In den letzten Wochen stiegen junge Aktivisten den Kohleunternehmen wortwörtlich aufs Dach. In mehreren Aktionen besetzten sie als „Ende Gelände“ oder „Reisegruppe Digger“ in den Tagebauen vor Schleenhain und in der Nochten Kohleförderanlagen und legten so für Stunden den Betrieb lahm. Was die jungen Menschen dabei antreibt und welche persönlichen Risiken sie dabei eingehen, haben wir in einem Interview mit der „Reisegruppe Digger“ herausgefunden.

Die Mitarbeiter der MIBRAG werden am 20. Februar 2019 erneut nicht schlecht gestaunt haben, dass da schon wieder junge Menschen in Masken und bemalt auf ihren Stahlriesen herumturnten. Obwohl es nach der Empfehlung der Kohlekommission, erst 2038 aus der Kohle auszusteigen, fast zur Routine geworden ist im Tagebau Schleenhain, knapp 20 Kilometer vor den südlichen Toren Leipzigs, dass Banner von den riesigen Kohlebaggern herabhängen. Und Braunkohlegegner zunehmend den Abbau vor den Toren Leipzigs bis in die Lausitz scharf attackieren, auch, weil ihm neben den Klimafolgeschäden mit Pödelwitz, wie zuletzt auch für Mühlrose in der Lausitz angekündigt, weitere Dörfer zum Opfer fallen sollen.Neu hingegen ist, wie radikal und direkt die Aktionen geworden sind. Hängten früher Umweltorganisationen wie Greenpeace und Robin Wood ein Banner auf oder strahlten nächtliche Protestsprüche an die Maschinen, fotografierten sie es und waren verschwunden, bevor noch der erste morgendliche Stiefel durch den Abraum kam. Die Aktionen von „Ende Gelände“ und zuletzt die Menschen der Soliaktion „Reisegruppe Digger“ sind dezentraler, militanter, setzen auf echte „Handarbeit“ und die Teilnehmer der überfallartigen Aktionen kalkulieren bewusst ein, dass sie von der Polizei gestellt werden.

Denn das Ziel der selbst gegenüber der Polizei teils strikt anonym bleibenden Personen lautet nicht mehr nur Protest, sie wollen die Bagger sprichwörtlich so lange wie nur irgend möglich zum Stillstand zwingen. Was die jungen Menschen dabei antreibt und welche strafrechtlichen und finanziellen Risiken sie dabei eingehen, haben wir in einem ausführlichen Interview mit der „Reisegruppe Digger“ zu erfragen gesucht. Und einen erstaunlich kompromisslosen Mut in ihrem Umgang mit polizeilichem Eingreifen auch in lichter Höhe und am Boden vorgefunden.

Im Zuge der zuletzt stattgefundenen Besetzungen von Baggern im Leipziger Umfeld & Sachsen kam es vermehrt zu längeren Aufenthalten von Aktivisten bei der Polizei. Wie kam es dazu?

Bei den verschiedenen Besetzungen in diesem Monat handelt es sich um getrennte Aktionen von unterschiedlichen Gruppen von Aktivist*innen. Die erste Aktion am 04.02., in der Aktivist*innen von Ende Gelände gleichzeitig einen Tagebau im Leipziger Land und zwei in der Lausitz besetzt hatten, war eine Reaktion auf die Ergebnisse der Kohlekommission. Achtzehn Menschen der Lausitzer Gruppe wurden infolge ihrer Aktion dem Haftrichter vorgeführt, drei von ihnen sitzen heute noch in Untersuchungshaft. Die Hauptverhandlung ist am Montag um 9:30 Uhr am Amtsgericht Cottbus.

Unsere Aktion am Mittwoch war eine Solidarische Aktion für diese Menschen, die infolge von Besetzungen in Haft sitzen und unter Repressionen leiden, weil sie sich entschieden haben, sich für die Umwelt und unser aller Zukunft zu engagieren. Wie auch bereits in unseren Pressemitteilungen erwähnt, möchten wir uns ebenso solidarisch mit der inhaftierten Aktivistin Eule aus dem Hambacher Wald zeigen, welche zu neun Monaten Haft ohne Bewährungsaussicht verurteilt wurde.

Wir halten diese klar wahrzunehmende Entwicklung ansteigender Repressionen gegen Klima- und Umwelt-Aktivist*innen für unverhältnismäßig! Mit unserer Aktion wollten wir erneut zeigen, wie klar wir diese auf das Schärfste verurteilen und dass wir uns von dieser in keiner Weise abschrecken lassen. Außerdem wollten wir dem politischen Akt der Identitätsverweigerung erneut Ausdruck verleihen.

Warum wählt Ihr das Mittel der Besetzung mit all den Folgen, die dadurch für Euch drohen?

Wir besetzen Kohleinfrastruktur und stören Betriebsabläufe, weil der Tagebau sinnbildlich für die Zerstörung unseres ganzen Planeten steht. Wir verlassen uns nicht darauf, dass Politiker*innen Entscheidungen treffen, sondern bringen die Kohlethematik durch Zivilen Ungehorsam immer wieder in die Öffentlichkeit. Getreu dem Motto „Kohleausstieg ist Handarbeit“ erkennen wir, dass wir selbst handlungsfähig sind und verschaffen unseren Forderungen nach einer klimagerechteren Welt Gehör.

Durch die Entscheidung der Kohlekommission – mit der wir alles andere als einverstanden sind – wird dieses emanzipatorische Vorgehen noch gefördert.

Lokal wollen wir verhindern, dass Dörfer für eine veraltete Technologie weggebaggert werden. Im Fall vom Tagebau Vereinigtes Schleenhain geht es um das Dorf Pödelwitz. Doch der Kohleabbau verändert nicht nur das Gesicht von Landstrichen in Deutschland. Durch die Folgen des Klimawandels, welcher durch Kohle weiter angeheizt wird, verändert sich unser Klima weltweit.

Dürren, Überschwemmungen und Ernteausfälle sind einige Folgen, welche besonders die Existenzgrundlage von Menschen im Globalen Süden bedroht. Dass nicht diese Menschen, die unter den Folgen leiden, sondern die Industriestaaten den Klimawandel verursacht haben, ist doppelt ungerecht. Mit diesem Hintergrund besetzen wir daher Bagger im Tagebau Schleenhain und fordern damit auch etwas viel Größeres: Die Durchsetzung von Klimagerechtigkeit weltweit.

Vier von Euch wurden in Gewahrsam genommen und länger bei der Polizei festgehalten. Mit welcher Begründung?

Eine Person hat direkt ihre Personalien abgegeben, wurde mit in die Gefangenensammelstelle genommen, dort ausgiebig verhört und dann am selben Tag entlassen. Die anderen drei haben ihre Personalien verweigert. Zwei Aktivist*innen wurden am Tag danach durch polizeiliche Methoden identifiziert, die Abgabe ihrer Personalien erfolgte also nicht freiwillig.

Eine Person namens Chai ist immer noch im Gewahrsam und soll am Samstagvormittag entlassen werden. Chai wird dann insgesamt 72 Stunden in Gewahrsam verbracht haben: Allein in einer Zelle, mit eingeschränktem Zugang zu ihrem Anwalt und verweigertem Zugang zu geeigneter Ernährung, frischer Kleidung oder Büchern. Der Person geht es dennoch den Umständen entsprechend gut.

Wieso verweigern verhaftete Teilnehmer an den Besetzungsaktionen gegenüber der Polizei die Angabe der richtigen Namen oder Wohnorte?

Es gibt mehrere Gründe, warum Menschen ihre Identität verweigern. Sie wollen keine Unterlassungserklärung für den Tagebau und die umliegenden Dörfer bekommen, weil sie denken, dass ihre Aktion legitim ist: Wie kann es illegal sein, die Natur und Dörfer vor Zerstörung zu bewahren?

Durch eine Unterlassungserklärung wird ein erneutes Betreten von z. B. einem Tagebau unter hohe Geldstrafen gestellt. Menschen sollen dadurch gezwungen werden, keine weiteren Aktionen in diesem Gebiet zu unternehmen.

Und wenn Menschen von der Polizei nicht identifiziert werden, schützt es sie u. U. vor zivilrechtlichen Forderungen des Tagebaubetreibers. Das bedeutet im Fall der „Reisegruppe Digger“ das Aufkommen für Schäden in Höhe von bis zu 170.000 Euro, die dem Kohlekonzern MIBRAG angeblich zugefügt worden seien.

Ist es richtig, dass damit auch eine gewisse Privilegierung gegenüber anderen Menschen aus der Sache rausgenommen werden soll?

Die in Gewahrsam Genommenen wollen nicht mehr Privilegien haben als Menschen, die keine Ausweispapiere bzw. keinen deutschen Pass besitzen sowie auf die Existenz dieses Privilegs an sich hinweisen. Und die Polizei darf fast alles. Der eigene Name ist eines der wenigen Dinge, die Menschen noch für sich behalten können. Die Identitätsverweigerung dient also nicht nur dem eigenen Schutz, sondern ist auch eine Solidaritätsbekundung und ein Ausdruck von Selbstbestimmung gegenüber der Polizei.

34 Stunden ist ziemlich lang für eine Festnahme?

Die längeren Festnahmen waren rechtlich nicht begründet: Laut der Strafprozessordnung dürfen Menschen zur Identitätsfeststellung nach einer Straftat in Sachsen nicht mehr als 12 Stunden festgehalten werden. Wenn es sich um Gefahrenabwehr handelt, darf laut sächsischem Polizeigesetz ein richterlicher Beschluss einer Ingewahrsamnahme von bis zu drei Tagen anordnen. Ein solcher Beschluss muss eine Gefahr benennen, diese fehlte jedoch. Damit ist die Anordnung rechtswidrig.

Die zwei Aktivist*innen, die am Donnerstag, 21. Februar, nach 34 Stunden Gewahrsam freigelassen wurden, sind dabei, eine Beschwerde gegen den unrechtmäßigen Beschluss einzureichen.

Statt „Hausfriedensbruch“ wird in letzter Zeit bei ähnlichen Aktionen die „Gefährdung öffentlicher Betriebe“ zugrunde gelegt. Hat man Euch erklärt, was das bedeutet?

Drei Personen wird Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Hausfriedensbruch vorgeworfen. Der Vorwurf der „Gefährdung öffentlicher Betriebe“ wurde nicht erhoben. Die Staatsanwaltschaft prüft diese
Tatbestände noch.

Wurden Fingerabdrücke abgenommen und fotografische Erfassungen durchgeführt?

Es wurde versucht, Fingerabdrücke zu nehmen, die Aktivist*innen wurden fotografiert, gewogen die Schuh-Größe wurde erfasst und Fotos von Ohren genommen. Es blieb nicht nur bei der „Standard ED-Behandlung“: Von zwei Aktivist*innen wurde auf richterlichen Beschluss hin auch die DNA erfasst.

Wie habt Ihr das Auftreten der Polizeibeamten Euch gegenüber erlebt?

Extrem unverhältnismäßig: Die Polizist*innen haben, ohne sich oder die Aktivist*innen zu sichern, Menschen in einer Höhe von 20-30 Metern mit Einsatz von Gewalt über schmale Plattformen und Leitern getragen. Die Aktivist*innen wurden in Hand- und Fußfesseln den Bagger hinunter und über das Gelände getragen. Einige wurden auch auf schmerzhafte Weise an! den Handschellen selbst getragen.

Einem Aktivisten wurden bei dem Versuch mit Kabelbindern beide Füße zu Fesseln, beide Schuhe ausgezogen. Einer dieser Schuhe wurde mutwillig vom Bagger geworfen und nicht mit in die PD Leipzig genommen. Die Person ist barfuß vor den Richter geführt worden.

Später hat die Polizei nicht gezögert, mehrmals Schmerzgriffe zu benutzen. Den Aktivist*innen wurde direkt oben auf dem Bagger mit einem Edding Nummern von 1-4 auf die Stirn geschrieben. Auf die Aussage eine*r Aktivist*in, das sei menschenverachtendes Verhalten, wurde nicht reagiert.

Im Gewahrsam haben die Polizisten ihre Inkompetenz bewiesen, indem sie mehrfach die Telefonnummern falsch gewählt und dadurch den Kontakt zum Anwalt verhindert haben.

War Euch vorab klar, dass einige sogar für längere Zeit verhaftet werden?

Die Rechtsprechung geht aktuell mit einer enormen Unverhältnismäßigkeit gegen Klimaaktivist*innen vor: In der Lausitz sitzen nach einer Baggerbesetzung seit dem 04.02. immer noch 3 Aktivist*innen in
Untersuchungshaft und im Rheinland wurde in dieser Woche eine Aktivistin nach 5 Monaten U-Haft zu insgesamt 9 Monaten Haftstrafe ohne Bewährung verklagt. Sie hatte bei der großen Räumung im September in einer Hängematte unter einem Baumhaus gelegen.

Unsere Aktion ist ein Ausdruck von Solidarität und soll zeigen, dass wir uns von den Repressionsbehörden nicht einschüchtern lassen. Wir kämpfen für Klimagerechtigkeit global und lokal – die Politik des „Probleme auslagern“, die von Bundes- und Landesregierung betrieben wird, können
wir nicht mittragen.

Sie führt jetzt schon dazu, dass viele Menschen im globalen Süden ihre Existenzgrundlage verlieren. Menschen werden zunehmend vor Dürren und Extremwetterereignissen fliehen müssen – kombiniert mit der Abschottungspolitik, die in den privilegierten Ländern gefahren wird, rennen wir da gerade in eine Katastrophe.

Das geht uns alle an und da sind Menschen auch bereit, Unverhältnismäßigkeiten auszuhalten. Im Kontext dieser Aktion konnten wir mit Unverhältnismäßigkeiten rechnen und sind diese bewusst eingegangen, die in keinem Verhältnis zu ausgehender Gewalt der Kohle-Konzerne stehen. Darauf verweist auch der Spruch unseres Banners. Dass vor dem Hintergrund dieses Interesses nach Klimagerechtigkeit Gewalt auch auf uns zurückfällt, zeigt umso mehr die Absurdität der Situation.

Wie seht Ihr jetzt, am Samstag, 23. Februar 2019, im Rückblick Eure Aktion?

Die Aktion hat erneut Aufmerksamkeit generiert für die Repressionsfälle im Rheinland und in der Lausitz – es war ein wichtiger Schritt direkt wieder „auf den Bagger zu steigen“, um zu zeigen, dass die Repressionsberge, die sich gerade aufbauen, überwindbar sind. Wir möchten hier auf unser vorher verfasstes Statement hinweisen. Wir sehen uns darin bestätigt und bekräftigt, weiterzumachen!

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