Sachsens Wirtschaft kann schon ordentlich Remmidemmi machen, wenn es um ihre Belange geht. Manchmal hört Politik. Manchmal auch nicht. Und Letzteres oft genug bei Themen, bei denen schnelles Handeln an der Tagesordnung wäre. Wie beim Thema Fachkräftemangel. Irgendwie kommt Sachsens Politik dabei einfach nicht zu Potte. Dabei sind die ausbildbaren jungen Leute da.

Am 12. Januar preschte Leipzigs Handwerkskammer mit einem Vorschlag vor, der bei Sachsens Politikern eigentlich ein großes Aufatmen hätte auslösen müssen. Unter den vielen Asylsuchenden aus den Krisenländern der Welt sind hunderte junger Menschen, die nicht nur integriert werden müssen, sondern auch das Zeug haben, eine ordentliche Handwerkerausbildung zu machen. Und die Leipzigs Handwerker mit Kusshand nehmen würden, wenn diese jungen Leute die entsprechende Berufsorientierung haben und auch die nötigsten Grundlagen in der deutschen Sprache. Könnte man alles machen, sagt Claus Gröhn, Präsident der Handwerkskammer zu Leipzig. Damit haben die 80 Lehrausbilder im Bildungs- und Technologiezentrum (BTZ) in Borsdorf längst Erfahrung, denn schon seit ein paar Jahren haben sie immer wieder Gäste aus europäischen Ländern zur Ausbildung da.

Warum diese Kompetenzen nicht auch für die Integration junger Asylbewerber nutzen?

Und gleichzeitig dem Handwerk helfen. Denn der eigene Nachwuchs in Sachsen ist knapp geworden.

1.251 Ausbildungsverträge haben die Betriebe im Kammerbezirk Leipzig 2014 abgeschlossen. Sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Dennoch sind viele Lehrstellen wegen Bewerbermangels unbesetzt geblieben, betonte die Handwerkammer deshalb im Januar. Seit rund zwei Jahren werden deshalb Jugendliche aus anderen EU-Ländern für eine Ausbildung geworben. Die Erfahrungen der Handwerksbetriebe sind positiv.

Auch unter den Flüchtlingen sind sehr viele mit guter Schulbildung und viele mit praktischen Talenten.

“Wenn wir diese jungen Menschen und unsere Ausbildungsbetriebe zusammenbringen, ist beiden geholfen”, erklärte Handwerkskammerpräsident Claus Gröhn. Die jungen Flüchtlinge sollten sofort die Möglichkeit zur Berufsausbildung bekommen. “Das verstehe ich unter gelebter Integration.”

Eine Voraussetzung müsse sein, dass die jungen Leute rasch Deutschkurse besuchen, um in Betrieb und Berufsschule mithalten zu können.

Sein Vorschlag: Die Handwerkskammer zu Leipzig stellt die notwendigen Kapazitäten in ihrem Bildungs- und Technologiezentrum (BTZ) dafür gern zur Verfügung.

“Wir haben im BTZ die Möglichkeit, den jungen Leuten kompakt und in kurzer Zeit einen Einblick in die duale Berufsausbildung zu geben. Die Flüchtlinge und Asylbewerber könnten viele Berufe bei praktischer Arbeit ausprobieren und parallel dazu die deutsche Sprache erlernen.”

Im ersten Schritt sei es auch denkbar, dass Mitarbeiter der Handwerksammer mit mobilen Berufsorientierungsangeboten in die Flüchtlingsunterkünfte kommen. Dieses Angebot hat Claus Gröhn am 12. Januar Abend in Form eines Bildungsschecks für Integration an den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig übergeben. Der hat Dankeschön gesagt. “Passiert ist seitdem nichts”, stellt Gröhn lakonisch fest.

Vielleicht reicht das Überreichen von Papieren nicht. Denn Sachsens Politiker sind ja viel beschäftigt. Im Januar waren sie es erst recht – da tröteten auf den Straßen der sächsischen Kommunen all die Leute, die von Integration nicht allzu viel halten. Und auch nicht wissen.

Und auch nicht wie Gröhn über die Zusammenhänge nachdenken. Denn als Handwerker weiß er, wie junge Männer vor allem sind (Gerüstbauer ist nach wie vor ein Knochenjob für Jungs), wenn sie kein Berufsziel haben oder überhaupt nicht arbeiten dürfen. “Irgendwann nach 22 Uhr geht dann die Energie mit ihnen durch. Und dann?”, fragt Gröhn.

Integration aber fängt damit an, dass Menschen nicht nur die Regeln der neuen Gesellschaft kennen lernen, sondern auch ihre Sprache. Und dass sie die Chance bekommen, sich im Gastland selbst eine eigene Perspektive aufzubauen. Da verwundert es Gröhn schon sehr, dass aus der sächsischen Politik so gar keine Reaktion auf seinen Vorschlag kam.

Am Geld allein kann es nicht liegen. “Denn Nicht-Integration ist immer teurer als Integration”, so Gröhn.

Ganz kostenlos wäre das vorgeschlagene Orientierungsjahr im BTZ Borsdorf nicht. Mit 13.000 Euro pro Ausbildungsplatz rechnet Gröhn. “Das wäre immer gut angelegtes Geld”, sagt der Handwerkskammerpräsident. In dem Jahr würden die Teilnehmer alle Handwerksangebote durchlaufen und hätten am Ende die nötige Voraussetzung, um auch eine Handwerksausbildung zu beginnen.

Aber das Schweigen will der Handwerkskammerpräsident so nicht auf sich beruhen lasen. “Ich werde dazu noch einmal nachhaken. Das kann man nicht einfach ignorieren.”

Andererseits: Die freien Kapazitäten in Borsdorf sind ja nicht einfach so entstanden.

Denn die Warnung aus dem Januar konnte der amtierende Geschäftsführer der Handwerkskammer, Volker Lux, am 5. Mai wiederholen: Die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge im Leipziger Handwerk geht zurück. Immer mehr Institutionen reißen sich mittlerweile um die seit 2010 halbierten Jahrgänge. Die Handwerkskammer hat auf den Bewerbrückgang zwar deutlich früher reagiert als alle anderen. Aber mittlerweile ist der Tisch abgeräumt. Die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge liegt derzeit um 14 Prozent unter den Zahlen des Vorjahres. Und besonders eng wird die Lage in den Landkreisen.

Was auch die Betriebe zwingt, sich etwas einfallen zu lassen – vom Schnupper-Praktikum im Betrieb bis hin zu einer uralten Idee aus Vorwendezeiten. “Bei einer Rundfahrt durch die Landkreise hab ich an vielen Betriebstoren große Schilder gesehen mit der Einladung ‘Wir bieten bezahlte Ferienarbeit'”, erzählt Volker Lux. Denn auch bei so einem Ferienjob lernen Schüler die Möglichkeiten des Handwerks kennen. Und bei vielen ist es nun einmal so, dass sie das Interesse für einen Beruf erst entwickeln, wenn sie ihn auch selbst schon einmal ausprobiert haben.

Aktuell werden 149 freie Ausbildungsplätze im Leipziger Handwerk angeboten. Selbst für Schüler, die studieren wollen, sei das ein Einstieg, sagt Gröhn. “Denn wer eine fertige Berufsausbildung hat, dem fällt auch ein Studium leichter.”

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Keine Kommentare bisher

13 TEUR pro Person für a) die notwendige Sprachbildung und b) eine Klärung der Eignung zur Aufnahme einer Berufsausbildung sind aus meiner Sicht (ob das auch die der politisch Verantwortlichen ist?) gut angelegtes Geld. Wenn Her Gröhn einen Sprachabschluss anbietet und eine Übernahmequote (als Ziel) unterschreibt und wenn die Probanden eine Zusage zum dauerhaften Aufenthalt in Deutschland haben….. Ich nehme an min. zwei dieser leider im Artikel “vergessenen” Punkte sind aktuell nicht erfüllt..

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