Noch stehen die Leipziger Stadtwerke ganz am Anfang eines Weges, der möglicherweise sehr lang und sehr komplex wird. Aber sie kommen nicht umhin: Nur Stadtwerke, die jetzt schaffen, sich an die künftigen Bedingungen des Energiemarktes anzupassen, werden künftig auch noch erfolgreich wirtschaften. Das ist zwar nicht ganz neu, auch bei den SWL nicht. Aber jetzt gibt es so eine Art Vision. Ein Arbeitsprogramm.

Das Problem: „Es existiert kein einheitliches Bild von der Energieversorgung der Zukunft. Fest steht jedoch: Sie ist erneuerbar, dezentral und digital“, sagt Dr. Johannes Kleinsorg, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Stadtwerke. Die Zeit der großen Kraftwerke und großer zentraler Versorgungssysteme geht zu Ende. Und damit auch für die Geschäftsmodelle vieler Stadtwerke.

Die Leipziger Stadtwerke sind dabei etwas begünstigt: Sie „sitzen nicht auf einem großen Kohlekraftwerk“, wie Kleinsorg sagt. Das Gas-und-Dampf-Kraftwerk (GuD) in der Eutritzscher Straße haben die Stadtwerke in den letzten Jahren schon für mehrere Millionen Euro fit gemacht für die Bedürfnisse der Energiewende. Denn weil die Anlage mit Gas arbeitet, kann sie im Bedarfsfall binnen weniger Minuten auf Volllast gefahren werden und Strom und Wärme erzeugen und damit genau in die Lücken springen, die entstehen, wenn der Wind nicht bläst und die Sonne nicht scheint, wenn regenerative Anlagen also keinen Strom mehr ins Netz speisen.

Dazu waren die deutschen Gaskraftwerke als Übergangstechnologie immer gedacht. So lange, bis die deutsche Politik wieder umschwenkte und wieder Politik für Atomkraftwerke machte (bis zum Reaktorunfall von Fukushima 2011) und danach emsig das Lied der Kohle sang (bis heute). Es sind die immer neuen Zickzack-Bewegungen der Politik, die den deutschen Kraftwerken das Geschäft verhagelt haben und die Energiewende so unberechenbar machen.

Logisch, dass Kleinsorg sich mehr Verlässlichkeit von der Politik wünscht. „Gerade Wärmeversorgung ist eine Sache, die langjährige Planungen braucht.“

Denn absehbar ist, dass auch irgendwann die Wärmeversorgung aus dem Kraftwerk Lippendorf endet. „Aber ob das 2040 oder 2035 so sein wird, weiß keiner“, sagt der Vorstandssprecher.

Aber sein fürs Technische verantwortliche Geschäftsführer-Kollege Karsten Rogall kann zumindest davon erzählen, wie man zumindest erste Visionen entwirft, Leipzig künftig unabhängiger zu machen. Denn die Energiewende ist ja hier schon längst im Gang: Bürger und Genossenschaften bauen immer mehr Solaranlagen auf die Dächer, am Stadtrand drehen sich Windräder, aber noch viel stärker ist der Ausbau vieler dezentraler Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) – bei großen Unternehmen genauso wie bei Wohnungsgenossenschaften. Immer mehr kleine Energieerzeugeranlagen bestimmen das Bild. Viele versorgen nicht nur die Gebäude, an die sie direkt angeschlossen sind, sondern speisen die überschüssige Energie (vor allem den Strom) in die öffentlichen Netze ein.

Die Stadtwerke sitzen also schon jetzt an einer entscheidenden Schaltstelle: Sie müssen regeln, dass das System funktioniert. Und sie wachsen auch schon in eine neue Rolle hinein, verkaufen ihren Kunden nicht mehr nur Energiepakete, sondern ganze Contracting-Angebote, in denen sie auch die Sorge für die Erzeugeranlagen der Kunden übernehmen. „Mit einer großen Wohnungsgenossenschaft haben wir das jetzt schon erfolgreich umgesetzt“, sagt Kleinsorg. Der Kunde bekommt nicht nur Systemüberwachung und Beratung, sondern kann auch die Modernisierung der Energieanlage in die Hände der Stadtwerke geben, die sich auf diese Art vom reinen Lieferanten zum Dienstleister und „Energiekümmerer“ verwandeln.

Ein Stichwort, das Kleinsorg da fallen lässt: „virtuelles Flächenkraftwerk“. Leipzig selbst wird zu diesem Flächenkraftwerk – übersät mit Hunderten und Tausenden kleiner, mittlerer und größerer Erzeugeranlagen – die meisten davon Erneuerbare Energie-Anlagen. Und die alle werden virtuell vernetzt von den Stadtwerken, denen ja sowieso die zentrale Infrastruktur gehört: nämlich die Stromnetze, demnächst auch die kompletten Gasnetze. Und für die existiert ja längst eine zentrale Schaltwarte, in der rund um die Uhr kontrolliert wird, ob es Störungen oder Steuerbedarf in den Netzen gibt.

Damit, so betont Kleinsorg, haben Leipzigs Stadtwerke die zentrale Voraussetzung, um die Energiewende in Leipzig zu gestalten – und auch den eigenen Umbau voranzutreiben.

Das heißt auch, dass der Stamm der derzeit 1.200 Mitarbeiter verschlankt wird. Von 180 Vollzeit-Kapazitäten spricht Karsten Rogall, die in den nächsten fünf Jahren sozialverträglich abgebaut werden sollen – vor allem über normale Fluktuation und Altersabgängen. Was im Umkehrschluss aber auch heißt, dass die verbleibenden Fachkräfte mehr leisten und über eine hohe Qualifikation verfügen müssen. Und das heißt wieder: Die Anforderungen an den Nachwuchs, der sich zu einer Ausbildung bei den Stadtwerken bewirbt, wird steigen.

Wobei die beiden Geschäftsführer zumindest wissen, dass der Kampf um den Nachwuchs härter werden wird. Den Fachkräftemangel spürt die Energiebranche jetzt schon.

Denn so langsam wird auch das Feld der Energieversorger zunehmend technisiert und digitalisiert. Was eigentlich ja auf der Agenda steht. Aber so richtig zum Kern des Umbaus der Stadtwerke Leipzig wurde das erst 2014, als endgültig klar war, dass man mit Großhandel an den Strombörsen nicht mehr die üblichen Millionen verdient, andererseits die Regulierung der Netze immer strenger wird.

Noch geht es den Stadtwerken Leipzig gut, betont Kleinsorg. Und die 2015er Zahlen (die offiziell erst in Kürze auf der großen Bilanzpressekonferenz der LVV bekannt gegeben werden) können sich auch sehen lassen, ergänzt Rogall. 2014 konnten die Stadtwerke 54 Millionen Euro an die LVV abführen. In der Preislage wird es auch 2015 sein.

Aber die Energiewende hat längst ihren eigenen Sog entfaltet, dem sich ja selbst die riesigen deutschen Energiekonzerne nicht entziehen können. Die Zukunft wird nun einmal – wie schon lange vor der politischen Umsetzung der Energiewende unter Rot/Grün skizziert – dezentral sein, aus einem riesigen Netz kleinerer Anlagen entstehen, die vor allem eine intelligente Steuerung brauchen, damit die Energie auch dahin kommt, wo sie gebraucht wird, und Engpässe ausgeglichen werden können.

Heißt für die Stadtwerke: Sie wollen in den nächsten Jahren 45 Millionen Euro dafür ausgeben, ihre eigene alternative Energieproduktion zu steigern. Das wird vor allem weitere Windkraftanlagen, aber auch weitere KWK-Anlagen betreffen. „Wir konzentrieren uns auf Windenergieanlagen onshore und Erzeugeranlagen, die in umweltfreundlicher Kraft-Wärme-Kopplung arbeiten“, sagt Rogall.

Über das Umbauprogramm habe man schon seit geraumer Zeit mit der eigenen Belegschaft intensiv diskutiert. Mit 100 Mitarbeitern wurden intensive Einzelgespräche geführt, 300 haben konkrete Vorschläge zum Umbau des Unternehmens gemacht. Im Ergebnis werden die Stadtwerke jetzt viel klarer auf ihre neue Funktion innerhalb der Energiewende fokussiert. Dazu gehört auch das Fitmachen der Netze mit 15 Millionen Euro jährlich, die ja nicht nur dadurch wachsen, dass die Konzession in den eingemeindeten Ortsteilen vom Stadtrat an die Stadtwerke gegeben wurde. Auch die wachsende Stadt (weitere 150.000 Leipziger bis 2030) vergrößert das Arbeitsfeld der Stadtwerke.

Jetzt müssen die Aufsichtsgremien noch zustimmen, dass das vorgeschlagene Konzept so umgesetzt werden kann.

„Wir gehen heute davon aus, dass wir 2020 unsere Leistungen mit rund 180 sogenannten Vollzeitkapazitäten weniger realisieren können. Wir sprechen dabei ganz bewusst weder von Stellen noch von Mitarbeitern. Denn in einigen Bereichen werden wir aufstocken, in anderen abbauen. Um das zu realisieren, werden wir Mitarbeiter qualifizieren und weiterbilden. Aber wir haben vier Jahre Zeit, bewusst auf Altersregelungen zu setzen und Fluktuation zu nutzen“, erklärt Rogall.

Und Kleinsorg betont noch einmal beim Pressegespräch am Freitagmittag im Europa-Haus: „Wir sind gerade am Anfang des Weges.“

Aber Alternativen gibt es eigentlich keine. Die alten Versorgermodelle funktionieren bald nicht mehr. Den Gezeitenwechsel in der Energiebranche vergleicht Kleinsorg dann auch gleich mal mit den großen Umbrüchen, die mit der Einführung der Dampfkraft Ende des 18. Jahrhunderts und der Einführung der Elektrizität im 19. Jahrhundert begannen.

Und der normale Stromkunde?

Der soll von all den Umbauten möglicht nichts merken, wünscht sich Kleinsorg.

 

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