Im Grunde war das, was das Sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen am Donnerstag, 20. Oktober, feststellte, eine Ohrfeige für den sächsischen Obrigkeitsstaat. Auch wenn es diesmal „nur“ um die Bildungsempfehlung ging und die simple Feststellung, dass es die Eltern sind, die entscheiden dürfen, ob ihr Kind nun aufs Gymnasium geht oder nicht. Einschränken lässt sich das Recht nur vom Gesetzgeber, nicht von der Ministerin.

Deswegen heißt das Ding eben auch Bildungsempfehlung. Sie soll eine Orientierung für die Eltern sein, ob ihr Kind die Leistungsvoraussetzungen fürs Gymnasium erfüllt. Aber das Staatsministerium für Kultus hat diesen Entscheidungsspielraum für die Eltern extrem beschnitten, als es die Empfehlung zur zwingenden Vorraussetzung für den Gymnasiums-Besuch machte, festgelegt in der Schulordnung für das Gymnasium. So geht das nicht, hatte schon das Dresdner Verwaltungsgericht festgestellt. Und dem folgt auch das Oberverwaltungsgericht: Einschränkungen für den Zugang kann nur der Gesetzgeber – also der Sächsische Landtag  – erlassen.

„Wir begrüßen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Bautzen. Wir erwarten, dass die Kultusministerin anstatt jetzt erneut in die Berufung zu gehen, endlich gesetzliche Grundlagen schafft, die der Verfassung entsprechen“, kommentierte das gleich am Freitag, 21. Oktober, Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. „Es kann nicht sein, dass es Gerichte übernehmen müssen, Schulpolitik zu machen. Die lange Aufgaben-Liste von Kultusministerin Kurth (CDU) ist damit noch länger geworden.“

Denn der Umgang mit der Bildungsempfehlung spiegelt ja im Grunde nur alle anderen Arbeitsverweigerungen im Kultusministerium. Hätten sächsische Eltern das Recht, ihre Kinder auch in anderen Bundesländern zur Schule zu geben, würde sich der Pendlerverkehr über sächsische Landesgrenzen wahrscheinlich vervielfachen. Es gibt derzeit kein Bundesland, das derart lumpig mit seinen Schülern und Lehrern umgeht wie Sachsen. Und das so felsenfest daran glaubt, dass man mit feudalen Anordnungen ein vorbildliches Bildungssystem bekommt.

Den Glauben, dass man so weitermachen kann bis zum Sankt Nimmerleinstag, hat jedenfalls der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages, Lothar Bienst, nicht aufgegeben: „Die Bildungsempfehlung ist ein bewährtes Instrument zur Orientierung für die Eltern, was den künftigen Bildungsweg ihrer Kinder angeht. Das stellt das Gericht auch nicht infrage! Im Gegenteil: Es erhöht die Bedeutung, da es jetzt dem Parlament die Aufgabe überträgt, die Kriterien in einem Gesetz festzulegen, statt bisher in einer ministeriellen Verordnung. Die CDU-Fraktion wird im Rahmen der Novelle des Schulgesetzes sich dieser Aufgabe stellen.“

Die Bildungsempfehlung sei gut für die Schüler, meint er.

„Die Zugangsreglung zum Gymnasium hilft Kindern und Eltern, den richtigen Bildungsweg einzuschlagen. Lehrer gehen sehr verantwortungsvoll mit dieser Aufgabe um. Das zeigt sich letztlich auch an den Ergebnissen von verschiedenen Leistungsvergleichen“, so Bienst. Bayern und Sachsen hätten als einzige Bundesländer eine verbindliche Regelung des Zuganges zum Gymnasium und belegten regelmäßig Spitzenplätze.

Welche Leistungsvergleiche eigentlich?

Was nur zur Hälfte stimmt, denn die Leistungsvergleiche, auf die Bienst abzielt, umfassen ebenso Ober- und Grundschulen. Und der letzte liegt mittlerweile vier Jahre zurück, ist also nicht mehr aussagekräftig. Und ob die Bildungsempfehlung eine bessere Erfolgsquote sichert, hat noch niemand untersucht. Sie schafft lediglich ein starres Korsett, das nicht im geringsten die Potenziale des beurteilten Kindes abbildet.

Die Bildungsempfehlung für das Gymnasium „wird nach der Schulordnung für die Grundschulen erteilt, wenn der Notendurchschnitt in den Fächern Deutsch, Mathematik und Sachunterricht in der Halbjahresinformation oder dem Jahreszeugnis der Klassenstufe 4 der Grundschule 2,0 oder besser ist und zu erwarten ist, dass der Schüler den Anforderungen des Gymnasiums entsprechen wird“, wie das OVG Bautzen formuliert. Das ist viel zu starr, hatte das Gericht angemahnt: „Das Kriterium der Eignung für das Gymnasium nach Begabung und Leistung kann sich nach unterschiedlichen inhaltlichen Anforderungen und Voraussetzungen richten. Diese zu benennen ist in erster Linie Sache des parlamentarischen Gesetzgebers.“

Es ist also nicht nur eine Anmaßung der Kultusministerin, die Zugangskriterien in Eigenregie festzulegen, es ist auch nicht zumutbar, dass sie sich auf so ein enges Bewertungsmuster reduzieren.

Selbst die CDU wünscht sich eine bessere Oberschule – aber von wem?

Aber für Lothar Bienst brechen gleich alle Dämme: „Sachsens Oberschulen sind eine gute Alternative zum Gymnasium. Ein Verzicht auf die bisherige Bildungsempfehlung mit einem daraus resultierenden Ansturm auf Gymnasien würde beide Schularten schwächen“, warnt der CDU-Bildungspolitiker. Man müsse das Image der Oberschulen weiter aufwerten, um bei Eltern für Vertrauen in diesen Bildungsweg zu werben.

Tja, sagt man da als langjähriger Beobachter: Warum macht das dann eigentlich die regierende CDU nicht einfach?

Die Gründe benennt Sabine Friedel, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Die SPD ist nicht nur mit dem Umgang der CDU mit Fremdenfeindlichkeit und Polizei in Sachsen unzufrieden, sondern auch mit der Schulpolitik. Und das hat – auch wenn es einige Zeitungen erst jetzt meinen mitkriegen zu müssen – nicht erst mit der lauten Kritik des sächsischen SPD-Vorsitzenden Martin Dulig vorm SPD-Parteitag am 22. Oktober zu tun. Diese Kritik hat die SPD schon im Sommer vorgebracht, als Brunhild Kurth (CDU) die Sache mit dem neuen Schulgesetz völlig in den Sand setzte.

„Der Beschluss des OVG bestärkt uns in unserer Auffassung, dass dem Elternrecht in Sachsen nicht Genüge getan wird. Das neue Schulgesetz muss eine klügere Antwort als die bisherige Verwaltungsvorschrift finden“, sagt Sabine Friedel. „In den meisten Bundesländern sind es allein die Eltern, die die Entscheidung über den weiteren Schulweg treffen. Mehr als 80 Prozent folgen der Empfehlung. So rigide wie Sachsen ist nur noch der Freistaat Bayern. Wir wollen eine Neuregelung im neuen Schulgesetz. Wir wollen das Recht der Eltern und der Schüler stärken. Die Empfehlung muss eine Empfehlung werden, sie kann keine Festlegung mehr sein. Wir möchten, dass für jeden Schüler die richtige Schulart gefunden wird.“

Längeres gemeinsames Lernen

Und dann kommt sie auf das Eingemachte zu sprechen, das, wogegen sich die auf eine elitäre Auslese fixierte CDU seit 25 Jahren wehrt: ein längeres gemeinsames Lernen der Kinder. Denn in der vierten Klasse kann auch der beste Lehrer nicht beurteilen, was wirklich in dem Kind steckt.

„Am vernünftigsten wäre es, die Entscheidung später zu treffen, nach der 6. oder 8. Klasse. Das aber ist zurzeit nicht mehrheitsfähig“, stellt Sabine Friedel seufzend fest. Sie sieht aber einen Hoffnungsschimmer: „Der eigentliche Auftrag aus dem Beschluss lautet daher: Die Oberschule muss gestärkt werden! Mehr vollausgebildete und besser bezahlte Lehrer, mehr Sachmittel, kleinere Klassen und bessere Lehrpläne. Wenn die Oberschule mindestens so attraktive Lernbedingungen wie das Gymnasium bietet, werden Sachsens Eltern frei und vernünftig entscheiden – und wirklich die beste Wahl für ihr Kind treffen.“

Und wie nun weiter? Denn bei dem Tempo, mit dem die Staatsregierung neue, zustimmungsfähige Gesetze entwirft, kann es Jahre dauern, bis das Schulgesetz überhaupt mal spruchreif wird. Einfach wirklich mal die Eltern entscheiden lassen, findet Friedel. Sie haben ja mit der Bildungsempfehlung eine Richtschnur. Und eigentlich ist es reiner vormundschaftlicher Staat, wenn sich die Kultusbürokratie anmaßt, ihnen diese Entscheidung abnehmen zu wollen.

Friedel: „Das OVG hat mit seinem Beschluss die Regelung der Schulordnung für das Gymnasium (VwV SOGYA) für rechtswidrig erklärt. Das Kultusministerium ist daher aufgefordert, für einen Übergangszeitraum bis zum Inkrafttreten des neuen Schulgesetzes eine neue Regelung in der Schulordnung zu treffen. Aus unserer Sicht wäre die beste und pragmatischste Lösung, die Bildungsempfehlung vorerst beizubehalten und den Elternwillen entscheiden zu lassen.“

Medieninformation des Oberverwaltungsgerichtes.

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