Macht das moderne Arbeitsleben krank? Macht es insbesondere im Osten die Arbeitenden kränker als im Westen? Auf so einen Gedanken könnte man kommen, wenn man die jüngste Auswertung der DAK zum Krankenstand in Sachsen liest: Der Krankenstand in Sachsen erreichte im vergangenen Jahr mit 4,6 Prozent den höchsten Wert seit 16 Jahren.

Nach den Zahlen des jüngsten DAK-Gesundheitsreports fehlten Frauen häufiger im Job als Männer. Ihr Krankenstand lag im vergangenen Jahr 18 Prozent höher. Die Studie zeigt auch, dass Frauen und Männer anders krank sind: In Sachsen haben Frauen mehr als doppelt so viele Fehltage bei psychischen Erkrankungen, Männer 63 Prozent mehr bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Für die repräsentative Studie wertete das IGES Institut die Fehlzeiten aller erwerbstätigen DAK-Mitglieder in Sachsen aus.

Der höchste Krankenstand seit 16 Jahren bedeutet, dass 2015 von 1.000 Erwerbstätigen durchschnittlich pro Tag 46 krankgeschrieben waren. Für die meisten Ausfalltage waren mit 21 Prozent die sogenannten Muskel-Skelett-Erkrankungen wie etwa Rückenleiden verantwortlich. Auf Platz zwei folgten die Atemwegserkrankungen mit 17,8 Prozent. Und da wird die Statistik sofort sehr speziell. Denn mit solchen Atemwegserkrankungen gehen vor allem Frauen zum Arzt.

Und gezählt wird von der Krankenkasse eben nur, was auch vom Arzt ins System eingegeben wurde.

Und 2015 war eben auch ein Grippejahr: Hier gab es durch eine starke Erkältungswelle einen Anstieg um ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr.

Frauen gingen zwar häufiger mit Erkältungssymptomen zum Arzt. Aber das heißt nicht, dass sie häufiger erkältet waren. Denn Männer geben deutlich häufiger an, dass sie seltener zum Arzt gehen. Was übrigens alle Krankheitsbilder betrifft. Dazu kommt, dass Frauen in Sachsen deutlich häufiger in Berufen mit starkem Sozialkontakt arbeiten (Bildung, Pflege, Handel usw.), wo die Ansteckungsgefahr höher ist. Und dazu kommt: Sie lassen sich auch häufiger krankschreiben, wenn das Kind krank ist und der Pflege bedarf.

Die Zahlen für 2015 erzählen also eher nicht von einer krank machenden Arbeitswelt. Eher davon, dass mehr Sachsen in Arbeit sind und im Krankheitsfall doch lieber zum Arzt gehen.

Und so zeigt der Blick auf die Fehlzeiten von Frauen und Männern: Frauen fehlen häufiger, fallen aber kürzer aus. Ein Erkrankungsfall dauert bei ihnen im Durchschnitt 11,9 Tage, bei den Männer 12,5. Insgesamt ist ihr Krankenstand um 18 Prozent höher: Von 1.000 erwerbstätigen Frauen fehlten 2015 im Durchschnitt pro Tag 50 bei der Arbeit, bei Männern waren es nur 43.

Der starke Leistungsdruck im Erwerbsleben macht sich dann eher bei der Art der verzeichneten Krankheitsbilder bemerkbar: Erwerbstätige Männer in Sachsen leiden häufiger als Frauen unter Herz-Kreislauf-Problemen (+ 63 Prozent mehr Fehltage) und sind öfter von Verletzungen betroffen (+ 60 Prozent mehr Fehltage). Frauen in Sachsen haben hingegen mehr als doppelt so viele Fehltage wegen psychischer Erkrankungen (+ 117 Prozent) und ein Viertel mehr Ausfall wegen Krebsleiden (+ 27 Prozent) – was durch das vergleichsweise frühe Auftreten von Brustkrebs bedingt ist.

„Betroffene Frauen stehen oft noch voll im Erwerbsleben“, erklärt Enenkel. Die häufigste Krebserkrankung bei Männern, der Prostatakrebs, trete hingegen erst im höheren Alter auf – meist ab etwa 60 Jahren. „Diese Krebsfälle bei den Männern werden von unserer Statistik, die sich ausschließlich auf Erwerbstätige bezieht, nicht erfasst“, erklärt Christine Enenkel, Chefin des DAK-Kundenmanagements in Sachsen.

Ein Teil des Unterschieds bei den Fehltagen lässt sich durch den unterschiedlichen Umgang von Männern und Frauen mit Krankheit erklären. Berufstätige Männer in Sachsen besuchen im Durchschnitt nur vier Mal pro Jahr einen Arzt. Berufstätige Frauen hingegen sind etwa sieben Mal in ärztlicher Behandlung.

„Selbst wenn man Vorsorgeuntersuchungen und schwangerschaftsbedingte Behandlungen nicht einrechnet, sind Männer weitaus seltener beim Arzt. Sie sind womöglich aber genauso oft krank wie Frauen“, so Enenkel.

Frauen haben zudem einen großen Anteil bei der Betreuung kranker Kinder: Sind Kinder im Haushalt, sagt mehr als jede vierte Frau (27 Prozent), dass sie sich 2015 bei einer Erkrankung des Kindes selbst krank gemeldet hat, weil sie sich nicht anders zu helfen wusste. Bei den Männern waren es nur 17,5 Prozent. Wenn sie selbst krank sind, schleppen sich jedoch manche Frauen trotzdem zur Arbeit. Obwohl Frauen den höheren Krankenstand haben, neigen sie zu einer gewissen Anwesenheitspflicht: 67 Prozent der Frauen in Sachsen gaben an, mindestens einmal im Jahr krank zur Arbeit gegangen zu sein. Bei den Männern waren es 62 Prozent. Als Hauptgrund wurde von Frauen genannt, dass sie Kollegen nicht hängen lassen wollten (86,5 Prozent).

Die Branche mit dem höchsten Krankenstand in Sachsen war 2015 mit fünf Prozent die Branche Verkehr, Lagerei und Kurierdienste. Auch im verarbeitenden Gewerbe (4,9 Prozent) und im Gesundheitswesen (4,8 Prozent) lag der Krankenstand deutlich über dem Durchschnitt. Den niedrigsten Krankenstand hatte der Wirtschaftszweig Bildung, Kultur und Medien mit 3,7 Prozent.

Zwar zeigt der Krankenstand mit 4,6 Prozent 2015 einen Höchststand an. Aber wenn man den Faktor der starken Erkältungswelle herausnimmt, ist das Niveau in Sachsen seit 2009 mit 4,1 bis 4,4 Prozent relativ stabil. Damit liegt Sachsen freilich seit Jahren auf einem mittleren Platz im Bundesländervergleich – zwischen 3,5 Prozent in Baden-Württemberg und 5,2 Prozent in Brandenburg. Es sieht also ganz so aus, als ob das Arbeitsleben im Osten ein wenig stressiger ist als das im Süden der Republik.

In eigener Sache

Jetzt bis 13. Mai (23:59 Uhr) für 49,50 Euro im Jahr die L-IZ.de & die LEIPZIGER ZEITUNG zusammen abonnieren, Prämien, wie zB. T-Shirts von den „Hooligans Gegen Satzbau“, Schwarwels neues Karikaturenbuch & den Film „Leipzig von oben“ oder den Krimi „Trauma“ aus dem fhl Verlag abstauben. Einige Argumente, um Unterstützer von lokalem Journalismus zu werden, gibt es hier.

Überzeugt? Dann hier lang zu einem Abo …

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar