Ganz so leicht hat sich die IHK zu Leipzig mit den Höfen am Brühl von Anfang an nicht getan. Zuviel Verkaufsfläche in einem geschlossenen Block mitten in der City - würde das den Wettbewerb in der Innenstadt nicht heillos verzerren? Gerade kleineren Händlern das Wasser abgraben? War das nur ein Bauchgefühl? - Eine Langzeitstudie sollte es erklären. Am Donnerstag, 21. Mai, wurde sie in der IHK zu Leipzig vorgestellt.

Die Langzeitstudie hat sich mit den Auswirkungen der Ansiedlung der „Höfe am Brühl“ hinsichtlich des Einzelhandelsbesatzes, der Anzahl und Struktur der Innenstadtbesucher und deren Einkaufsverhalten sowie den Veränderungen in den Einkaufslagen beschäftigt.

Langzeitstudie „Auswirkungen von Einzelhandelsgroßprojekten auf den innerstädtischen Einzelhandel“

Die Studie ist ein Kooperationsprojekt vom Institut für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft (ISB) der Universität Leipzig, der Stadt Leipzig sowie dem Lehrstuhl Stadtmanagement der BTU Cottbus-Senftenberg. Die bereits 2008 angelaufene Studie setzt weit vor Umsetzung und Eröffnung des innerstädtischen Shopping Centers “Höfe am Brühl” an und wird in diesem Jahr (2015) abgeschlossen. Durch die Langzeitbeobachtung ist ein Vorher-Nachher-Vergleich möglich. Dies ermöglicht es – unter Berücksichtigung sich allgemein vollziehender Trends – die Auswirkungen von Großprojekten auf den lokalen Einzelhandel zu beurteilen und mögliche Handlungsbedarfe abzuleiten.

Eigenes Monitoring von mfi

Die mfi Management für Immobilien AG, der Betreiber der Höfe am Brühl, veranlasste dann bereits vor der Eröffnung des Einkaufscenters noch ein eigenes Monitoring, um die Auswirkungen der Ansiedlung objektiv zu erfassen. Und das lief so ab: Stadtgeograf Professor Dr. Rolf Monheim von der Universität Bayreuth befragte zwischen 2010 und 2014 zu diesem Zweck Passanten in den Haupteinkaufsstraßen sowie in den Höfen am Brühl nach deren Eröffnung 2012. Die Studie kommt unter anderem zu dem Schluss, dass sich das Center gut in die Leipziger Innenstadt integriere und die Attraktivität der Innenstadt für Besucher steigere.

„Fast zwei Drittel der Kunden der Höfe am Brühl gehen außerdem noch in die Innenstadtgeschäfte. Umgekehrt kommen 37 Prozent der befragten City-Besucher auch in die Höfe am Brühl. Das spricht für große Akzeptanz und eine hervorragende Integration des Shopping Centers in die Innenstadt“, zitiert Monheim aus seiner Untersuchung.

“Höfe am Brühl” profitieren von wachsender Kaufkraft, Touristen und City-Tunnel

Wesentlich nüchterner sieht Dr. Thomas Hofmann, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK), die Entwicklung: „Die Position der Leipziger Innenstadt als Einkaufsstandort hat sich in den vergangenen Jahren gefestigt. Steigende Einwohnerzahlen und die langsam anwachsende Kaufkraft machen den Innenstadtstandort für Einzelhändler attraktiver. Auch die wachsenden Touristenzahlen trugen zu dieser positiven Entwicklung bei. Der vielfältige Angebotsmix von Shopping, Gastronomie, Kultur und Dienstleistungen machen für die Kunden die Innenstadt so interessant. Dies ist jedoch kein Selbstläufer. Damit Leipzig diesen Status nicht nur behält, sondern ausbaut, ist es zwingend erforderlich, dass alle Akteure – also Unternehmen, Kammern, Verbände und Stadtverwaltung – künftig noch enger zusammenarbeiten und insbesondere das Marketing weiter verbessern.“

Das ist – aus Sicht des IHK-Hauptgeschäftsführers – eine deutliche Kritik am dissonanten Marketing der Innenstadt-Händler.

Und er weist auf seine Art trocken darauf hin, dass die “Höfe am Brühl” schlichtweg profitieren von einer Bevölkerungs-, Touristen- und Kaufkraftentwicklung, für die sie selbst nichts können. Und dass der Riesen-Klotz nicht zum Desaster für Leipzigs City wurde, hat auch damit zu tun, dass es steigende Umsätze und mehr Publikum zu teilen gibt. Übrigens noch befeuert durch die 2013 eröffnete S-Bahn, die ja mit der Station “Markt” auch mitten in der City hält.

Dass Centermanager Fares Lutfi, der die Höfe am Brühl seit April 2015 leitet, sein Center für ein Passagen-System hält – geschenkt: „Die Höfe am Brühl sind ein Erfolgsmodell, da sie historische Vorbilder wie das für die Stadt typische Passagensystem aufgreifen und auf moderne Art ergänzen”, meint er. “Das wissen die Menschen zu schätzen, die beim Einkaufsbummel Wert auf eine angenehme Atmosphäre legen.“ Für die Zukunft glaubt er, dass die Shopping-Wege in der Leipziger Innenstadt noch enger zu einem Ganzen verschmelzen werden. Dazu werde auch der Schluss der Hainspitze beitragen.

Wenn Passanten abwandern, gibt es logischerweise auch Verliererstraßen

Doch Fakt ist: Wenn sich “Shopping-Wege” an einer Stelle “enger verschmelzen”, dann dünnen sie an anderer Stelle folgerichtig aus. Und das ist nachweisbar.

Das Problem dieser Studie (und das war auch vor Eröffnung der “Höfe am Brühl” so) ist ihre reine Betrachtung der Entwicklung in Quantitäten. Da geht es um Passantenströme, Umsatzzahlen, Sortimente. Sie beschreibt nur die Entwicklungen, die durch neu etablierte Einkaufsflächen eingetreten sind. Ein Vergleichsmodell – gar so etwas wie eine “ideale Einkaufsstadt”, die auch die Bedürfnisse der potenziellen Kundschaft abbildet – gibt es nicht.

Aber wie will man positive Entwicklungen eines Modells beschreiben, wenn es keine Vergleichsmaßstäbe gibt und alles nur auf quantitatives Wachstum fixiert ist?

Aus so einem Modell heraus ist ein wachsender Umsatz verbunden mit wachsenden Frequenzen per se “gut”.

Und so lautet denn auch das keineswegs überraschende Fazit: “Das Wegbrechen von Einzelhandelsstrukturen in Folge der Ansiedlung der ‘Höfe am Brühl’ konnte nicht festgestellt werden.”

Erwartete Belebung von Hainstraße und Katharinenstraße ist eingetreten

Aber da nun eindeutig wieder Leben auf Katharinenstraße, Hainstraße und Brühl ist (wo vorher tatsächlich so etwas wie “tote Hose” war), kam es folgerichtig zu Frequenzverschiebungen in den Fußgängerströmen. Was keine Überraschung ist, denn genau das war ja erwartet worden – und das war ja auch der Grund gewesen, warum Leipzigs Stadtverwaltung dem Mega-Einkaufscenter mit 27.500 Quadratmetern Einkaufsfläche zugestimmt hat. Man wollte endlich wieder Leben auch im Nordwesten der Innenstadt und hat ja deshalb zeitgleich auch den Richard-Wagner-Platz und die Richard-Wagner-Straße umgebaut.

Manchmal staunt man nur, worüber sich mit Studien beauftragte Forscher so alles wundern.

Die Frage war von Anfang an nicht, ob sich Passantenströme verändern, sondern wie sie es tun würden mit der Eröffnung der “Höfe am Brühl” im Dezember 2012.

Die Hainstraße hat eindeutig gewonnen – sowohl an Wochen- als auch an Samstagen: Die Passantenfrequenz stieg auf bis zu ca. 3.000 Passanten in der Stunde zwischen 13 und 14 Uhr. Dagegen verlor die Petersstraße und lag im gleichen Zeitraum bei unter 5.000 Passanten. Dadurch, dass die Petersstraße Fußgängerpotenzial verlor, ist nun die Grimmaische Straße die am stärksten frequentierte Straße in der Leipziger Innenstadt.

Die Petersstraße hat es voll erwischt

Was den Blick eben doch darauf lenkt, was die Forscher vollmundig abstreiten: das “Wegbrechen von Einzelhandelsstrukturen”.

Dass ein Wegbruch ganzer Strukturen in der beliebten und belebten Leipziger Innenstadt nicht zu erwarten war, dürfte selbst den Auftraggebern bewusst gewesen sein. Aber das wird den Ladenbetreibern schnurz sein, die erleben mussten, was es bedeutet, wenn Passantenströme sich so deutlich verändern. Und wenn ein Drittel der potenziellen Käufer jetzt in die “Höfe am Brühl” umgeleitet werden – und dort festgehalten werden, denn es ist nun einmal keine offene Passage, sondern ein vollkommen introvertiert angelegtes Einkaufs-Center – dann fehlen sie logischerweise anderswo.

Und genau das bekamen die Einzelhändler in der Petersstraße zu spüren. Hier machte sich schon 2013 das Phänomen bemerkbar, dass Ladengeschäfte, die jahrelang zu den lukrativsten in der Innenstadt gehörten und niemals leer standen, auf einmal Mieter suchten. Eine stabil gute Einkaufslage hatte sich in einigen Sortimenten über Nacht zum Risikopflaster entwickelt.

Aber so drastisch drücken es die Studienersteller natürlich nicht aus, auch wenn es selbst in der Verklausulierung drastisch genug klingt: In der Peterstraße ist vor allen Dingen der südliche Teil durch “trading down Tendenzen” geprägt, gekennzeichnet durch die Etablierung preisgünstiger Angebote wie Leiser Markenschuh Outlet, Münster Accessoires usw.

Alles in einer Büchse: Hier der weihnachtliche Media Markt in den "Höfen am Brühl". Foto: Ralf Julke
Alles in einer Büchse. Hier der weihnachtliche MediaMarkt in den “Höfen am Brühl”. Foto: Ralf Julke

 

Und aus Sicht der Passanten hat sich die Einschätzung der durch die “Höfe am Brühl” ausgelösten Entwicklung nicht wirklich geändert.

Sowohl im Jahr 2008 als auch im Jahr 2014 (rückblickend) sagen rund ein Drittel der Passanten, dass sich die Attraktivität des Leipziger Einzelhandelsangebotes durch die „Höfe am Brühl“ erhöhen wird bzw. erhöht hat. (Was erstaunlicherweise auch gut mit den veränderten Passantenströmen korrespondiert.) Seit der Eröffnung der Höfe ist der Anteil derer, die von einer starken Verbesserung ausgehen, von ca. 5 Prozent (2010) auf ca. nur leicht 7 Prozent gestiegen. Eine euphorische Meinungsäußerung zu dem Riesen-Komplex am Brühl sieht anders aus. Es ist eindeutig keine wirklich neue Einkaufsqualität in Leipzigs Innenstadt – nur ein neuer Shopping-Tempel an neuer Stelle mit noch größerer Fläche.

Etwas komplizierter ist die Händlersicht. Darin spiegele sich im Jahr 2010 die „Angst“ vor der neuen Konkurrenz wieder, schätzen die Studienersteller ein, ein Drittel der Händlerschaft ging von einer Verschlechterung der eigenen Umsatzsituation aus. Diese Zahl ist 2015 auf ca. 14 Prozent gesunken. Ist nur die Frage: Sind damit auch die Händler erfasst, die zwischenzeitlich die Schotten dicht gemacht haben?

Der Anteil der Händler, der eine Verbesserung der Attraktivität des Einzelhandelsangebotes wahrnimmt, liegt im Jahr 2014 bei 20 Prozent.

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Naja, ein bisschen werden die “Höfe am Brühl” von der Studie und teilweise auch im Artikel schon noch hochgejubelt.

Nicht lang her, dass über eine frühere Schließung der Geschäfte am Abend nachgedacht wurde. In den diversen Modegeschäften langweilen sich die Verkäufer.

Zur Anbindung an den ÖPNV möchte ich anmerken, dass die Besucher nicht vom S-Bahn-Halt “Markt” kommen, sondern von der Tramhaltestelle Goerdelerring. Die Zuwegung vom Markt via Hainstraße ist ungemütlich und zieht sich auch ein bisschen hin (bitte mal selbst ausprobieren, man wird sich wundern!).

Da das Verkehrsamt zu Leipzig nicht willens ist, eine wirklich autoarme Innenstadt, herzustellen, ist insbesondere die Katharinenstraße zum Flanieren weitehrin ungeeignet. Man muss sich immer auf dem (westlich gelegenen) schmalen Fußweg entlangdrücken – wegen der Taxifahrer und einiger anderer Autofahrer, die gerne gleichsam mit offenem Messer entlangbrettern.

Warum die Petersstraße verloren hat, liegt meiner Meinung nach sicher nicht daran, dass die Besucher ihren Schritt eigens in Richtung Nordwesten umlenken. Denn die Petersstraße ist hervorragend angebunden durch zwei S-Bahn-Stationen (man sieht die Fußgängerströme auch sehr deutlich), einer Bushaltestelle und einem permanent benutzten Parkhaus (unschwer an der massiven Zu- und Abfahrtfrequenz über Universitätsstraße und Schillerstraße zu erkennen).

(Die Kreuzung Universitäts-/Schillerstraße auf Höhe der Moritzbastei ist übrigens auch so eine Stelle, wo das Verkehrsamt grob unwillig ist, für eine vernünftige Fußgängerquerung zu sorgen.)

Ich sehe die Gründe für die “Verschlechterung” der Petersstraße schlicht einfach in einem für eine zentrale Fußgängerzone eben nicht ganz ausreichenden Angebot. So etwas kann schon passieren, wenn die anliegenden Immobilienbesitzer aus Geldgier anfangen, die Mieten zu erhöhen und damit die kleinen Einzelhändler und Inhaber vertreiben.

Die Petersstraße besteht ja jetzt schon zu einem Großteil aus Filialgeschäften. Ein ordentliches Café gibt es da aber nicht. Dieser Verein von City-Geschäften könnte es besser wissen, würden sie die Erfahrungen aus anderen Großstädten wahrnehmen (Zeil und Freßgasse in Frankfurt am Main kämpfen schon seit Jahren mit solchen Problemen), aber kann ja gut sein, dass auch für die Mitglieder das Ausland an der sächsischen Grenze beginnt, wie ich es schon immer bei den LVB und beim Verkehrsamt vermute.

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