Für FreikäuferLZ/Auszug aus Ausgabe 60Neun von zehn Kindern, die mit drei Jahren übergewichtig sind, sind es auch später. Das fanden Leipziger Forscher mithilfe einer Datenanalyse heraus. Eltern sollten daher genau auf die Gewohnheiten ihrer Kinder im Alter zwischen 3 und 6 achten, erklärt Prof. Dr. Antje Körner im Interview. Die Oberärztin und Leiterin des Forschungslabors am pediatrischen Forschungszentrum erläutert, warum auch das Gewicht der Eltern einen Einfluss auf das spätere Gewicht der Kinder hat, was die Evolution mit Adipositas zu tun hat und was Eltern dagegen tun können.

Prof. Körner, wie kamen Sie auf die Forschungsidee?

Das Forschungsthema Adipositas bei Kindern verfolgen mein Team und ich schon viele Jahre. Uns interessieren die Fragen: Wann kommt es dazu? Welche Faktoren und welche Mechanismen sorgen dafür und wie schnell entwickeln die Kinder Folgeerkrankungen?

Wir nutzen zur Forschung verschiedene Ansätze: klinische Studien, Studien im Labor und genetische Studien, die wir verbinden. Im konkreten Fall haben wir uns gefragt, wann sich Adipositas bei Kindern zeigt. Dazu hat ja jeder eine Meinung, aber richtig gute Studien gab es bisher nicht.

Warum nicht?

Um diese Frage zu beantworten braucht man große Fallzahlen. Die Daten von 100 Kindern reichen nicht aus, man braucht Daten zu Gewicht und Körpergröße vieler Kinder über die gesamte Altersspanne von 0 bis 18 Jahren. Wir haben diese Daten über das CrescNet erhalten, ein Register in dem Kinderärzte aus Deutschland anonymisiert Wachstums- und Gewichtsdaten beurteilen können.

Aus welchem Land stammen diese Kinder und inwieweit repräsentieren Sie verschiedene gesellschaftliche Milieus?

Die Daten stammen aus Deutschland mit Schwerpunkt Mitteldeutschland.

Frau Prof. Dr. med. Antje Körner vom Pädiatrischen Forschungszentrum Leipzig. Foto: Universität Leipzig
Frau Prof. Dr. med. Antje Körner vom Pädiatrischen Forschungszentrum Leipzig. Foto: Universität Leipzig

Sie fanden heraus, dass es verschiedene Faktoren gibt, die auf die Entstehung von Adipositas bei Kindern hindeuten.

Wenn Kinder oder Säuglinge im ersten und zweiten Lebensjahr übergewichtig sind, stehen die Chancen, dass es auch später so ist, 50/50. Aber wenn sie drei sind, ist die Wahrscheinlichkeit bei 90 Prozent, dass sie auch als Jugendliche übergewichtig und adipös werden.

Eltern und vor allem Großeltern argumentieren gern, dass das doch nur Babyspeck sei, der sich verwächst und dass es gut ist, wenn Kinder „Reserven“ haben?

Sehen Sie, das ist eben nicht so. Ein gesundes Kind übersteht einen einfachen Infekt, es braucht keine zusätzlichen Fettreserven. Ein Kind ist umso gesünder, je gesünder sie leben. Und mit drei Jahren ist die Zeit des Babyspecks auch vorbei.

Das vierte Lebensjahr ist lang, ein Kind kann am Anfang des dritten Jahres noch durch die gute „mütterliche Unterstützung“ eher schwer sein und dann durch große Mobilität bspw. im Kindergarten das Gewicht im Laufe des Jahres regulieren. Sind die Daten alle zum selben Zeitpunkt erhoben worden beziehungsweise zu welchem Zeitpunkt während des vierten Lebensjahres?

Wir arbeiten mit sogenannten Perzentilen, das sind Kennzahlen, die uns Vergleichsgrößen liefern. Wir sehen also genau bei jedem Datensatz, wo das Kind mit diesen Daten und in dieser Lebensphase im Vergleich zu anderen Altersgenossen liegt. Die unterschiedlichen Lebensphasen sind dadurch berücksichtigt.

Nun werden viele Eltern in Sorge sein und ihr Kind genau beobachten, aber sind Eltern mit einer hohen Körpergröße automatisch benachteiligt, weil deren Kinder oftmals automatisch „größer“ sind und damit schwerer?

Die Eltern haben natürlich auch einen Einfluss, aber wenn die Eltern groß und schlank sind, wird das Kind bei Geburt nicht schon fünf Kilogramm schwer sein. Folgenschwerer ist es, wenn die Mutter übergewichtig ist, dann ist das Risiko für Adipositas sehr hoch.

Das gilt auch bei einem adipösen Vater. Woran das liegt, weiß man nicht genau. Es liegt auch in den Genen. Aber deswegen sollte man sich nicht schicksalhaft geben und sagen „Dann ist es halt so.“ Wir können das auch mit unserem Lebensstil regulieren.

Wie meinen Sie das?

Neben den genannten Faktoren kann man Adipositas auch mit der Evolution erklären. Die Urmenschen sind über die Savanne gerannt, um sich Essen zu suchen. Damit hatten sie viel Arbeit und manchmal gab es auch nichts. So waren immer die im Vorteil, die sich Reserven „anessen“ konnten.

Heutzutage ist Essen rund um die Uhr verfügbar, ich muss nicht mehr auf die Straße gehen, um Essen zu bekommen und bewege mich dadurch auch viel weniger, obwohl ich es evolutionär-bedingt eigentlich für mein Essen machen sollte. Gleichzeitig gibt es immer etwas, sodass meine Reserven unnötig sind.

Was raten Sie also Eltern von Kleinkindern hinsichtlich der Vermeidung von Übergewicht?

Das Alter von drei bis sechs ist ein Alter, in dem sich viele Gewohnheiten formen und festigen, beispielsweise das Zähneputzen. Der Kindergarten und die Eltern haben einen großen Einfluss, wie sich die Gewohnheiten formen. Bei der Ernährung beispielsweise: Isst man gemeinsam? Was gibt es zu essen? Kocht man selber? Ist Essen ein Bestandteil des Alltags oder isst man vor dem Fernseher? Hier muss man präventiv denken.

Eltern müssen einen Lebensstil vorleben. Der Vierjährige macht es so, wie seine Eltern und Geschwister das machen. Das ist unsere Verantwortung.

Inwieweit hat es einen Einfluss, wenn man „vor dem Fernseher isst“?

Man isst nicht bewusst, dadurch merkt man nicht, dass man satt ist. Und andersherum ist es auch so, dass Menschen vor dem Fernseher essen, obwohl es keine Hauptmahlzeit ist.

Es steht aber auch der Mythos im Raum, dass es in Gesellschaft, also am gemeinsamen Tisch, besser schmeckt.

Aber das ist doch ein viel bewussteres Essen als vor dem Fernseher. Das kann man nicht vergleichen. Wenn man das Selbstgekochte verzehrt, geht man bewusster mit den Zutaten um, man kann den Kindern immer wieder neue Geschmacksrichtungen anbieten und zwar immer wieder. Das geht bei den gemeinsamen Mahlzeiten besser. Vor dem Fernsehgerät sind sie dagegen ja wie paralysiert.

Was sind buchstäblich gesunde Maße hinsichtlich Bewegung und Ernährung?

Das ist altersabhängig. Prinzipiell gilt soviel wie möglich und auch draußen.

Welche weiteren Forschungsfragen ergeben sich aus Ihrer Studie nun für Sie in der Folge?

Uns interessieren die Mechanismen: Der größte Risikofaktor ist das Übergewicht der Eltern, also schauen wir auf die genetischen Voraussetzungen. Und wir wollen genauer verstehen, warum bestimmte Gen-Varianten ein höheres Risiko bürgen, führen sie etwa zu höherer Fettzellbildung. Wir wollen dafür auch experimentelle Ansätze nutzen. Außerdem beschäftigt uns die Frage, wie lange es dauert, bis es zu Folgeerkrankungen kommt. Wir sehen jetzt schon ganz deutlich, dass sich erste Anzeichen bilden.

Übergewichtige Kinder haben erhöhten Blutdruck, müssen mehr Insulin ausschütten, sie besitzen nur eine eingeschränkte Gefäßfunktion und im Fettgewebe sind die Fettzellen größer.

Wie finde ich selbst raus, dass mein Kind übergewichtig ist?

Man muss den BMI errechnen und das online vergleichen, das kann man im Internet leicht machen.

Anm. d. Red.: Das kann man unter anderem hier bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung tun: www.bzga-kinderuebergewicht.de/basisinformationen/ist-mein-kind-zu-dick-bmi/bmi-rechner/

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