Das alte Jahr verabschiedet sich allmählich – die Probleme bleiben. Auch im Freistaat Sachsen gelten seit heute schärfere Schutzmaßnahmen gegen COVID-19, die gerade mit Blick auf das nahende Silvester relevant werden. Nach Ausschreitungen sogenannter „Querdenker“ wird der Ruf nach einem Verbot der rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen“ lauter, während die Gewerkschaft der Polizei Sachsens (GdP) das Versammlungsrecht ab 2022 wieder normalisieren will. Unterdessen hat das Ordnungsamt Leipzig „Spaziergänge“ rechtlich als Versammlungen eingeordnet und das Bundesverfassungsgericht die Politik aufgefordert, eine gesetzliche Grundlage für die Triage zu schaffen – die Auswahl, welche Patienten in einer Notlage zuerst ärztliche Behandlung erhalten. Die LZ fasst zusammen, was am Dienstag, den 28. Dezember 2021, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.

Corona bestimmt weiter den Alltag

Die Hoffnung war groß, man könne die weltweite Pandemie durch das Virus SARS-CoV-2, das vor etwa zwei Jahren in China zu zirkulieren begann (hier eine lesenswerte Chronik der Universität Ulm), Anno 2021 halbwegs in den Griff bekommen. Doch trotz seit einem Jahr laufender Impfkampagne und weiterer Maßnahmen wird unser Alltag weiterhin durch Atemschutzmasken, immer neue Verordnungen, 2G, 3G, geschlossene Kultur- und Freizeiteinrichtungen und heftige Debatten etwa über eine Pflicht zur Impfung bestimmt.

Immerhin: In Sachsen setzt sich der rückläufige Trend bei den Infektionszahlen aktuell fort, keiner der Landkreise weist mehr eine 7-Tage-Inzidenz von über 1.000 auf. Das deutet zunehmend darauf hin, dass die Maßnahmen der geltenden Notfallverordnung wirken.

Allerdings sind die gemeldeten Zahlen umso mehr mit Vorsicht zu genießen, weil über die zurückliegenden Weihnachtstage nur eine eingeschränkte Registrierung und Weitergabe von Daten stattfand, während sich viele Menschen zu gemeinsamen Weihnachtsfeiern trafen.

Omikron als Ticket aus der Pandemie heraus?

Dazu kommt, dass sich mit der neuesten, bekannten Virus-Mutation namens Omikron bereits die nächste Infektionswelle auftürmen wird. Bundesweit sind offiziell bereits 10.000 Fälle nachgewiesen, die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein. Schon zu Beginn des neuen Jahres könnte sich die Variante nach Expertenmeinung auch in Deutschland durchsetzen und die Regie übernehmen.

Ob uns noch Schlimmeres bevorsteht oder die Erreger-Variante Omikron sogar unser „Ticket aus der Pandemie“ werden könnte, Corona also bald auf das Niveau einer beherrschbaren Saisonerkrankung zurückfallen wird, ist möglich, aber längst nicht sicher. Dafür spricht, dass Omikron ansteckender ist, glimpflicher verlaufen soll und somit die Immunisierungsrate durch Genesene ansteigen könnte.

FFP2-Masken verpflichtend, Großfeiern und Böllerei verboten

Solange dies nicht der Fall ist, wird unser Pandemie-Alltag wohl weiterhin von Beschränkungen geprägt sein. Sachsen hat seine geltende Schutzverordnung mit Wirkung von heute an verschärft. Waren bislang beispielsweise noch private Treffen von bis zu zwanzig geimpften oder genesenen Personen gestattet, ist diese Zahl nun auf zehn reduziert (unter 16-Jährige ausgenommen).

Sobald auch nur ein Ungeimpfter dabei ist, wird die Zahl legaler Treffen auf einen Hausstand und eine weitere Person radikal reduziert. In Behörden, Betrieben, Geschäften und bei körpernahen Dienstleistungen ist das Tragen einer FFP2-Maske nun verpflichtend.

Zu Silvester und Neujahr sind Feiern auf öffentlichen Plätzen ebenso untersagt wie das Mitführen oder Zünden von Böllern. Durchsetzen soll dies die Polizei, welche derzeit kaum noch „aus den Stiefeln“ kommt.

Die Verschärfung gilt aktuell bis 9. Januar 2022.

Krawalle in Bautzen: „Hier wird Bürgerkrieg geprobt”

Die Pandemie – sie hat sich bislang auch als Kraftprobe für die Gesellschaft herausgestellt. Eine kleine, aber laute und teils aggressive Minderheit nutzt die Notsituation für ihre Hetze gegen Vertreterinnen und Vertreter von Politik, Wissenschaft, Medien und Polizei aus. Sie ereifert sich in Phantasien zum Umsturz des „Systems“, die mit nachvollziehbarer Kritik an staatlichen Maßnahmen nichts mehr gemein haben.

Regelmäßig kommt es sachsenweit zu sogenannten „Spaziergängen“ von Gegnern der Corona-Politik, obwohl im Freistaat derzeit nur ortsgebundene Versammlungen mit maximal zehn Personen erlaubt sind. Die Polizei, personell unterbesetzt und überfordert, konnte das Verbot eines Marsches häufig nicht durchsetzen. Allein in den Landkreisen Bautzen und Görlitz hatten sich am Montagabend geschätzte 4.400 Menschen an häufig illegalen Aufzügen beteiligt.

Als die Polizei in Bautzen einen Zug stoppen wollte, wurden die Beamtinnen und Beamten nach Behördenangaben mit körperlicher Gewalt, Böllern und Flaschen attackiert. Ein Dutzend Einsatzkräfte sei verletzt und dazu die gleiche Zahl an Einsatzwagen beschädigt worden.

„Hier wird Bürgerkrieg geprobt“, twitterte die linke Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (54). Und forderte ein Verbot der vor rund einem Jahr gegründeten Kleinstpartei „Freie Sachsen“, die als wesentlicher Treibriemen der radikalen Protestbewegung gilt. Der sächsische Verfassungsschutz stuft die Gruppierung als rechtsextrem ein, die maßgeblichen Frontleute sind mit Martin Kohlmann (Pro Chemnitz) und Stefan Hartung (NPD) bekannte Rechtsextreme aus Chemnitz und Bad Schlema.

Die GdP Sachsen fordert Änderungen ab 10. Januar 2022

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen sieht sich längst an den Grenzen der Belastbarkeit und als Puffer, der den gesellschaftlichen Riss abfedern muss. Inzwischen fordert sie offiziell eine Lockerung des derzeit stark beschränkten Versammlungsrechts.

In einer mittlerweile deutschlandweit in den Medien verbreiteten Wortmeldung äußerte GdP-Landeschef Hagen Husgen: „Angesichts der sich Woche für Woche wiederholenden und ausweitenden Versammlungslagen und der sich daraus ergebenden Polizeieinsätze lässt uns das Gefühl nicht los, dass die Polizei als Ersatz des politischen Meinungsstreits missbraucht wird. Gesellschaftliche Probleme lassen sich aber grundsätzlich nicht mit polizeilichen Mitteln lösen.“

Die Polizei solle durch eine „lebensnahe Rechtslage in die Lage versetzt werden, sich auf gewalttätige Verläufe, die durch Extremisten provoziert werden, zu konzentrieren.“ Ob die Covid19-Zahlen und die Krankenhausbelegungszahlen, welche eher ein medizinisches und weniger ein Meinungsproblem darstellen, dies ab dem 10. Januar 2022 zulassen, ist offen.

Warum die Polizeigewerkschaft allgemein von Extremisten und in diesem Zusammenhang nicht von Rechtsextremisten spricht, auch.

Ordnungsamt Leipzig ordnet „Spaziergänge“ rechtlich als Versammlungen ein

Gleichzeitig forderte heute das Ordnungsamt Leipzig indirekt auch die Polizei auf, dem aktuellen Versammlungsrecht auch mal Geltung zu verschaffen. In einer Pressemitteilung formulierte die Leipziger Verwaltung unter anderem, entgegen früherer Mitteilungen deutlich klarer, dass „sogenannte Corona-Spaziergänge (…) rechtlich wie Demonstrationen zu bewerten sind und unterliegen entsprechend dem Versammlungsrecht sowie der aktuell gelten Corona-Notverordnung. Nach dieser sind in Sachsen nur ortsfeste Zusammenkünfte mit maximal zehn Teilnehmern erlaubt.“

Weiter hieß es heute: „Die Versammlungsbehörde macht darauf aufmerksam, dass auch nonverbale Äußerungen eine eigenständige Aussage im Sinne einer Willensbekundung des „spazierenden“ Teilnehmerkreises darstellen und dies somit den Sachverhalt einer Versammlung nach Sächsischem Versammlungsgesetz eröffnet. Insofern stehen die in Form von „Spaziergängen“ organisierten Versammlungen zum einen unter dem Schutz des Grundgesetzes, zum anderen unterliegen sie dem Regelungsrahmen der sächsischen Corona Notverordnung, die das Versammlungsrecht einschränkt.“

Die zunehmende Aggressivität und das „gesteigerte Gewaltpotenzial“ auf den somit als Versammlungen zu wertenden „Spaziergängen“ würden nun durch die „damit einhergehende gesteigerte Übertragungsgefahr des Corona-Virus“ die Polizei- und Sicherheitsbehörden zwingen, „restriktiver gegen unzulässige Versammlungen vorzugehen“.

Während die Leipziger Polizei am gestrigen Montag, 27.212.2021, also erneut einen „Spaziergang“ weitgehend unbehelligt zuließ und den (als Versammlung angemeldeten) Gegenprotest einer Polizeikontrolle unterzog, gab es heute kraftvolle Worte von der zuständigen Ordnungsbehörde der Stadt.

Ethisches Dilemma: Was tun im Fall einer Triage?

Der Gesetzgeber muss sofort einen Rahmen schaffen, damit behinderte Menschen im Fall einer durch die Pandemie bedingten Triage keine Benachteiligung erfahren. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und damit einer Verfassungsbeschwerde mehrerer potenziell betroffener Personen mit Behinderung stattgegeben (Az. 1 BvR 1541/20).

Die Karlsruher Richter stellten fest, dass der Gesetzgeber das im Grundgesetz festgelegte Diskriminierungsverbot für behinderte Menschen verletzt habe, weil es bislang keine Rechtsgrundlage gibt, nach welchen Kriterien eine Triage ablaufen muss. Doch sei gerade diese Grundlage wichtig, um in Zeiten der Pandemie mit knappem Krankenhauspersonal, einer begrenzten Zahl freier Intensivbetten und Beatmungsgeräte sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderung nicht benachteiligt werden, wenn sie ärztliche Hilfe brauchen.

Unter einer Triage (französisch „trier“ = sortieren, auswählen) wird in der Medizin eine Methode verstanden, nach der in Notlagen (z.B. wie jetzt eine Pandemie) entschieden wird, welcher Patient zuerst medizinisch versorgt wird und wer dagegen warten muss.

Grundgesetz verbietet ein Abwiegen von Leben

Bisher gibt es nur ethische Richtlinien von Fachgesellschaften, welcher COVID-19-Erkrankte zum Beispiel ein Intensivbett bekommen wird. Dabei wird etwa danach geschaut, wer nach medizinischer Beurteilung die besseren Erfolgsaussichten hat. Rechtlich jedoch ist ein Abwiegen von einem Leben gegen das andere ebenso wenig statthaft wie eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderung.

Was das wegweisende Urteil aus Karlsruhe nun praktisch bedeutet und Antworten auf weitere Fragen hat die ARD hier zusammengefasst.

Buchmesse 2022, Kritik des ADFC und 15 Jahre im Knast

Worüber die LZ heute berichtet hat: Die Corona-Auswirkungen prägen auch die Berichterstattung – aber nicht nur. Es gibt einen kleinen Ausblick, ob die Leipziger Buchmesse im Frühling 2022 stattfinden könnte.

Ralf Julke schreibt über den ADFC Sachsen und Bebauungspläne zum Grünen Bahnhof Plagwitz, außerdem stellt er eine Veröffentlichung des Leipziger Poeten Ralph Grüneberger vor, die sich mit den Fragen der Zeit auseinandersetzt.

Eine wegen Mordes verurteilte Ex-Strafgefangene hat der LZ gegenüber ihre Geschichte von 15 Jahren im Strafvollzug erzählt – hier geht es zum Teil 1.

Was heute sonst noch wichtig war: Der Oberste Gerichtshof Russlands hat die Auflösung der Menschenrechtsorganisation Memorial angeordnet – eine Entscheidung, die auch in Leipzig für Wut und Unverständnis sorgt.

Entspannung in Sicht? – Im Ukraine-Konflikt sind Gespräche zwischen den USA und Russland für Januar angesetzt.

Das von Mutter Teresa (1910-1997) gegründete Hilfswerk mit hunderten Waisenhäusern und Hospizen darf auf Geheiß der indischen Regierung keine Spenden aus dem Ausland mehr empfangen.

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