Sie sind zwar allgegenwärtig in unserem Alltag, doch den Wenigsten ist bewusst, dass die kleinen Rechner in PC, Laptops, Smartphones usw. tatsächlich permanent am Rechnen sind, dass es komplexe Algorithmen sind, die in den teilweise winzigen Speichern immerzu ablaufen. Ohne diese Rechenprozesse wären all die schönen Bildschirmdarstellungen nicht möglich. Und so ganz nebenbei geht jetzt auch noch das Turing-Jahr 2012 zu Ende.

Am 23. Juni 1912 wurde der Logiker, Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Mathison Turing in London geboren, einer der Väter des Computerzeitalters, das aber für die meisten Menschen auf Erden erst viel, viel später begann. Manchem ist Turing zumindest als Computer-Theoretiker bekannt, mancher hat gar schon was von der Turing-Maschine (die keine Maschine ist) oder dem Turing-Test gehört. Wer Stanislaw Lem gelesen hat, hat so eine Ahnung, um welche Gedankenwelten es da geht, wenn man herausfinden will, ob es so etwas wie Künstliche Intelligenz (KI) gibt. Immerhin etwas, was Mancher schon jetzt in den kleinen Rechenmaschinchen vermutet, weil ihm das, was da drin passiert, völlig unbegreiflich ist ist.

Turing hat eines der ersten Schachprogramme für einen Computer geschrieben – per Hand. Die Computer seiner Zeit waren im Grunde erste Dinosaurier mit einer Rechenkapazität, die heute ein Tachenrechner locker überbietet. Und Turing war einer jener englischen Codeknacker, die die Verschlüsselung der deutsche Enigma auflösten. 1954 ist er viel zu früh gestorben und hat so den faszinierenden Aufschwung der Computer, die er und eine Handvoll genialer Mathematiker vorbereitet haben, nicht mehr erlebt. Denn all das, womit die großen Computer- und Internetkonzerne heute ihre Milliarden verdienen, haben Mathematiker wie Turing, Church, Gödel und Rice in den 1930er Jahren rechnerisch vorbereitet. Und wer sich im Hochschulstudium tatsächlich ernsthaft mit Informatik beschäftigt, der begegnet diesen Leuten, ihren Theorien, Thesen und Modellen.

Und natürlich all den Fragestellungen, die sichtbar machen, wie sehr die Mathematik tatsächlich Grundlage unseres Denkens ist. Gerade in Bereichen, in denen Problemstellungen komplexer werden und auf einmal Fragestellungen zur Berechenbarkeit von Prozessen in den Vordergrund treten. Im Grunde die Ur-Frage: Was passiert, wenn Algorithmen nicht lösbar sind? Rechnet dann die Maschine bis in alle Ewigkeit? – Und was passiert, wenn es für bestimmte Problemstellungen keine klaren Antworten von “Ja” oder “Nein”, 0 oder 1 gibt? Wenn ein Problem – was ja ganz menschlich ist – nur “semi-entscheidbar” ist? Generationen von SF-Schriftstellern hatten ja bislang schon ihren Spaß, Computer an so einem “Vielleicht” scheitern zu lassen.
Womit sie natürlich auch zeigten, dass sie nicht einmal die Grundlagen der Informatik wahrgenommen hatten. Denn all die Dinge, mit denen sich heute Programmierer herumschlagen, haben die oben genannten Burschen schon durchdacht, bevor auch nur der erste Computer konstruiert war. Bis hin zur Fragestellung: Wie bekommt man heraus, ob ein Problem überhaupt mit einem verfügbaren Algorithmus berechenbar ist? Und was tut die Rechenmaschine, wenn sie es tatsächlich mit einem unlösbaren Problem zu tun bekommt? Wie “merkt” sie das? Oder taucht sie einfach in eine Dauerschleife ab und rechnet, dass alle Prozessoren blockiert sind?

Aber die Maschine muss doch irgendwo anhalten und melden, dass sie ein Berechenbarkeitsproblem hat?

Für Menschen gibt es da kein Problem, einfach hin und her zu schalten zwischen der Berechenbarkeit einer Sache und der Entscheidbarkeit – na gut, für eine Vielzahl der Menschen ist das so. Einige ignorieren Rechenergebnisse einfach und entscheiden dann frei Nase. Mit entsprechenden Folgen. Manchmal stürzt dann eben ein Tunnel ein.

Was übrigens anklingt, wenn Christian Wagenknecht hier recht anschaulich und mit vielen Übungen gespickt erläutert, welche theoretischen Probleme gelöst oder zumindest so weit wie möglich durchdacht werden mussten, bevor überhaupt die erste Maschine gebaut werden konnte, die Probleme rechnerisch lösen kann. Das Level ist schon etwas höher – im Grunde ist das Buch als Einsteiger- und Übungsbuch für Masterstudenten gedacht. Aber wie unsereins die Welt kennt, gibt es auch pfiffige Kerlchen im Schulalter (und auch ältere Knobler), die mit Faszination in diese Welt eintauchen.

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So nebenbei bekommt man ein Bild davon, welche komplexen Modellberechnungen uns mit diesen Maschinchen längst möglich sind. Bis hin zu den Möglichkeiten, die Modelle auf ihre Berechenbarkeit hin zu prüfen. Mittlerweile werden ja solche komplexen Modelle selbst zur Berechnung von Klimavorausschauen und andern wirklich komplexen Systemen angewendet. Aber einige Übungsbeispiele zeigen, dass man das Ganze auch für so etwas Simples wie die Berechnung von Warenströmen nutzen kann. Im Grunde für alle Verteil- und Austauschprozesse der menschlichen Gesellschaften. Die moderne Welt erscheint nur denen komplex, die solche Prozesse nicht denken, also auch nicht programmieren können.

Und es erstaunt im Jahr 2012 schon, dass Finanzminister, Wirtschaftsminister, Umweltminister sich benehmen wie 1950 bei einer Kneipensause – man befragt irgendwelche “Wirtschaftsweisen”, was sie glauben, wie es weitergeht. Aber man hat nicht mal eine eigene Forschungsabteilung, die auch nur die simpelsten Verteilungsprozesse der Gesellschaft modelliert.

Etliches von dem, was den verwunderten Bürgern immer wieder als politische Fehlentscheidung sichtbar wird, ist derart undurchdacht – von der Senkung des Rentenbeitragsatzes über die Wursteleien an den EEG-Gebühren bis zur Praxisgebühr oder dem Elterngeld. Fast wartet man mal auf das Buch eines nüchternen Mathematikers, der einfach mal ausrechnet, wie die simplen Geldströme im Land laufen – und zu Fehlentwicklungen führen. Aber wie man selbst bei simplen Übertragungen aus den Parlamenten sehen kann: Die meisten Politiker betrachten die hübschen Rechenmaschinchen nur als Spielzeug, daddeln während der Diskussion vor sich hin. Sie nehmen die Möglichkeiten der Computertechnik gar nicht mehr wahr.

Manche hüten sich vor diesen Möglichkeiten auch wie der Teufel vorm Weihwasser, denn das, was sie öffentlich behaupten, würde zumeist schon von den simpelsten Rechenprogrammen widerlegt.

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EAGLE-STARTHILFE
Berechenbarkeitstheorie

Christian Wagenknech, Edition am Gutenbergplatz Leipzig 2012, 14,50 Euro

Vielleicht tun sich Informatikprofessoren wie Christian Wagenknecht einfach mal zusammen und gründen irgendwann eine Plattform, auf der sie die heiklen politischen Entscheidungen einfach mal öffentlich durchrechnen. Dann könnte es sein, dass sich gerade die Politiker, die sich so gern als Deregulatoren und Sparmeister definieren, als Geldverschwender und Prozessstörer entpuppen.

Die Rechner sind vorhanden, die nötigen Modelle auch. Aber vielleicht stimmt ja die Ahnung, dass kein Politiker den Mumm aufbringen wird, die ach so geniale Politik mal mit mathematischen Methoden nachzurechnen. Die Ergebnisse könnten sehr erhellend sein.

Alan Turing auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Alan_Turing
https://eagle-leipzig.de/059-wagenknecht.htms

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