LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 65Im Palmengarten gibt es seit einigen Jahren einen grünen Streifen, der gepflegt werden will und von allen genutzt werden kann. Es handelt sich um den „Essbaren Palmengarten“. Am 14. April ist wieder Saisonauftakt. Die LEIPZIGER ZEITUNG hat sich mit Claudia Friedrich und Sabine Roßberg zu einem kleinen Spaziergang getroffen. Die beiden Frauen haben die Initiative vor drei Jahren gestartet.

Hallo Sabine und Claudia! Fangen wir doch direkt einmal an: Wer seid Ihr?

Claudia: Ich bin eine der Leiterinnen der „Heldenküche“. Die Heldenküche habe ich vor fünf Jahren als Sozialunternehmen gegründet. Wir kochen unter dem Motto „Sozial, liebevoll, lecker“. Ich sehe Essen immer als ein sehr verbindendes Element und uns ist es wichtig, die Produzenten zu kennen, die unsere Lebensmittel herstellen. Das Schönste ist natürlich, selbst zu produzieren beziehungsweise selber anzubauen. Sabine und ich haben uns schon vor Ewigkeiten kennengelernt. Wir waren beide bei der Gründungsberatung von „Smile“ und haben dort erste Projekte zusammen gemacht.

An einer Schule haben wir zusammen mit Kindern einen Minzworkshop veranstaltet. Dann wurden wir beide sehr neugierig. Es ging dann voran mit einer Tafelrunde von Michael Berninger zum Thema „Essbare Stadt“. Damals hieß es, dass die Fläche hier im Palmengarten dafür zur Verfügung steht. Das hat uns beide gekitzelt. Im Frühjahr 2016 haben wir dann angefangen: die erste Saison, der erste Spatenstich.

Die Heldenküche – wo kann man denn da hin; habt ihr eine Location?

Claudia: Wir sind seit Mai letzten Jahres in der Markranstädter Straße 8 zu finden – das Haus der guten Lebensmittel. Unsere Vermieter sind Thilo Eggenberger und Julia Wolff von „Eggenberger Lebensmittel“, die unter anderem die Lipz-Schorle herstellen.

Das habe ich neulich gesehen. Da ist ja auch eine Teilauto-Station nebenan.

Claudia: Genau. Wir sind sozusagen eine Gemeinschaftsküche. Da sind auch die „Ölmühle Leipzig“ und die „Plagwitzer Kinderküche“ vertreten. Wir haben da eine Küchenzeile gemietet und kochen für Caterings und für Kochkurse. Wir hatten auch schon eine Klasse von der Karl-Heine-Schule hier. Die hatten das Thema „Gesunde Schule“ als Projekttage und waren deshalb auch bei uns. Das ist ein sehr schöner Ort. Da steht auch die Ölmühle und wir kochen dann immer mit frischem Öl. Wenn Kurse sind, ist das immer etwas sehr Schönes.

Ihr presst eigenes Öl dort?

Claudia: Genau, aus regionalen Biosaaten.

Ich staune. Man kennt ja immer erstmal nur Sonnenblumenöl, Rapsöl, Olivenöl. Aber es gibt ja unheimlich viele Möglichkeiten, Öle zu machen.

Claudia: Es gibt wohl 200 verschiedene Saatsorten, die diese Mühle theoretisch pressen kann. Und es waren auch Leute da, die ihre geknackten Walnüsse – zehn Kilo, die waren ganz fleißig – vorbeigebracht haben. Ich würde sagen, dass wir eher der kulinarische Verarbeitungsteil sind. Sabine bringt eben dieses gärtnerische Fundament mit.

Sabine: Genau! Ich bin Sabine von „Gemeinsam Grün e.V.“ Wir versuchen, die Themen Inklusion und Garten-Landschaftsbau miteinander zu verbinden. 2013 haben wir uns gegründet und wollten eigentlich von Anfang an einen Gemeinschaftsgarten haben. 2016 haben wir angefangen, diese Fläche hier zu erschließen – mit der Heldenküche zusammen und mit Leuten, die einfach so noch dazugekommen sind. Das ist sozusagen auch unser Versuchsprojekt, weil wir da im Bereich Essbare Stadt ein bisschen die Vorreiter waren. Inzwischen verändert sich das aber.

Wir sind noch ansässig im Leipziger Westen, haben dort eine winzige Anbaufläche, werden aber im Laufe des Jahres beziehungsweise Anfang nächsten Jahres in den Osten ziehen, weil wir dort einen barrierefreien Bildungsgarten aufbauen. Das wird unser großes Gemeinschaftsgartenprojekt. Die Erfahrungen von hier werden wir dort mit übernehmen. Wobei die Fläche dort noch einmal anders sein wird, weil es dann tatsächlich Zäune, aber auch Gemeinschaftsbereiche gibt. Wir können dann aufgrund der Größe der Fläche auch einzelne Teile an Leute abgeben, die sich einfach ausprobieren wollen.

Mulch auf den Böden des Essbaren Palmengartens Foto: Sabine Roßberg
Mulch auf den Böden des Essbaren Palmengartens Foto: Sabine Roßberg

Bei „Gemeinschaftsgärtnern“ fällt mir die „Annalinde“ ein, die auch hier im Westen ist – und ich glaube, auch im Osten.

Sabine: Das ist richtig. Die Annalinde hat den Gemeinschaftsgarten und die Gärtnerei hier im Westen. Sie haben die frühere Gärtnerei übernommen. Im Osten haben sie seit letztem Jahr auch eine Gärtnerei, was noch so ein bisschen ein Versuchsprojekt ist. Wir sitzen mit Annalinde auch am Tisch der Essbaren Stadt. Sie haben uns gleich in der ersten Saison mit Pflanzen unterstützt.

Claudia: Der Unterschied ist aber ganz klar der, dass wir ein besonderer Gemeinschaftsgarten im Sinne „Pflücken erlaubt“ statt „Betreten verboten“ sind. Du siehst ja auch: Es gibt keine Zäune, es ist komplett öffentlich.

Das stimmt, das ist besonders. Und wie ist das mit der freien Fläche gemeint? Ich habe vorhin das Schild gelesen, wo es im Prinzip um die Frage ging: Was ist öffentliches Eigentum; was ist bürgerliches Eigentum und was steht allen zur Verfügung? Ist dies also nur der Bereich, den ihr einfach benutzen könnt?

Sabine: Also in früheren Zeiten war diese ganze Fläche eine Dahlien-Anpflanzung. Das ist eine historische Pflanzung gewesen, bevor dies dann ungefähr vor zwölf Jahren aufgegeben wurde. Nun ist es ein Denkmalschutzbereich, eine Fläche, die quasi für die Allgemeinheit zur Nutzung freigegeben ist. Es ist fast schon so eine Allmendefläche. In Kriegszeiten und danach gab es hier im Park ja auch Kartoffelpflanzungen.

Daran musste ich auch gerade denken: das Prinzip, dass gerade nach dem Krieg solche Flächen der Allgemeinheit zur Verfügung standen und man aus der Not heraus wieder Selbstanbau betrieben hatte.

Sabine: Genau! Das Thema Essbare Stadt ist ja etwas, was auch aus den englischsprachigen Ländern hier herübergeschwappt ist, wie so viele Sachen aus dem anglo-amerikanischen Bereich kommen. In Städten wie Detroit, die total darniederlagen, gab es Initiativen, in denen aufgegebene Flächen wieder der Allgemeinheit zum Anbau zugeführt wurden. Und wir machen das jetzt im Kleinen. Wir haben hier eigentlich eher einen Bildungsauftrag, indem wir zeigen, dass auch unter den widrigsten Umständen einiges wachsen kann. Wir haben hier nämlich kein Wasser und es ist im Sommer unerträglich heiß auf der Fläche. Wir wollen einfach mal zeigen, was wachsen kann, auch wenn man es nicht überbehütet, sondern es einfach wild wuchern lässt. Wobei hinter dem wilden Wuchern auch Pflege steht.

Claudia: Wir hören ja immer mal Geschichten, wenn die Tagesmuttis hier mit den Kindern vorbeigehen und ihnen erklären: Das ist Oregano, das ist Salbei. Das ist tatsächlich schön, einen öffentlichen Raum geschaffen zu haben.

Auch Impulsgeber zu sein, so etwas einfach auch selber zu machen.

Sabine: Und dass es auch angenommen wird! Die Menschen kommen, genießen das und sitzen hier auf den Bänken. Mir ging es beim allerersten Mal auch so. In der Zeit bin ich hier immer langgelaufen und fragte mich. Was ist denn hier? Ich habe dann diese Schilder gesehen. Man stolpert auch darüber und denkt sich: Ja klar, warum nicht einfach so eine öffentliche Fläche machen, wo man einfach mitgärtnern kann?

Allein dass man aus seinem Wahrnehmungstrott herausgenommen wird. Parkflächen haben ja mittlerweile so ein stereotypes Bild. Man geht spazieren, sonnt sich vielleicht und das war’s. Aber dass es noch andere Möglichkeiten gibt, hat man gar nicht immer auf dem Schirm.

Es ist natürlich auch insofern vorreitend, dass so eine Fläche auch mehr Biodiversität schafft. Wir arbeiten viel mit Gründüngung und vielen Ringelblumen zwischen den Saaten. Im Frühjahr, Sommer und Herbst haben wir natürlich auch noch viele Insekten hier; viele Bienen, auch Wildbienen, die ja besonders bedroht sind. Und das zu zeigen oder eben auch zu schaffen, finde ich wichtig. Mehr Blühflächen zu schaffen hat sich inzwischen auch die Stadt in ihrem „Masterplan Grün“ auf die Fahnen geschrieben. Da zählt der Essbare Palmengarten schon auch ein Stück mit dazu.

Claudia: Und dazu passend ist auch das Motto des Gartens „Viva la Vielfalt!“. Wir haben über 70 Sorten hier. Wir wollen zeigen, dass die Natur sehr vielfältig ist – und dies sowohl mit der Bepflanzung als auch mit unseren Veranstaltungen. Wir hatten letztes Jahr mit der Unterstützung von „Aktion Mensch“ hier einige Veranstaltungen, so zum Beispiel eine Mitmachzeit, einmal mit Gehörlosen und einmal mit Rentnern mit Behinderungen. Das ist das Motto, das wir hier leben: Es ist vielfältig und blüht. Und wir bekommen nun auch einen neuen Blühstreifen.

Sabine: Ja, ein Blühstreifen wird angelegt. 400 Quadratmeter sollen es sein – etwa die gespiegelte Fläche von dieser Fläche. Wir lassen uns überraschen, was im April passiert.

Wollen wir uns den Garten ein bisschen genauer anschauen? Ich sehe schon die ersten Spinnen hier.

Sabine: Ja, im Grunde genommen ist für die nächste Zeit angesagt, dass wir das Laub beräumen. Hier ist viel Gründüngung draufgewesen. Man sieht es ein bisschen: das, was hier so niedergedrückt ist. Das würden wir dann einarbeiten, weil wir dieses Jahr keinen Kompost einbringen. Die Gründüngung bewirkt ja auch die Aktivierung und Bereicherung des Bodens mit Nährstoffen.

Und das ist auch das, was du meintest: Dass die Natur vieles selber machen kann, oder?

Sabine: Ja, es ist praktisch ein Prinzip, das der Wald auch nutzt. Der Wald hat immer eine natürliche Mulchschicht. Alles, was wir hier gemäht haben, wird immer auf die Beete aufgebracht, weil somit die Organismen im Boden Nahrung kriegen – die Würmer und die ganzen Kleinstlebewesen, die ja wichtige Arbeit leisten. Das hält das Wasser im Boden, was hier sehr wichtig ist und damit auch eine Kühlfunktion hat. Man muss nicht alles super aufräumen. Das hat Claudia im ersten Jahr auch mit großem Staunen gelernt.

Claudia: Man hat erstmal so einen Aufräumzwang, dass immer alles ordentlich aussieht. Sabine aber hat immer alles auf die Beete draufgeworfen. Das musste ich erst einmal lernen. Ordentlich ist nicht immer gut.

Sabine: So eine Mulchschicht bindet auch CO2 in den Boden. Unter dem Gesichtspunkt einer klimatischen Veränderung reichert man den Boden mit Humus an und bindet damit auch CO2. Im Grunde genommen ist zu viel Aufräumen, wie in der Küche und im Bad, nicht besonders nützlich. Ich bringe immer einen Vergleich an, den ich sehr schön finde: Man muss sich vorstellen, dass man im Winter rausgeht, nackt sozusagen, an die Luft – und der Boden ist uns ähnlich. Wir frieren dann superschnell, und der Boden, wenn er nicht bedeckt ist, wird ausgelaugt. Er braucht die Decke. Wir müssen uns zudecken oder eben bekleiden, und der Boden muss das auch.

Wie aufwendig ist denn der Erhalt der Fläche und wie finanziert ihr euch? Wie trägt sich das durch die Freiwilligenarbeit von außen?

Claudia: Wir treffen uns hier einmal die Woche, immer mittwochs 15-18 Uhr. Sabine ist noch häufiger da. Sie mäht Rasen, gießt, … Kannst du das auf eine Wochenstundenzahl beziffern?

Sabine: Na ja, wir haben dieses Jahr das große Glück, tatsächlich eine Teilzeitstelle bekommen zu haben. Und da haben wir jetzt ungefähr 15 Stunden angesetzt. Da ist allerdings auch die Öffentlichkeitsarbeit mit drin, weil ich zum Beispiel den Facebook-Account oder Blogeinträge übernehme. In den Hochzeiten, wenn hier viel wächst, bin ich zweimal pro Woche da und mache die Arbeiten, die sonst hier mittwochs nicht alle erledigt werden.

Habt ihr Leute von außen, die regelmäßig mitmachen?

Sabine: Man muss vielleicht mal ein Stück zurückdrehen: Wir haben bisher alles komplett ehrenamtlich gemacht. Alle Veranstaltungen, alle Pflegesachen. Und dass wir das jetzt dieses Jahr mit einer halben Stelle ein Jahr gefördert kriegen, ist das erste Mal. Ansonsten sind wir ein Kreis von sieben bis zehn Leuten, die sich richtig intensiv kümmern und bei Veranstaltungen dabei sind. Es kommen immer Leute dazu, aber es wechselt auch stark. Im Frühjahr sind es mehr, im Sommer ein bisschen weniger, weil – so meine Einschätzung – dann auch Studenten weggehen.

Claudia: Wir freuen uns jedenfalls immer über Menschen, die mitmachen möchten. Das ist für uns alle ein Ehrenamt. Aber sowohl für euch als auch für uns ist es ein sehr gutes Projekt, das sich gut integrieren lässt. Der Garten gibt mir auch unglaublich viel zurück. Das sieht hier im Sommer richtig schön aus.

Am 14. April habt ihr Saisonauftakt. Was kann man denn da erwarten?

Claudia: Bei unseren Veranstaltungen gibt es traditionell mitgebrachten Kuchen von uns sowie Freunden und Gästen; das Mitbring-Buffet entsteht, und Tee, Kaffee und Limo gibt es auch immer. Und – wir haben das zwar noch nicht geplant – ein Kinderprogramm gab es sonst auch und Musik, hoffe ich.

Sabine: Es gibt auf jeden Fall dieses Jahr das Bürgersingen und Frauensingen. Im Rahmen des Clara-Schumann-Jahres wird hier ein Rundgang veranstaltet, den Michael Berninger mitinitiiert hat. Der Chor wird 15 Uhr singen. Und zum 14. April soll wohl auch die neue Blühfläche angelegt werden. Wir sind gespannt. Ansonsten freuen wir uns, wenn Leute noch Lust haben, zusätzlich Musik zu machen.

Claudia: Wir hatten auch schon eine Geschichtenerzählerin, die den Kindern Märchen vorgelesen hat. Wir sind da ganz offen, wenn jemand Lust hat, was zu machen. Die Leute sollten uns vorher aber anschreiben.

Eine letzte Frage: Wie findet man den Essbaren Palmengarten?

Claudia: Zunächst digital bei Facebook. Bei Google-Maps zeigt der Pin direkt auf diese Fläche.

Sabine: Von der Haltestelle Angerbrücke aus sieht man den Essbaren Palmengarten auch ganz gut, wenn man da über die Fußgängerquerung beim Café Eigler geht.

Claudia: Parallel zum Elsterflutbecken hinter den Steinterrassen, die zu dem ehemaligen Springbrunnen führen. Neben dem Elefantenspielplatz.

Mehr Informationen zum Essbaren Palmengarten, zu Gemeinsam Grün e. V. und zur Heldenküche finden Sie auf folgenden Seiten:

www.gemeinsamgrün-leipzig.de/new
www.heldenküche.net/#/zu-hause
www.facebook.com/essbarerpalmengarten

Zu Besuch bei wegweisenden Initiativen (7) – Ein Filmprojekt des Leipzig Korrektiv: Über die Begegnung von Flüchtlingen mit dem Holocaust

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