Das Buch war ein Mythos in DDR-Zeiten, als man spät (manchmal zu spät) die Schönheit der einstigen Schlossgärten und -parks im Leipziger Raum wiederentdeckte. Henriette Krahnstöver begleitete als Gartenarchitektin in den 1980er Jahren die Wiederherstellung des Rokoko-Parks von Kohren-Sahlis. Und es wurde von den Lebenserinnerungen eines einstigen Gutsgärtners gemunkelt, der mit seinem Herrn sogar extra nach Frankreich ritt, um die dortige Gartenbaukunst zu inspizieren.

Bis ins neue Jahrtausend musste Henriette Krahnstöver sich gedulden, hatte fast schon die Hoffnung verloren, als sich dann doch ein Enkel meldete. Reinhold Hofmann, ein Enkel des einstigen Obergärtners des Schlosses Güldengossa, der das 300-Seiten-Manuskript verwahrte. Und es stand mehr drin als nur ein Ritt nach Paris, der nicht einmal auf das Konto des Autors ging. Aber Familiengeschichten leben oft auch von der Raffung der Ereignisse. Und was Reinhold Hofmann 1949 versuchte, war eine Familiengeschichte, war auch seine eigene Lebensbiografie – und es war der Versuch, das Leben einer vergangenen Zeit und einer bedrohten Landschaft einzufangen.

Denn 1949, da gab es sie alle noch, die Dörfer im Leipziger Südraum. Auch das Dorf Rüben, das nur im Buchtitel wie ein Wortspiel klingt. Eine alte Karte aus der Zeit um 1870 auf den Seiten 106/107 zeigt, wo sie alle lagen, diese Dörfer, die dem Aueland der Pleiße einst Charakter gaben und wo all die reichen Leipziger Bankiers und Buchverleger einst ihre Sommerresidenzen hatten. In Rüben zum Beispiel, östlich von Stöhna gelegen, nördlich von Rötha. Mit dem benachbarten Zehmen bildete es eine Art Zwillingsdorf. Eine Landstraße führte ostwärts nach Gruhna, Magdeborn und Göltzschen.An die meisten Dörfer erinnern heute nur noch Seen, Rückhaltebecken und Halden in der Bergbaufolgelandschaft. Denn in den 1950er Jahren fraß sich der Braunkohlebergbau in diese einst reiche Kulturlandschaft – und Leipzig verlor damit seinen ursprünglichen, von Pleißeaue und Obstbau geprägten Süden. Das heutige Neuseenland hat damit nur noch wenig zu tun. Und außer der Neuanpflanzung der Harth hat man einen Bezug auf die noch gar nicht so ferne Geschichte dieser Landschaft tunlichst vermieden.

Hofmann ahnte das, als er 1949 zum letzten Mal in den Ort seiner Kindheit kam. Einige der eindrucksvollsten Schilderungen aus dieser Kindheit hat Henriette Krahnstöver mit aufgenommen in ihr Buch. Hofmanns Vater war selbst Gutsgärtner – in Rüben, das seinerzeit dem Leipziger Druckereibesitzer Richard Brandstätter gehörte. Von ihm lernte der Junge sein Handwerk, bevor er zum Militär ging und auf Lehrreise durch Europa. Bei der Gelegenheit kommt auch der Ritt seines Urgroßvaters zur Sprache, der zusammen mit dem Gutsbesitzer Georg Leberecht Crusius nach Versailles ritt. 1796 war das.

Krahnstöver lockert die Erinnerungen Reinhold Hofmanns auf, indem sie die Geschichten der Güter und Parks erzählt, die darin vorkommen. Immerhin spielt die nächstgelegene Stadt Rötha eine nicht unwichtige Rolle in der Kindheit Hofmanns. Aber auch Leipzig kommt drin vor. Die Beziehungen der Stadt zu den Dörfern in ihrem Umfeld waren intensiv. Auch der Gärtnerjunge Hofmann reiste öfter mit Produkten der väterlichen Gärtnerei in die große Stadt. Und zu seiner Mutter, der geborenen Marie Therese Wild, weiß er eine erstaunliche Geschichte zu erzählen, die manchem Leipziger sehr vertraut vorkommen wird.

Denn als junge Frau hatte sie eine kleine Reise durch Dienstverhältnisse bei allerlei gut betuchten und berühmten Leipziger Bürgern hinter sich. Um 1858 war sie wohl als Köchin im Dienst des Bankiers Wilhelm Seyfferth, der seine Tochter Johanna eben in dieser Zeit durch eine unglückliche Liebes- und Heiratsgeschichte verlor. Eine Geschichte, die auch für den Vater so tragisch war, dass er 1858 ein Stück Aueland zum Landschaftspark umgestalten ließ und zur Erinnerung an seine früh verstorbene Tochter Johannapark nannte.Die Köchin, die später die Mutter Reinhold Hofmanns wurde, erinnert sich an die tragische Geschichte natürlich ein bisschen anders. Doch wann erfährt man solche Ereignisse schon einmal aus dem Blickwinkel der Dienstboten? – Der Rittergutsgärtner Hofmann scheint in Rüben einen guten Ruf gehabt zu haben, weil er augenscheinlich sein Handwerk besser beherrschte als manch anderer Schlossgärtner. Man erfährt beiläufig, wie wichtig dazu wohl die Kenntnis der wissenschaftlichen Standards der Zeit und der Arbeit von Gärtnern in anderen europäischen Ländern war. Auch Sohn Reinhold kam ja in seinen Wanderjahren wieder bis Versailles. Und als er 1903 Obergärtner auf Schloss Güldengossa wurde, scheint er die Gutsherrschaft mit seinem Können und seinen Einfällen beeindruckt zu haben.

1921 wurde er dennoch von der vergrätzten Gutsherrin – zusammen mit allem anderen Gesinde – gekündigt und verbrachte den Rest seines Lebens als Pachtgärtner in Oberlößnitz bei Dresden. Schon 1949, als er seine alte Heimat zum letzten Mal besuchte, waren viele der alten Güter, Herrenhäuser und Parks in einem jämmerlichen Zustand. Dass viele von ihnen im Zuge des forcierten Bergbaus verloren gehen würden, war wohl zu ahnen. Rüben und Zehmen sind von der Landkarte verschwunden. Das Schloss Güldengossa hat zum Glück die Zeiten überstanden, hat auch einen neuen Besitzer gefunden, der das Kleinod wieder saniert hat und Teile des Parks wieder herstellen ließ.

Bestellen Sie dieses Buch versandkostenfrei im Online-Shop – gern auch als Geschenk verpackt.

Zwischen Rüben und Güldengossa
Henriette Krahnstöver, Pro Leipzig 2012, 14,00 Euro

So wie sich die Geschichte der Dörfer und Schlösser mit dem Leben Reinhold Hofmanns verschränken, so verschränken sie sich auch in diesem Buch, das Henriette Krahnstöver zusammengestellt hat. Als Gartenarchitektin ist ihr natürlich eine Übersicht wichtig über das, was von der einstigen Garten- und Landschaftskunst heute noch erhalten ist. Sie schiebt die entsprechend informativen Kapitel zwischen die Schilderungen, die sie aus Hofmanns Lebenserinnerungen ausgewählt hat.

Und die Leipziger können so nebenbei einen Teil jener Landschaft wiederentdecken, die vor 60 Jahren unwiederbringlich verloren ging.

www.proleipzig.eu

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar