Leipzig hat einen ziemlich fußballbegeisterten Oberbürgermeister. Immer wieder erklärt er der Öffentlichkeit, wie wichtig der Fußballclub RB Leipzig für die Stadt ist. Meist mit ein paar tausend Arbeitsplätzen als Beispiel, die irgendwie durch den Fußballerstligisten entstehen. Entstehen könnten. Entstanden sind, ja was denn nun, fragte sich Piraten-Stadträtin Ute Elisabeth Gabelmann.

Mal war von 4.000 bis 6.000, mal von 2.000 bis 7.000, mal von 2.000 bis 8.000 Arbeitsplätzen die Rede.   Aber woher hat Oberbürgermeister Burkhard Jung diese Zahlen, die er mal der LVZ, mal dem Deutschlandfunk gegenüber nannte. Was steckt an echten, voll belastbaren neuen Arbeitsplätzen dahinter?

Die Fragen, die Ute Elisabeth Gabelmann gestellt hat:

  1. Wie viele Arbeitnehmer waren im Geschäftsjahr 2016 durchschnittlich bei der RasenBallsport GmbH beschäftigt? Wie viele davon waren dauerhafte (d. h. nicht saisonabhängige) Vollzeitstellen?
  2. Falls die avisierten 2.000 bis 8.000 Stellen direkt bei der RasenBallsport GmbH entstehen sollen: bis wann ist mit einem Entstehen der Stellen zu rechnen? Wird es sich um Vollzeit-, Teilzeit- oder Saisonarbeitsstellen handeln?
  3. Falls diese Stellen nicht direkt bei der RasenBallsport GmbH entstehen bzw. entstanden sind: wo genau sind diese Stellen entstanden bzw. werden entstehen? (bitte aufschlüsseln nach Branche und Anzahl sowie Art der Stelle). Falls diese noch nicht entstanden sind: bis wann ist damit zu rechnen?
  4. Falls diese Stellen weder bei der RasenBallsport GmbH noch in anderen Branchen entstehen bzw. entstanden sind: worauf sind die bisher avisierten Zahlen zurückzuführen und warum werden diese in Leipzig nicht erreicht?

Zwei Studien mit Promo-Charakter

Geantwortet hat nun das Wirtschaftsdezernat, nicht das Sportdezernat.

Und das gibt erst mal zu, dass es eigentlich nichts weiß: „Zum einen liegen der Stadtverwaltung keine dezidierten Unternehmensdaten der RasenBallsport Leipzig GmbH vor und zum anderen wäre sie auch aus Datenschutzgründen nicht befugt, entsprechende Daten zu veröffentlichen. Nach Aussage des offiziellen Geschäftsberichtes 2015 (Bundesanzeiger) der RasenBallsport Leipzig GmbH wurden im Geschäftshalbjahr durchschnittlich 296 Arbeitnehmer beschäftigt. Weitere Zahlen liegen der Stadt Leipzig nicht vor.“

Was ja eigentlich die Fragezeichen mehrt: Worauf baut der OBM seine Aussagen auf?

Irgendwie ermutigt ihn augenscheinlich eine Studie der Handelshochschule (HHL) in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena zum gesellschaftlichen Wertbeitrag des Vereins dazu, 2016 erschienen. Gipfelnd in der Aussage: „Der RB Leipzig“ bringt nicht nur den Fußball, sondern auch die Gesellschaft voran.“

Aber eine echte Studie zum „Public Value des RB Leipzig“ mit belastbaren Zahlen zu ökonomischen, sozialen, gesellschaftlichen Effekten ist das nicht. Im Gegenteil: Die Autoren der Studie haben lediglich 24 Männer befragt, wirklich – 24 Männer – die alle irgendwie was mit RB Leipzig und Fußball zu tun haben oder irgendwie in der Liga der Leipzig-Manager herumfliegen. Es geht nicht um den realen gesellschaftlichen Nutzen, sondern um so eine Art Unternehmensphilosophie.

Prof. Dr. Timo Meynhardt, Hauptautor der Studie, hat den Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie und Führung an der HHL Leipzig inne. Das bunte Papier erzählt einem tatsächlich nur, wie diese 24 Männer die Eigen- und Außensicht von RB Leipzig interpretieren. Nichts anderes.

Wir wissen also noch immer nichts Genaueres.

Nur das Wirtschaftsdezernat behauptet einfach mal: „Demnach leistet der Verein einen erheblichen Beitrag zum Gemeinwohl und stellt einen wirtschaftlichen Wachstumsfaktor dar. Dies wird durch Untersuchungen von Herrn Prof. Timo Meynhardt und Prof. Henning Zülch bekräftigt.“

Henning Zülch hatte sich in der LVZ zum PR-Effekt von RB Leipzig für die Stadt Leipzig geäußert. Dass die Stadt durch den Bundesligaclub häufiger im Gespräch ist, ist keine Frage. Aber auch er kann nichts sagen dazu, ob das der Stadt wirtschaftlich irgendetwas nutzt.

„Es wird erwartet, dass ein Großteil der neuen Arbeitsplätze indirekt im Gast- und Hotellerie-Gewerbe, Sicherheitsgewerbe sowie im Einzelhandel entstehen werden“, meint das Wirtschaftsdezernat in seiner Antwort. „Hinzu kommt, dass durch die stetige bundesweite Außendarstellung Leipzig als Wirtschaftsstandort an Bedeutung gewinnt. Diese indirekte positive Standortwerbung und somit indirekte Förderung der Leipziger Ansiedlungspolitik lässt sich nicht durch Statistiken direkt verifizieren.“

Da hat es das Dezernat selbst gesagt: Man hat keine Zahlen und Belege, dass es so ist. Man behauptet es einfach nur.

Lockt ein Fußballclub Investoren nach Leipzig?

Was schon tragisch ist. Denn wenn man Ansiedlungspolitik betreibt, sollte man eigentlich wissen, welche Faktoren Investoren dazu bringen, auf Leipzig zu setzen.

Dazu gibt es übrigens Studien – und da tauchen ganz andere Faktoren auf: verfügbare fachlich qualifizierte Arbeitskräfte zum Beispiel, Infrastrukturen, vorhandene freie Grundstücke, Mietpreisniveau, Kulturangebote und Freizeitaktivitäten.

Vorhandene Fußballclubs gehören nicht dazu.

Wo sind also die belastbaren Zahlen, nach denen Gabelmann gefragt hat?

„Dem folgend liegen die von Herrn Oberbürgermeister Jung genannten Zahlen in einer Spanne zwischen 2.000 – 8.000 Arbeitsplätzen. Seine Aussagen stützt Herr Jung auf eine Studie aus dem Jahr 2015 der McKinseyCompany. Innerhalb dieser Studie werden detaillierte Aussagen zur ökonomischen Bedeutung des professionellen Fußballs getroffen“, meint das Wirtschaftsdezernat zum Abschluss. „Demnach sind im Zeitraum von 2008 bis 2014 die Vollzeitarbeitsplätze im deutschen Profifußball von 70.000 auf 110.000 gestiegen und die Wertschöpfung von 5,1 Mrd. € auf 7,9 Mrd.€.“

Auch dieses Papierchen haben wir uns angeschaut.

Vollzeitarbeitsplätze oder Vollzeitäquivalente?

Die Aussage des Wirtschaftsdezernats ist schlichtweg falsch. Augenscheinlich liest man nicht mal, was in diesen bunten Broschüren steht.

Zum Beispiel das  hier: Von den errechneten 165.000 Vollzeitstellen, die McKinsey errechnet hat, entstehen nur ein Bruchteil „im deutschen Profifußball“ selbst: „Weniger als 8 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse entstehen direkt im professionellen Fußball, also in den Vereinen der Bundesliga und der 2. Bundesliga oder in der DFL selbst.“

Ergebnis: 13.200. Maximal. In der 1. und 2. Bundesliga zusammen, bei 36 dort vertretenen Clubs. Macht – wenn man einmal annimmt, dass Leipzig sich auch mit München oder Dortmund vergleichen kann – 366 Vollzeitstellen bei jedem Club. Was den 296 von RB Leipzig selbst genannten Arbeitnehmern ja recht nahe kommt.

„Allerdings verfügt der Lizenzfußball über eine starke Multiplikatorfunktion durch die Konzentration indirekter und induzierter Umsätze in den zumeist personalintensiven Serviceindustrien“, formuliert das McKinsey-Papier dann noch. „So verdanken allein in der deutschen Gastronomie und Hotellerie über 17.000 vollzeitäquivalent Angestellte ihre Jobs dem professionellen Fußball – die höchste Zahl in einer Einzelbranche und jeder fünfzigste Beschäftigte der Branche. In der deutschen Werbeindustrie hängen über 4 Prozent aller Arbeitsplätze am Profifußball.“

Das hat McKinsey aber auch nicht extra in reellen Zahlen erhoben, sondern hochgerechnet. Eigentlich ist das McKinsey-Papier eher eine Werbebroschüre für die DFL, keine unabhängige Untersuchung der Wirtschaftsbranche Profifußball. Für letzte fehlen sämtliche belastbaren Zahlen zu wirklich induzierten Dienstleistungsarbeitsplätzen, die es ohne den Profifußball nicht gäbe. Das werden schon ein paar sein. Aber sind es wirklich über 150.000? Machen die Hotels dicht, wenn der Club absteigt? Schließen die Fanshops? Muss die Werbebude ihre Leute entlassen? Oder die Zeitung ihren Sportreporter? Der Fernsehsender die ganze Sportredaktion?

Das ist wohl zu bezweifeln.

Die McKinsey-Broschüre ist mehr Marketing als belastbare Zahlengrundlage.

Und wie belastbar sind dann Burkhard Jungs Zahlen?

Die bloße Rechnung ergibt, dass von den 165.000 Vollzeitarbeitsplätzen … so ein Quatsch … da sind wir wieder auf den Unfug des Wirtschaftsdezernats hereingefallen. McKinsey spricht ja bewusst von Vollzeitäquivalenten. Tatsächlich geht es um 110.000 Vollzeitäquivalente, die sich auf 165.000 Personen verteilen. Es sind nun einmal auch eine Menge reiner Saison- und Teilzeitarbeitsplätze dabei.

Und dann dividieren wir doch mal die 110.000 Vollzeitäquivalente durch 36. Da kommen wir dann auf 3.055. Im Schnitt. Das heißt aber auch, dass alle Zahlen im Bereich von 6.000, 7.000 oder 8.000, die Burkhard Jung genannt hat, ziemlich aus der Luft gegriffen sind.

Mehr müssen wir dazu eigentlich nicht sagen.

Die Anfrage von Ute Elisabeth Gabelmann.

Die Antwort des Wirtschaftsdezernats.

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