Manchmal hat man den Eindruck, Leipzigs Verwaltung spiegelt immer nur die Behäbigkeit der Leipziger selbst wieder, wenn sie Projekte und Weichenstellungen auf die lange Bank schiebt. Die Schnecke ist also nicht nur das Wappentier des Neuen Rathauses, sondern das einer Stadtbevölkerung, die kurzerhand beschlossen hat, die Zukunft zu vertagen. Auf irgendeinen Tag weit nach unserer Zeit. Beispiel: Verkehr.

Dass der Verkehr in Leipzig umweltfreundlicher werden muss, ist seit Jahren bekannt. Deswegen wird ja auch der heiß umstrittene „Modal Split“ ermittelt, jener Wert, der anzeigt, welchen Anteil von Wegen die Leipziger mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. 2015 kochte das Thema wieder hoch, als der Stadtrat wieder den Stadtentwicklungsplan (STEP) „Verkehr und öffentlicher Raum“ diskutierte und insbesondere die CDU-Fraktion sich gegen eine Erhöhung des ÖPNV-Anteils auf 25 Prozent wehrte. Am Ende einigte man sich auf 23 Prozent.

Aber tatsächlich ist der Wert genauso ambitioniert. Carsten Schulze vom Fahrgastverband Pro Bahn hat es ja vorgerechnet: Um von derzeit 16 Prozent auf 23 Prozent zu kommen, müssten sich die Fahrgastzahlen von 140 auf 260 Millionen erhöhen. Da muss man nicht lange nachdenken, um zu sehen, dass dafür das Strecken- und Haltestellennetz verdichtet werden muss und deutlich mehr (große) Straßenbahnen rollen müssen. Das ist ein riesiges Investitionsprogramm, das deutlich über das hinausgeht, was die LVB derzeit einsetzen können.

Unser Tipp: mindestens 500 Millionen Euro extra in den nächsten zehn Jahren.

Wer die Zahl widerlegen kann, darf sich ruhig melden.

Aber mit einiger Sicherheit wird so eine Zahl auch im Nahverkehrsplan auftauchen, den Stadt, LVB und Stadtrat ab 2017 diskutieren.

Und wer da kneift, der hat nicht begriffen, was da auf Leipzig zukommt.

Denn hinter dem Zwang, mehr umweltfreundlichen Verkehr zu ermöglichen, steht auch ein Zeitenwechsel, der schlicht darin bestehen wird, dass dem Motorisierten Individualverkehr der Saft ausgehen wird.

„Peak Oil“ nennt sich das. Das ist – etwas zugespitzt – der Tag, an dem die Welt-Erdölförderung den steigenden Bedarf nicht mehr abdecken kann. Eigentlich ist es der Tag, an dem die maximale Erdölförderungsmenge erreicht ist. Theoretisch geht man davon aus, dass die Fördermenge danach rapide abfällt. Aber tatsächlich sorgen dann echte Umweltzerstörungen wie Tiefseebohrungen, Fracking oder der Abbau von Ölsanden dafür, dass kurzfristig doch noch einmal mehr Öl „produziert“ wird. Die Maximalfördermenge war eigentlich im Jahr 2006 erreicht. Danach aber brach, wie man weiß, die große Finanzkrise aus und hat damit auch den Ölverbrauch weltweit gesenkt – was dann wieder die Preise sinken ließ.

Seitdem bewegt sich die Ölförderung auf einem Plateau, werden aber auch weitere große Ölspeicher immer mehr leer gepumpt.

Der Tag, an dem die Ölförderung einbricht, kommt also trotzdem. Etwas später als erwartet. Und die Krux ist: Die komplette Weltwirtschaft ist auf Öl aufgebaut. Wenn dieser Tag kommt, wird es nicht nur zu einer drastischen Verteuerung auch von Benzin und Diesel kommen – beides wird auch immer knapper. Das ist der Tag, an dem die Millionenflotten von Pkw auf einmal zu teuer sind, sie weiter zu betreiben.

Und vorbereitet sind tatsächlich nur Städte und Länder, die ihren ÖPNV auf diesen Tag vorbereitet haben.

Nur mal so als Feststellung: Weder Sachsen noch Thüringen sind auf den Tag vorbereitet, wie jüngst erst das Dresdner Büro für postfossile Regionalentwicklung feststellte, Dresden und Leipzig übrigens auch nicht.

Das ist dann der Tag, an dem niemand mehr in Leipzig über 40 Prozent Pkw-Anteil an den Verkehrsarten reden wird. Auch nicht über 35 oder 30, was der CDU schon viel zu wenig ist. Das ist der Tag, an dem sich herausstellen wird, dass das Leipziger Straßenbahnnetz nicht genügt. Und dass auch die Anträge aller Ratsfraktionen zur Finanzierung der LVB zu niedrig waren. 3 Millionen Zuschlag ab 2018 haben Grüne und Linke gemeinsam beantragt. Die SPD zögert noch, sich zu positionieren.

Sollen wir jetzt lauter Wecker verschenken, damit alle wach werden?

60 Millionen, hat der Ökolöwe gefordert, sind das, was die LVB jetzt brauchen. Also nicht 3, sondern 15 Millionen Euro mehr. Und zwar nur, um das augenblickliche Geschäft weiterbetreiben zu können. Da ist kein Wachstum im „Modal Split“ eingepreist. Bestenfalls das normale Bevölkerungswachstum.

Grüne, SPD und Linke haben alle diverse kleinteilige Anträge gestellt, um das LVB-Angebot zu sichern oder punktuell zu verbessern.

Ein Beispiel aus der Antragsliste der Linken zum Doppelhaushalt 2017/2018: „Die Mittel für den städtischen Anteil an LVB-Baumaßnahmen (PSP 1.70000655 Stadtanteil LVB-Vorhaben) werden um 1,5 Mio. € für das HH-Jahr 2018 erhöht. Außerdem wird für das HH-Jahr 2019 die Verpflichtungsermächtigung auf insgesamt 1,8 Mio. € erhöht.“

Das begründet die Linksfraktion so: „In den nächsten Jahren planen die Leipziger Verkehrsbetriebe umfangreiche Baumaßnahmen. Diese Baumaßnahmen sollen u. a. die Attraktivität des ÖPNV steigern, da z. B. behindertengerechte Haltestellen entstehen oder die Fahrtzeit verkürzt wird. Die meisten LVB-Gleisbaumaßnahmen sind jedoch nur sinnvoll, wenn ein gleichzeitiges Bauen der restlichen Verkehrsanlagen durch die Stadt erfolgt. Nur dann ist es möglich, die Belastung der VerkehrsteilnehmerInnen so gering wie möglich zu halten. Außerdem können nur so auch sinnvolle Anpassungen an der Aufteilung des Verkehrsraumes umgesetzt werden, welche für den Ausbau von behindertengerechten Haltestellen meist zwingend nötig sind. Zudem führt ein Bauen im Bestand oder ein Erneuern von Gleisanlagen ohne Anpassungen des Umfeldes in der Regel dazu, dass keine Fördermittel zur Verfügung stehen. Die derzeitig im städtischen Haushalt eingestellten Mittel sind nicht ausreichend, um Baumaßnahmen wie z. B. Bornaische Straße (Wiedebachplatz bis Ecksteinstraße), Hallesche Straße (Haltestelle Stahmeln) und Haltestelle Adler zeitnah gemeinsam mit der LVB umzusetzen.“

Ein Thema, das auch die SPD-Fraktion aufregt, denn weil die Stadt keinen Planungsvorlauf hat, kommt es immer wieder zu völlig sinnlosen Verzögerungen bei Baumaßnahmen, die die LVB mit Stadtwerken und Wasserwerken längst abgestimmt haben.

Auch die SPD-Fraktion nennt den überfälligen Umbau der Bornaischen Straße zwischen Wiedebachplatz und Ecksteinstraße als Beispiel, aber auch die Rosa-Luxemburg-Straße und den überfälligen Umbau der Kreuzung am Adler.

Und dann schauen die Stadträte in die Haushaltsplanung und sind entsetzt – wie die SPD-Fraktion: „Im Rahmen der Haushaltsplanung bei der Stadt Leipzig sind für die Jahre 2019 deutlich weniger Mittel als heute als Eckwerte des Verkehrs- und Tiefbauamtes eingestellt. Während für die Jahre bis 2018 ca. 15 bis 16 Millionen Euro vorgesehen sind, nehmen die Mittel bis 2021 auf unter 6 Millionen Euro ab.“

Das hatten auch die Grünen schon mit demselben Entsetzen gelesen und vorsorglich ab 2019 zusätzlich 7 Millionen Euro beantragt. Es geht um Schulen, Kitas, Straßen, Brücken. Der Investitionsbedarf erhöht sich eher.

Und schon im Doppelhaushalt 2017/2018 sind eigentlich zu wenig Gelder angesetzt, findet die SPD. Man ist ja beim Schulhausbau regelrecht mit der Nase drauf gestoßen worden, dass die Planer der Stadt nicht mehr hinterherkommen. Und das trifft eben auch auf alle Straßenbaumaßnahmen zu, an denen die LVB beteiligt sind.

Deswegen beantragt die SPD-Fraktion für 2017 und 2018 jeweils 1,5 Millionen Euro mehr, damit nicht immer wieder Baumaßnahmen verschoben werden müssen, bloß weil die Stadt mit den Planungen nicht nachkommt.

Das ist noch nicht das, was nottäte. Aber die Botschaft ist in einigen Ratsfraktionen angekommen, dass dieses Planen auf Kante, das die Stadt in Sachen Verkehr seit Jahren betreibt, so nicht gutgehen kann.

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Der Haltestellenumbau am Adler mag wichtig sein. Wesentlich wichtiger ist jedoch die Haltestelle Köhlerstraße: Dort fahren viele Bus- und Straßenbahnlinien, viele Menschen nutzen die Haltestelle als Umsteigepunkt und von behindertengerecht kann hier überhaupt nicht die Rede sein!
Bei den Kriterien für eine Prioritätenliste der umzubauenden Haltestellen sollte unbedingt auch die Anzahl der Personen eine Rolle spielen, die jeweils ein- und aussteigen. Nicht nur die Nennung in diversen Stadtratsanträgen.

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