Leipzigs Straßenbahnnetz wird erweitert. Das ist seit Mittwoch, 14. Oktober, nun Beschluss. Da stand die Vorlage der Verwaltung zum Bau von drei Erweiterungen im LVB-Netz im Stadtrat auf der Tagesordnung. Und anders als noch in vergangenen Jahren gab es keine Gegenrede. Nach über zehn Jahren hat sich das Bild völlig gewandelt. Und es geht trotzdem nicht schnell genug.

Die Kernaussage der Verwaltungsvorlage ist folgende:

„Von den Netzerweiterungen Straßenbahn der Priorität 1 wird für die Neubaumaßnahmen:

– „Südsehne“ – mit begleitenden Einbindungstrassen
– „Wahren4Link“ – Anbindung S-Bf. Wahren mit Mittlerem Ring Nordwest
– „Verlängerung Thekla Süd“

der sofortige Planungsbeginn beschlossen. Für diese Maßnahmen erfolgt eine projektbezogene Öffentlichkeitsbeteiligung.“

Das ist schon eine Auswahl möglicher Netzerweiterungen. Aus Sicht von Verwaltung und Stadtrat ist sie plausibel. Obwohl im Rahmen des Nahverkehrsplans auch noch andere Strecken beantragt und diskutiert wurden. Aber die Vorlage resultiert natürlich direkt aus dem 2018 beschlossenen Nachhaltigkeitsszenario, das wieder aus einem Antrag des Stadtrates zum Nahverkehrsplan aus dem Jahr 2016 resultierte.

Als Nutzer der Angebote der LVB ist man ja Warten gewohnt. Sehr langes Warten. Als ÖPNV-Nutzer wird man ja regelrecht zum Warte-Spezialisten.

Was aber im Fall des Leipziger ÖPNV eine Katastrophe ist. Denn einige Stadtratsfraktionen haben ja nicht erst 2016 damit begonnen, die Verwaltung darauf hinzuweisen, dass es in Leipzig keine Verkehrswende gibt, wenn nicht der ÖPNV kräftig ausgebaut wird. Und ohne Verkehrswende kann Leipzig all seine Klimaziele in die Papiertonne stecken. Denn mit einem Drittel trägt nach wie vor der auf fossilen Brennstoffen beruhende Verkehr zum Leipziger CO2-Aufkommen bei. Ändern wird sich das nur, wenn der ÖPNV-Anteil am täglichen Verkehr tatsächlich einmal auf die geplanten 25 Prozent ansteigt.

Seit wann wissen wir das?

Offiziell seit 2012, dem Jahr, in dem Jürgen Kasek sagte: „Ein umfassend gedachtes kommunales Mobilitätsmanagment, das der Komplexität von Mobilität Rechnung trägt und klare Leitlinien für autofreien Verkehr vorsieht, gibt es in Leipzig bisher nicht.“

In diesem Jahr veröffentlichten die Leipziger Verkehrsbetriebe ihr Konzept „Fokus 25“. In diesem tauchte die kurz zuvor vom Stadtrat beschlossene Zielzahl für den Modal Split für das Jahr 2025 auf: Der Anteil des ÖPNV an den täglichen Wegen der Leipziger sollte von damals 17 Prozent bis 2025 auf 25 Prozent steigen. Die Zielzahl ist zwar inzwischen (nach heftigen Protesten der Autolobby) auf 23 Prozent abgesenkt worden. Am tatsächlichen Anteil aber hat sich nichts geändert.

Verständlich also, dass dann doch zumindest im Redebeitrag von Franziska Riekewald (Die Linke) der aufgestaute Frust spürbar wurde, wie lange das gedauert hat, bis Leipzig endlich an den Punkt gekommen ist, das 2012 Angekündigte mit Beschlüssen zu untersetzen. 2014, so stellte Riekewald zu Recht fest, wurde den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) noch immer ein rigides Sparregime auferlegt, das es ihnen im Grunde unmöglich machte, neue Projekte oder gar Erweiterungen zu planen. Was eben nicht nur bedeutet, dass keine neuen Strecken gebaut wurden, sondern dass es dafür (außer für den neue Streckenast in Thekla) auch keine Planungen gibt.

Auch das wurde in der Diskussion am Mittwoch deutlich, nämlich als es um die Zeitschiene ging. 2021 soll es eine umfassende Bürgerbeteiligung zu den drei Netzerweiterungen geben. Aber erst 2023 will die Verwaltung dann die Ergebnisse aus diesem Beteiligungsprozess vorlegen. Man habe dazu extra noch einmal mit den LVB gesprochen, sagte Baubürgermeister Thomas Dienberg.

Aber dass es nach der Bürgerbeteiligung wieder ein volles Jahr dauern soll, dass der Stadtrat dann über die Konkretisierung der Projekte informiert wird, fand auch Sven Morlok inakzeptabel, der ja als einstiger Verkehrsminister in Sachsen weiß, wie langsam oder schnell solche Planungen verlaufen können. Weshalb er am Rednerpult erläuterte, warum die Freibeuterfraktion eine Vorverlegung des Termins auf 2022 beantragt hat.

Denn dass die LVB meinen, über ein Jahr für diese Planungsentwürfe zu brauchen, bedeutet eben auch, dass man 1. nach vielen Jahren der Stagnation auch an das Tempo der Stagnation gewöhnt ist und 2. wohl auch nicht (mehr) die nötigen Planungspersonalstellen besetzt hat. Und inakzeptabel fand auch Franziska Riekewald dieses Gemäre, weil der Stadtrat nun einmal 2022 über den Doppelhaushalt 2023/2024 beraten muss. Das heißt: Er muss 2022 mit einplanen, was 2023/2024 an Planungsmitteln für die drei Neubauprojekte fließen muss. Denn dann muss es zwangsläufig in die Feinplanungen gehen.

Selbst Siegrun Seidel, die für die CDU-Fraktion sprach, machte der Verwaltung richtig Feuer. Deutlicher konnte gar nicht werden, wie sehr sich die Stimmung im Stadtrat seit 2012 gedreht hat, als es noch einmal einen regelrechten „Stopp“ nicht nur für den ÖPNV, sondern leider auch für den Radverkehr gegeben hat (Stichwort: Radverkehrsentwicklungsplan). Damals hätte die CDU-Fraktion nie und nimmer für ein so großes Ausbauprogramm im Straßenbahnnetz gestimmt.

Aber mittlerweile ist das Thema Klimawandel im Grunde bei jeder Ratsversammlung präsent. Und genauso die Rolle einer echten Verkehrswende.

Der Stadtrat ist es, der beim Thema Mobilität nun schon seit vier Jahren die Verwaltung vor sich hertreibt – und sichtlich immer ungeduldiger wird mit dem vorgelegten Schneckentempo.

No comment. Foto: Ralf Julke
No comment. Foto: Ralf Julke

Nach all den ziemlich deutlichen Redebeiträgen ahnte OBM Burkhard Jung schon, wie die Abstimmung ausgehen würde. Und sie ging auch so aus.

Der Freibeuter-Antrag, dass die Ergebnisse aus der Bürgerbeteiligung schon 2022 dem Stadtrat vorgelegt werden sollen, bekam 48:3 Stimmen und 9 Enthaltungen, ist damit mehr als eindeutig angenommen.

Und die Vorlage selbst, mit der jetzt der Planungsprozess beginnen muss, bekam dann 61:1 Stimmen.

Übrigens auch, weil auch schon der zeitweilig beratende Ausschuss Mobilität vorher Druck gemacht hatte und in der Vorlage jetzt auch steht, dass ab 2021 alle notwendigen Planerstellen besetzt sein müssen. Was auch wieder Auswirkungen auf den jetzt zu beschließenden Doppelhaushalt 2021/2022 hat, denn da müssen die Gelder für diese Stellen drinstehen.

Und ein Traum wäre es natürlich, wenn Franziska Riekewalds Wunsch in Erfüllung ginge, dass die ersten Streckenerweiterungen nicht erst 2030 passieren, sondern schon ab 2027.

Die Debatte im Stadtrat vom 14. Oktober 2020

Video: Livestream der Stadt Leipzig

Erster Schritt zu einer neuen Straßenbahntrasse: Studie soll mögliche Straßenbahntangente Südsehne untersuchen

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