßt die Ergebnisse des ‚Dieselgipfels‘, während sein Stellvertreter von der SPD, Wirtschaftsminister Martin Dulig, ‚enttäuscht‘ ist und sich ‚ärgert, dass die Automobilindustrie offenbar noch immer nicht verstanden hat, was auf dem Spiel steht‘.“

Martin Dulig ist nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Verkehrsminister, also gewissermaßen auch verantwortlich dafür, wie umweltfreundlich Verkehr in Sachsen ist.

Was Gebhardt zu der Kritik bringt: „Daran, dass es so weit gekommen ist, hat Martin Dulig persönlich eine Aktie. Als die Linksfraktion 2015 im Landtag darüber sprechen wollte, wie Schaden aus der Dieselaffäre abzuwenden sei, polterte Dulig unsachlich: ‚Es ist kein Skandal, es ist kein Desaster. ‘ Er behauptete gar: ‚Es ist ein Angriff auf die deutsche Automobilindustrie, der vollzogen wird. ‘ Entsprechend löst seine 180-Grad-Kehrtwende jetzt bei sächsischen Autobauern Unverständnis aus, aber auch bei uns: Was hat Martin Dulig zusammen mit seinen niedersächsischen Parteifreunden (gegen den Anteilseigner Land Niedersachsen kann bei VW keine wichtige Entscheidung getroffen werden), eigentlich dafür getan, dass es nicht zu der derzeitigen Zuspitzung kommt? Offenbar so gut wie nichts.“

Am Sinn der Beschlüsse auf dem „Dieselgipfel“ am 2. August in Berlin zweifelt zumindest Marco Böhme, mobilitätspolitischer Sprecher der sächsischen Linksfraktion: „Das Mindeste, was nun passieren muss, ist, dass es nicht nur Software-Updates für die betroffenen Fahrzeuge gibt, sondern dort, wo eine Umrüstung möglich ist, diese schleunigst umgesetzt wird. Und selbstverständlich haben dafür die Konzerne zu zahlen! Das ist sowieso nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn dies maximal 30 % Schadstoffreduktion bringt, der Grenzwert aber um 400 % überschritten wird. Man stelle sich vor, ein Bäcker hätte jahrelang so vorsätzlich gepfuscht wie die Verantwortlichen in der Autoindustrie – der faktische Freifahrtschein zum Rechtsbruch muss entzogen werden!“

Aber letztlich bleibt die Diskussion verzerrt, denn sie überdeckt auch die Tatsache, dass andere Weichenstellungen im Verkehr längst überfällig sind. Auch in Sachsen, wo die ÖPNV-Strategiekommission seit Ende 2015 tagt und Ende 2017 endlich „erste konzeptionelle Vorschläge“ für den künftigen ÖPNV in Sachsen vorlegen soll. Das ist viel Zeit. Genauso schwer tut sich Leipzig mit seinem neuen Nahverkehrsplan. Dabei gibt es einzelne Förderprogramme, könnte selbst mit den vorhandenen Möglichkeiten mehr getan werden. An Ideen mangelt es nicht, stellt Marco Böhme fest.

„Parallel braucht es eine Umsetzung der vielen Ideen für eine nachhaltige Verkehrspolitik: Sofortmaßnahmen wie Fahrpreissenkung im ÖPNV, mehr Tempo-30-Zonen, verbesserte Bedingungen für Radverkehr und ÖPNV. Das Geld dafür ist da“, sagt Böhme. „Pläne gibt es auch. Es mangelt an der politischen Umsetzung. Die Verkehrswende geht alle an. Es ist falsch, einseitig einkommensschwache Benutzer*innen älterer Autos oder die Benutzung von Dieselfahrzeugen pauschal zu ‚bestrafen‘. Es geht darum, dass in den Städten wieder der Mensch im Mittelpunkt steht – gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung und Lärmbelastung sowie horrender Flächenverbrauch für Autoverkehr gerade in Vierteln, wo Menschen wohnen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben, sind damit unvereinbar. Wir brauchen bessere Park&Ride-Systeme, damit künftig in den Stadtzentren weniger unwirtliche Straßenschluchten und mehr belebte Plätze für Lebensqualität für alle sorgen – Bewohner*innen wie Besucher*innen.“

Man wartet fast noch auf eine Pointe bei dem Satz. Aber die bleibt ja in der Realität auch meistens aus. Es wird vertagt, es werden Märchen erzählt, falsche Prioritäten gesetzt, und wenn dann ein zukunftsfähiges ÖPNV-System (wie das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz) gebaut wird, wird es knapp auf Kante geplant, wird Zuwachs gar nicht eingeplant. Man gibt sich mutlos, obwohl man die „Verkehrswende“ in der Hand hat – und ein modernes, abgas- und staufreies System sowieso. Mehr Mut zu solchen Systemen würde viel Verkehrsärger und Luftbelastung an anderer Stelle schlicht verhindern. Aber ein Auto ist schneller gekauft, als eine Kommission gegründet, die dann in aller Ruhe abwägt, wie viel man sich trauen darf und wie wenig es kosten soll.

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