Es gibt Tage, da bekommen es DIE JOURNALISTEN oder DIE MEDIEN gleich von allen Seiten. Da schrieb Peter Welchering auf der Website des DJV Baden-Württemberg großspurig wie ein Journalismus- und Medientrainer: „Die Schlacht um die Netzneutralität ist geschlagen und wir Journalisten haben es versemmelt“. Und dann liest man eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass ausgerechnet Medienberichte den Bürgern bewusst gemacht haben, dass Verbraucherdaten im Internet nicht mehr sicher sind?

Ein Irrtum? Oder hat das beides nichts miteinander zu tun? Hat es doch. Denn auch beim Ende der Netzneutralität geht es um noch mehr Datensammelei und Kontrolle im Internet. Das hat Welchering schon richtig beschrieben. Bezogen hat er sich auf eine Warnung der Delegierten der Internet Engineering Task Force, die auf ihrer Tagung den politisch begleiteten Verlust der Netzneutralität angeprangert hat.

„Aber das war es dann auch. Die bezahlten Ăśberholspuren im Internet sind längst beschlossene Sache. Bei der Netzneutralität haben die Netzaktivisten die entscheidenden Schlachten verloren. Eine breitere Ă–ffentlichkeit interessierte und interessiert sich ohnedies nicht fĂĽr das Thema”, schreibt Welchering.

Und irrt. Denn die Autoren der für die Friedrich-Ebert-Stiftung verfassten Studie „Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik im Urteil der Bevölkerung“ kommen zu einem völlig anderen Schluss: „Gleichzeitig gibt es eine ganze Reihe von Waren- und Dienstleistungsbereichen, in denen sich die Verbraucher_innen nur ungenügend geschützt sehen. Insbesondere wenn es um den Schutz privater Daten im Internet geht, hält nur eine Minderheit die Interessen der Verbraucher_innen für ausreichend geschützt. 82 Prozent sind überzeugt, dass es beim Schutz privater Daten im Internet Defizite gibt. Hier zeigt sich das interessante Phänomen, dass zwar nur 19 Prozent bisher persönlich negative Erfahrungen mit dem Umgang privater Daten im Internet gemacht haben, dass aber die breite Mehrheit ganz generell von einem unzureichenden Schutz ausgeht. In diesem Urteil spiegeln sich vor allem Medienberichte wider.“

Denn die Wahrheit ist: Ăśber die Gefahren fĂĽr Datenschutz und Privatsphäre im Internet wird jede Menge berichtet. Die Netzneutralität ist nur eins von vielen Themenfeldern dazu. Gerade bei diesem Thema sind zwar die Verbraucher aufs höchste sensibilisiert. Doch bei denen, die fĂĽr den Verbraucherschutz im Internet eigentlich verantwortlich sind, verhallen die Geschichten, ĂĽben sich Minister in Hilflosigkeit, weil sie sich den riesigen Kommunikationskonzernen nicht gewachsen fĂĽhlen, es aber auch kein juristisches Instrument auf nationaler oder europäischer Ebene gibt, mit dem man der Datengier der groĂźen Konzerne zu Leibe rĂĽcken könnte. Wer im Glashaus sitzt, darf ja nicht mit Steinen schmeiĂźen. Denn auch staatliche Behörden greifen ja eifrig zu – und unterlaufen damit bewusst Verbraucherschutzrechte.

Logisch, dass die Menschen, die das Allensbach-Institut im Auftrag der FES befragt hat, besorgt sind. Nur 9 Prozent glauben ihre privaten Daten im Internet gut geschĂĽtzt. Selbst bei Lebensmitteln sehen die Zahlen anders aus, obwohl gerade Lebensmittelskandale das Thema Verbraucherschutz immer besonders befeuern.

„Die Trendanalyse macht deutlich, dass die Situation heute erheblich günstiger bewertet wird als noch zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts und auch tendenziell günstiger als im Verlauf der letzten Jahre. 2001 waren lediglich 33 Prozent überzeugt, dass die Interessen der Verbraucher_innen in Deutschland gut geschützt werden, 2008 waren es 55 Prozent, drei Jahre später nur noch 48 Prozent; heute sind es 59 Prozent. Umgekehrt ist der Anteil derer, die sich mit dem Verbraucherschutz unzufrieden zeigen, im gleichen Zeitraum von 62 auf 30 Prozent zurückgegangen“, schreiben die Autoren der Studie.

Die Studie bestätigt, was auch die Verbraucherschutzzentralen feststellen: Gerade im Kommunikations- und Finanzdiestleistungsbereich sind Verbraucherrechte am stärksten gefährdet.

„Besonders häufig berichten die Bürger_innen von schlechten Erfahrungen bei Finanzdienstleistungen, mit Angeboten aus dem Telekommunikationsbereich sowie bei Lebensmitteln“, heißt es in der Studie. „34 Prozent der Verbraucher_innen geben zu Protokoll, dass sie bei Versicherungen bereits so große Probleme hatten, dass sie sich einen besseren Verbraucherschutz gewünscht hätten, 29 Prozent bei Banken oder Bankdienstleistungen, 28 Prozent beim Abschluss von Telefon- oder Internetverträgen und 26 Prozent bei Lebensmitteln. Rund jede/r Fünfte hätte sich aufgrund von Problemen auch bereits einen besseren Verbraucherschutz im Bereich der Energieversorgung sowie beim Schutz persönlicher Daten im Internet gewünscht.“

Es sind erstaunlicherweise fast alles Bereiche, in denen die Politik in den vergangenen 20 Jahren besonders stark dereguliert hat. Aber Deregulierung heiĂźt eben auch: Weniger Kontrolle. Und mehr schwarze Schafe, die sich auf einem Markt tummeln, auf dem es vor Grauzonen nur so wimmelt.

Da bleibt dann auch das auf der Strecke, was Verbraucherschützer den „informierten Verbraucher“ nennen: Beim Dickicht der Klauseln und Sonderbestimmungen schaut auch der Bestinformierte nicht mehr durch. Auch nicht bei Lebensmitteln, wo die Politik besonders stark auf den Verbraucher setzt, der sich auch das Kleingedruckte auf der Packung durchliest. Es nutzt nur meist nichts. Im Gegenteil: Je mehr Kleingedrucktes es gibt, umso größer wird die Intransparenz. Und umso deutlicher wird, dass die Erwartung der meisten Verbraucher, dass die Politik sie vor den Zumutungen intransparenter Geschäftemacherei schützt, berechtigt ist. Es schillert das Gefühl durch, dass Politik wohl schon seit einer Weile die Seiten gewechselt hat und vor allem die Interessen der Konzerne vertritt und deren Wünsche nach noch mehr Deregulierung.

„Gleichzeitig weiß die Bevölkerung sehr genau zu benennen, wie eine gute Verbraucherpolitik auszusehen hat: Die Bevölkerung erwartet von Politiker_innen und den Akteuren des Verbraucherschutzes, dass sie sich vor allem für mehr Transparenz einsetzen und die Verbraucher_innen gut und umfassend informieren“, schreiben die Autoren der Studie. „Zudem sollen Verbraucherschützer_innen wie Verbraucherpolitiker_innen die Verbraucher_innen umfassend vor Gefahren schützen und sich für eine Stärkung der Verbraucherrechte einsetzen. Transparenz und Information, Schutz und Sicherheit sowie Rechtsdurchsetzung stehen in der Priorität der Bürger_innen also ganz oben und deutlich vor unmittelbaren ökonomischen Interessen oder der Förderung des nachhaltigen Konsums.“

Es wäre eine schöne kleine Studie gewesen, wenn man dabei dem Leser nicht gleich wieder eine Aufweichung dieses Anspruchs angedreht hätte. Das steckte in der Frage „Es gibt ja den Vorschlag, dass man das Verhalten von Verbrauchern in bestimmten Bereichen nicht durch Verbote und Gesetze regeln sollte, sondern eher durch Hinweise und Empfehlungen, beispielsweise durch Warnhinweise auf Verpackungen, Anregungen, wie man Energiesparen kann usw. Einmal ganz allgemein gefragt: Halten Sie dies alles in allem für einen guten oder keinen guten Vorschlag?“

Nudging nennt sich das. In Teilen passiert diese „Steuerung“ des Verbrauchers durch „dezente Hinweise“ schon jetzt. Aber welchen Sinn das im grundlegenden Verbraucherschutz machen soll, wird nicht extra erklärt. Mal ganz davon zu schweigen, dass die Nudging-Theorie massiv unter Kritik steht.

Eher macht die Allensbach-Befragung sichtbar, dass zwischen der Problembenennung von Verbrauchern und Medien auf der einen Seite und dem verantwortlichen Handeln der Politik eine sichtbare Kluft herrscht. Und zwar gerade dort, wo Politik sich scheut, das Agieren von Banken, Versicherungen und Kommunikationskonzernen wieder zu regulieren und Verstöße auch ernsthaft zu sanktionieren.

Da stellt sich dann schnell das Gefühl ein, „die Medien“ hätten zu wenig getan.

Gerade beim Thema Netzneutralität aber trifft das nicht zu. Selbst der Bundesrat griff das Thema 2013 auf, nachdem es medial laut genug diskutiert wurde. Und während Welchering via DJV jammerte, meldete Netzpoltik.org: „Fast 500.000 Stimmen für Netzneutralität bei EU-Konsultation“. Da wird benannt, was Welchering völlig verschweigt: Die finanzstarke Lobbyarbeit der Telekommunikationsunternehmen. Da können die meisten Medien gar nicht gegen anstinken.

Von wegen also.

Und zwar in beide Richtungen. Auch Richtung FES und Allensbach. Das Engagement von Verbrauchern wird gern klein geredet. Denn es stört. Es stört bei der Geschäftemacherei, die man so gern ohne die störenden Verbraucher festzurren möchte. Und dann kommen die doch und leaken auch noch Dokumente. Von wegen.

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