Vom unvergesslichen Joachim Fuchsberger konnte man viel lernen. Sogar, dass es möglich ist, sich mit Würde und Humor auf das eigene Ende vorzubereiten, ohne sich – wie manch anderer Prominenter – in skurril zusammengebastelten Religionen-Patchworks  zu verlieren. So wusste Blacky herzerfrischend klar in einem Interview zum Thema „Tod und Wiedergeburt“ für sich zusammenzufassen: „Ich lehne es völlig ab, als Kakerlake wiedergeboren zu werden, damit Rainer Langhans mich im Dschungelcamp auffrisst.“ Man kann nicht sagen, dass man ihn dafür weniger zu lieben bereit war.

Dabei hätte Fuchsberger, der den Justus, den besonnenen Internatsrektor mit dem Herz auf dem richtigen Fleck in der Siebziger-Jahre-Verfilmung des „Fliegenden Klassenzimmers“ verkörperte, wie man sich ihn nur je wünschen konnte, allen Grund gehabt – zu Gram, Verbitterung und Seltsamwerdung.

Als sein Sohn Thomas mit 53 Jahren das Leben verlor, muss er sich – selbst in hohem Alter – mit einem Schicksalsschlag konfrontiert gesehen haben, der wohl jedes Ausmaß menschlichen Leids ausschöpft.

Bedenken wir: Wir alle haben vor gar nicht langer Zeit ein Kind verloren. Jenes Kind, das am Strand lag. Wir alle haben es gesehen, das Pressebild von dem kleinen toten syrischen Jungen, irgendwo an ein türkisches Gestade gespült. Überall im Netz tauchte es auf.
Manche stritten sich über dieses Foto und zeigten damit nichts anderes als unsere abgrundtiefe Hilflosigkeit, obwohl wir Menschen im Jahr 2015 doch manchmal recht selbstbewusst sagten: „Also, vor meinem doppelten Chai Latte um 9 Uhr in meinem süßen Lieblingscafe geht bei mir gar nichts!“ oder uns um grandiose Erfindungen wie Selfie-Sticks kümmern.

Wir wussten schon nicht mal mehr, ob das Zeigen solcher Fotos würdelos ist oder nicht. Was bleibt, ist ein großes Fragezeichen.
Können wir einander nicht einfach weinend eingestehen, dass JEDES Kind, das stirbt, eine Tragödie ist, ein Abgesang an die menschliche Zuversicht?

Mit jedem Kind stirbt doch Unschuld. Stirbt Hoffnung. Stirbt Phantasie. Stirbt Liebe. Stirbt ein Mensch, der nichts anderes im Kopf hat als den Gedanken, wie man am besten und schnellsten zu einem eigenen Hundebaby kommt. Oder wenigstens zu einem Meerschweinchen. Ein einziges Kind nur, das VOR seinen Eltern von dieser Welt geht, nimmt eine Lawine an Zuversicht und Unschuld mit sich. Zuversicht, die wir so sehr bräuchten.

Schon immer. Und gerade jetzt.

Diese Zuversicht in die Zukunft kann man sich nicht von Berufsgruppen wie Politikern oder deren besten Freunden einreden lassen. Diese Menschen predigen Zuversicht, weil sie so weitermachen wollen wie bisher. Obwohl dieses „Machen“ unzähligen Menschen die Zuversicht genommen hat. Vielen davon sogar die Lebensgrundlage.

Zuversicht generiert sich aus vielerlei Geflecht: aus den eigenen Kindern, die man mit Liebe aufzuziehen sucht, aus Vertrauen in den Menschen an sich, aus Selbstliebe auch.

Und trotzdem verlieren wir uns auf der Bühne des Lebens so oft – durch viel zu viele Regie-Anweisungen, die viel zu diffus und widersprüchlich daherkommen, als dass wir noch Klarheit über das wirklich Wichtige im Leben behielten. Trauen uns nicht, unseren eigenen Weg zu gehen, arbeiten zu viel, wagen uns keine Zwischenrufe, wie großartig wir den anderen finden, erlauben uns nicht, glücklich zu sein.

Wir brauchen offensichtlich Leidensdruck. Die harte Tour.

Aber sollte wirklich erst ein totes Kind dazu dienen müssen, sich selber zu befragen, ob man alles richtig macht in diesem Leben? Wo man doch weiß, dass man eine Menge falsch macht, wenn man sich von Schwachköpfen dazu nötigen lässt, Bürokratie, Sicherheitsdenken und Karrierevisionen zu zelebrieren, und dadurch nicht mehr genug Kraft hat, sich auf den anderen einzulassen?

Wir spielen das richtige Stück, wenn wir dieses ganze Drumherum ein wenig auslachen. Es reicht doch zu wollen, dass Kinder leben und phantasieren. Dass Erwachsene tagsüber etwas tun können, das ihnen entspricht und dass sie am Nachmittag in Garten sitzen können und lesen. Oder sonst was.

Dass sie Natur genießen und sie deshalb schützen. Dass sie Kunst genießen und sie deshalb fördern. Vor allem aber, dass sie nie aufhören, das Unmögliche zu versuchen: Die Antennen zum anderen auf Empfang halten.

Ich glaube, wir sollten keine Prozesse mehr optimieren, sondern uns.

Dass wir die Notwendigkeit erkennen, einander VOR dem Ableben die Liebe zu erklären, Dank zu sagen und mit wohlgesetzten Worten zu umreißen  – ganz so als könnten Form und Formvollendung etwas ändern am körperlichen Verfall  – wie sehr man das Leben MIT dem oder DURCH einen anderen genießt.

Dass wir dem Mitmenschen Gelegenheit geben, den eigenen Nachrufen sein eigenes Fazit entgegenzurufen? Und vor allem, ihm zu verstehen zu geben, dass sein  Auftritt hier auf der Welt keineswegs – wie in schwachen Minuten vielleicht manchmal angezweifelt – umsonst gewesen war? Wäre das nicht eine begrüßenswerte Gepflogenheit?

Denn Fakt bleibt: Der letzte Vorhang kennt kein da capo. Egal, ob man sein Leben im großen Haus, der Wanderbühne oder im Puppentheater zum Besten zu geben wusste. Sagen wir besser einander rechtzeitig, wie schwer wir voneinander beeindruckt sind – bevor der Vorhang fällt!

Die neue LZ ist da: Silvesterknaller, Treuhandschatten, Sondierungs-Gerumpel und eine Stadt in der Nahverkehrs-Klemme

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