Kann man Verbraucherschutz völlig neu definieren? Man kann’s ja versuchen, fand Andreas Eichhorst, der seit 2016 die Verbraucherzentrale Sachsen leitet. Sein Motto: „Neue Wege gehen“. Mehr Politik als zuvor. Denn auch das hat das Jahr 2016 gezeigt: Wenn die Politik den Verbraucher nicht wirklich vor Lug und Trug schützt, landet auch die Verbraucherzentrale immer wieder vor Gericht.

„Egal ob es der Antrittsbesuch der sächsischen Staatsministerin für Verbraucherschutz Barbara Klepsch, ein Bürgerforum mit der Arbeitsgruppe für Verbraucherschutz der CDU oder ein Quizformat mit Landtagspräsident Matthias Rößler und Ausländerbeauftragtem Geert Mackenroth war – im Jahr 2016 gelang es, nachhaltige Gespräche zu führen, Themen auf die Polit-Agenda zu bringen und durch kreative Aktionen auf verbraucherpolitische Schwerpunkte aufmerksam zu machen“, resümiert Andreas Eichhorst, Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen, das vergangene Jahr.

Das sind kleine Schritte – die vielleicht irgendwann einmal in Gesetze münden, die Lug und Trug tatsächlich unterbinden und die Verbraucher vor Abzocke schützen. Bis dahin ist noch ein langer Weg. Denn das deutsche Recht schützt nicht den Verbraucher, sondern diejenigen, die es sich finanziell leisten können zu klagen und immer wieder neue Prozesse anzustrengen.

Mit einigen Kandidaten hat die Verbraucherzentrale immer wieder zu tun und hängt dabei oft über Jahre in Prozessen fest, bei denen am Ende zwar ein positives Urteil steht – aber der Missbrauch geht dann oft an anderer Stelle, mit neuem Namen, neuem Betrugsmodell weiter.

Da hilft eigentlich nur eines noch wirklich: Die Verbraucher selbst so gut wie möglich auf all die lauernden Fallen vorzubereiten, sie so weit wie möglich mündig zu machen. Was nicht rettet vor Betrug. Der steckt oft im Kleingedruckten.

Trotzdem werde 2017 ein wichtiger Bereich, den Vorstand Andreas Eichhorst in diesem Zusammenhang unbedingt ausbauen möchte, die Verbraucherbildung in Sachsen.

„Unser aktuelles Steckenpferd ist dabei der Bereich Lebensmittel und Ernährung. Allein letztes Jahr haben wir mit Kursen und Veranstaltungen rund um regionale Lebensmittel, Nachhaltigkeit, Lebensmittelkennzeichnung und Co. über 25.000 Schülerinnen und Schüler, aber auch Auszubildende oder Bundesfreiwilligendienstleistende erreicht. Dennoch gibt es Nachholbedarf in anderen Themenbereichen wie Finanzen, Digitalisierung und Selbstdatenschutz oder Recht. Hier müssen wir verstärkt ran und Bildungsangebote für Jung und Alt, Stadt und Land sowie on- und offline schaffen“, ist sich Eichhorst sicher.

Auch das Thema Bankenentgelte gehen die sächsischen Verbraucherschützer in diesem Jahr umfassend an.

„Die flächendeckende Gebührenerhöhung fordert hier ihr Tribut. In einer Sonderuntersuchung wird sich unser Marktwächter Finanzen der Entwicklung, den Preisen und einem Vergleich verschiedener Girokonten widmen. Und natürlich machen wir in diesem Zusammenhang auch vor Gerichtsverfahren gegen verbraucherunfreundliche Praktiken nicht Halt“, so Eichhorst weiter.

Auch bei der Pflicht zur Elementarschadenversicherung legt die Verbraucherzentrale Sachsen nach.

„Naturgefahren wie Starkregen und Überflutung können für Hausbesitzer existenzbedrohend sein. Umso wichtiger ist es, sich gut absichern zu können. Für den 7. April planen wir nun eine anschauliche Veranstaltung mit bedeutenden Vertretern aus Bundes- und Landespolitik, der Wissenschaft, Versicherungsbranche und dem Verbraucherschutz“, stellt Eichhorst in Aussicht.

Durchsetzungskraft brauchen die Verbraucherschützer auch, um die Schieflage am Fernwärmemarkt für Mieterinnen und Mieter auszubessern. „Im Bereich der Wärmeversorgung sehen wir große Herausforderungen, die durch Versorgungsmonopole zustande kommen. Die bis zu drei Mal höheren Wärmekosten bei Wärmelieferung in Form von Fern- oder Nahwärme kann im Mietvertrag bzw. Energieausweis nicht im Vorhinein erkannt werden. Hier fehlt es also noch völlig an Transparenz und Verbraucherinformation“, erklärt Eichhorst.

Und auch die für dieses und nächstes Jahr angesetzte Reform des Reiserechts findet zum Großteil auf dem Rücken der Reisenden statt. Die Politik ist auch bei diesem Thema – wieder einmal – auf der Seite der Geschäftemacher und Deregulatoren.

Unter anderem werden Reiseveranstalter damit einseitig Preisänderungen vornehmen können, die immer dann wirksam werden, wenn der Veranstalter es seinen Kunden mitteilt und dieser nicht innerhalb einer Frist ablehnt. Außerdem wird es kein 14-tägiges Widerrufsrecht bei Reiseleistungen geben, obwohl das sowohl sinnvoll als auch rechtlich möglich wäre.

„Zu diesen und weiteren Punkten haben wir klare, verbraucherfreundliche Forderungen, mit denen wir offensiv in die Debatte einsteigen“, informiert Eichhorst.

Da ist die Hoffnung, neue Wege gehen zu können, zwar berechtigt.

Aber der Zustand der deutschen Politik, die das Geschäftsinteresse noch des dubiosesten Anbieters für wichtiger hält als den Schutz des fast immer überforderten oder übertölpelten Verbrauchers, lässt nicht viel Hoffnung aufkommen, dass sich das ausgerechnet 2017 ändert.

2016 war nur zu typisch für eins dieser Jahre, in denen die Verbraucherzentrale – auch vor Gericht – wie Don Quijote gegen Windmühlen kämpfte.

Dreh- und Angelpunkt der Verbraucherzentrale Sachsen bleibe deshalb auch 2017 die individuelle, anbieterunabhängige Verbraucherberatung. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse dienten auch 2016 als Basis für die Verbandsklagetätigkeit der Verbraucherzentrale Sachsen und einige Erfolge vor Gericht.

So wurde nicht nur der B2B Technologies Chemnitz GmbH die Werbung mit falschen Niedrigpreisen gerichtlich verboten, auch der PrimaCom Berlin GmbH wurde vom OLG Dresden irreführende Preiswerbung untersagt. Auch gegen den Gewinner des Negativpreises „Prellbock 2015“ der Verbraucherzentrale Sachsen, die MGN GmbH aus Dresden, wurde mobil gemacht, um die falschen Gesundheitsversprechen des Nahrungsergänzungsmittelanbieters schlussendlich erfolgreich zu unterbinden. Dick aufgetragen hat auch die Almased Wellness GmbH, die die Werbung für ihr Abnehmpulver Almased Vitalkost nun nicht mehr mit haltlosen Gesundheitsversprechen und konkreten Angaben über die Dauer und das Ausmaß des Gewichtsverlustes anpreisen darf. Auch die Tochter des Leipziger Internetgiganten Unister hielt die Verbraucherzentrale Sachsen im vergangenen Jahr auf Trab. Für Reisende mit Kindern hatte das Hotelbuchungsportal hotelreservierung.de die Preise auf intransparente Weise berechnet. Das Oberlandesgerichts Dresden hielt diese Art der Preisdarstellung für unzulässig.

Im Bereich Finanzen sorgten im vergangenen Jahr Bankenentgelte für Trubel. In diesem Zusammenhang wurde nicht nur eine Preiserhöhung für Girokonten der Erzgebirgssparkasse für unwirksam erklärt, auch die CreditPlus Bank AG wurde wegen hoher Kosten für Kontoauszüge erfolgreich in die Schranken gewiesen. Für Kunden der Sparda Bank Berlin wurde ein Sieg in Sachen Entgelte für die Information über zurückgegangene Lastschriften erreicht. Auch die erste datenschutzrechtliche Klage ist die Verbraucherzentrale Sachsen angegangen: So hat die Sparkasse Leipzig ihren Kunden mit einem Rundschreiben mitgeteilt, automatisch an einem „Cash-Back“-Programm teilzunehmen, wenn man nicht innerhalb einer Frist widerspricht.

Auch schwarze Schafe auf dem Energiemarkt haben sich die sächsischen Verbraucherschützer vorgeknüpft. Gegen die ExtraEnergie GmbH konnte so die Preiserhöhung für unwirksam erklärt werden. Betroffene können ihr Geld zurückfordern. Dennoch hat sich besonders ein Energieanbieter auf die Agenda der Verbraucherschützer gerufen: Bei der Care-Energy Management GmbH reichten die Verbraucherschützer eine Klage gegen die 36-monatige Vertragslaufzeit ein, die das Unternehmen seinen Kunden auferlegen will. „Die Beschwerden von genervten Kunden stapeln sich bei uns“, so Eichhorst. Dabei gehe es zum Beispiel um nicht nachvollziehbare Forderungen, Schwierigkeiten bei der Kündigung oder einem Wechsel, aber auch um den schlechten Service des Unternehmens.

„Das Unternehmen zeigt sich dermaßen uneinsichtig und kritikresistent, dass wir davon ausgehen, unsere Gerichtsreise in diesem Jahr fortzuführen“, so Eichhorst.

Was für Aussichten.

Zumindest ist die Verbraucherzentrale Sachsen 2017 finanziell so aufgestellt, dass sie diese zermürbenden Gefechte gegen immer neue schwarze Schafe zumindest angehen und durchhalten kann, bis ein Urteil steht.

„Wir freuen uns besonders, dass der Freistaat Sachsen die finanzielle Zuweisung für 2017 angepasst und von 3.318.400 Euro auf 3.668.400 Euro angehoben hat – das sind 350.000 Euro mehr Zuwendung für das Jahr 2017“, freut sich Andreas Eichhorst.

Und zumindest ein Zeichen setzt die Kür des nächsten „Prellbocks“.

Deswegen kann man auch in diesem Jahr wieder Abstimmen für den „Prellbock 2017“.

Wo es ziept und hakt, möchte die Verbraucherzentrale Sachsen auch in diesem Jahr wieder von geprellten Kunden wissen. Vom 1. Februar bis zum 15. November 2017 sucht sie Abzocker, Blender, Service-Nieten und Mogelpackungen.

„Jeder kann abstimmen, wer unseren Negativpreis, den Prellbock 2017, erhalten soll und wen wir damit klar in die Schranken weisen sollen“, erklärt Eichhorst. Abstimmen kann man in jeder Beratungsstelle der Verbraucherzentrale Sachsen sowie auf der Homepage der Verbraucherzentrale.

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