Der Osten steckt schon längst im Wahlkampf. Auch wenn es nur drei Bundesländer sind, die in diesem Jahr neue Regierungen wählen. Und in allen dreien droht die AfD mit hohen Wahlergebnissen zu punkten. Logisch, dass der Wahlkampf auch die Bundesebene erreicht und dass die SPD nach Jahren der Stille wieder Vorschläge für die Niedriglöhner und Armutsrentner im Osten macht. Auf die ausgerechnet der Ostbeauftragte der Bundesregierung mit dem Vorwurf der Jammerei reagierte. Dafür bekam er jetzt einen Offenen Brief von Martin Dulig.

„Die SPD hat den falschen Ansatz“, erklärte der Christdemokrat und Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie Christian Hirte, der aus Thüringen stammt und deshalb auch die Funktion des Ostbeauftragten der Bundesregierung bekleidet, in der „Thüringer Allgemeinen“. „Es hilft nicht, nur herumzujammern, dass die Ostdeutschen zu kurz gekommen sind und deshalb mehr Geld verteilt werden muss.“

Und er legte noch einen drauf, der dann aber ganz schlecht ankam: „Die Larmoyanz, welche die SPD vor sich herträgt, bestätigt nur das falsche Image des Jammerossis und schadet uns als attraktiver Standort im Wettbewerb der Regionen.“

Schon am 7. Februar hatte er im Interview mit der LVZ ganz ähnliche Töne von sich gegeben. Die hatte provozierend gefragt: „Ein letztes Feld des Unbehagens ist das mentale. Plötzlich stehen ‚Besserwessis‘ und ‚Jammerossis‘ wieder gegeneinander. Wie erklären Sie sich das?“

„In der Tat, die Debatte war völlig weg, bis sie jetzt auf einmal wieder hochkam – besonders ausgelöst durch die AfD“, meinte Hirte. „Dass dabei auch unser Koalitionspartner in den Jammer-Duktus einfällt, kann ich politisch nicht nachvollziehen. Wir haben mehr Anlass, mit Stolz auf das Erreichte und mit Optimismus in die Zukunft zu blicken, als auf die Dinge zu schauen, die eben nicht hervorragend funktioniert haben.”

So habe es zwar „politische und wirtschaftliche Unfälle auf dem Weg nach 1990, gerade wenn man sich die Treuhand anschaut“ gegeben, räumte Hirte ein. Gesamt habe man jedoch eine tolle Entwicklung gehabt und jeder „der rumjammert, der soll sich mal in Osteuropa umsehen“. Um noch nachzuschieben, wie es denn gekommen wäre, wenn es keinen Mauerfall oder die Einheit gegeben hätte. Ein Totschlagargument, mit welchem nun seit Jahren jede differenzierte Diskussion über die ökonomische Sonderstellung in Ostdeutschland vor allem seitens der CDU abgebügelt wurde. Eines, welches zudem niemand anführt, wenn es um die Zeit eben nach 1990 geht.

SPD-Landesvorsitzender Martin Dulig. Foto: Marco Arenas
SPD-Landesvorsitzender Martin Dulig. Foto: Marco Arenas

Widerspruch vom Koalitionspartner

Auf die Aussagen in der „Thüringer Allgemeinen“ reagierte am Sonntag, 10. Februar, Martin Dulig, der sächsische SPD-Vorsitzende, schon mit einer geharnischten Kritik. „Die Aussagen von Christian Hirte offenbaren fehlendes Wissen und eine fehlende Haltung gegenüber den Lebensleistungen und die Lebenssituation der Menschen in Ostdeutschland. Dass Hirte das alte Klischee des ‚Jammer-Ossis‘ bedient, ist seiner Funktion als Ostbeauftragter der Bundesregierung unwürdig. Er zielt auf die SPD, trifft aber die Würde aller Menschen, die hier leben. Das werde ich nicht zulassen“, sagte Dulig, der seinerseits in der SPD der Sprecher für den Osten ist.

„Herr Hirte nennt es ‚herumjammern‘, wenn man eine Grundrente für jene fordert, die gerade im Osten ihr Leben lang gearbeitet haben und dennoch genauso in der Grundsicherung landen würden wie die, die nicht gearbeitet haben. Diese Einschätzung halte ich für falsch. Die Grundrente ist eine Anerkennung von Lebensleistung. Das hat etwas mit Respekt zu tun. Deshalb lehnen wir eine entwürdigende und bürokratische Bedürftigkeitsprüfung auch ab.“

Da hat Dulig sichtlich mehr Kontakt zu den arbeitsamen Ostdeutschen, die gerade im Niedriglohnland Sachsen wissen, was am Ende übrig bleibt, wenn man jahrelang in prekären Jobs beschäftigt ist. Christian Hirtes Worte klingen nach all den Motivationskursen, die man auch im Osten seit 1991 erleben konnte.

Kurse, die ihren Teilnehmern auch ein Leben in Wohlstand verhießen – wenn sie sich nur eben anstrengen und ranklotzen. Aber genau zwischen diesen Verheißungen (die auch in der Eigenwerbung der Landesregierungen noch immer dominieren) und der finanziell sehr knappen Realität vieler Ostdeutscher klafft eine große Lücke.

„Herr Hirte meint tatsächlich, es schade dem Standort Ostdeutschland, wenn man über Ungerechtigkeiten in der Nachwendezeit und ihre Folgen bis heute spricht. Ich kann verstehen, dass ein CDU-Politiker nicht gerne über die rücksichtslose Privatisierungspolitik der Treuhand und gebrochene Versprechen unter Helmut Kohl sprechen möchte. Aber ich glaube, wir müssen das tun, um die Herzen der Menschen für die Zukunft zu öffnen“, sagte Dulig.

Mehr noch wahrscheinlich. Die Geschichte der Deindustrialisierung durch DDR- und Nachwendezeit ist maßgeblicher Bestandteil der neueren ostdeutschen Geschichte. Die Folgen bekam Hirte anlässlich seines Besuches bei der IHK Leipzig von IHK-Präsident Christian Kirpal am 20. Juni 2018 noch einmal deutlich vor Augen geführt. Nur 10 Prozent aller Leipziger Unternehmen beschäftigen mehr als 10 Leute, so Kirpal, den Sprung auf das wirkliche Mittelstandsparkett schaffe man nur mit Förderungen von 2 bis 10 Millionen Euro. Höchste Zeit also eigentlich für ein echtes Mittelstands-Förderprogramm, dessen Nutznießer ortsansässige Firmen sein müssten.

Da hilft auch Hirtes Blick nach Bayern nichts, die angebliche Begründung für den Reichtum des südlichen Bundeslandes geht zudem gründlich an den Fakten vorbei. Es läge am “souveränen Auftritt”.

Bayern ist Bayern wegen dem „souveränen Auftreten“?

Was Dulig nun zur Replik nötigte: „Es ist außerdem bemerkenswert, wie wenig Ahnung Hirte von der Geschichte Bayerns hat: Bayerns wirtschaftlicher Aufstieg liegt nicht an einem ‚souveränen Auftritt‘, sondern daran, dass Firmen wie Siemens, die Allianz oder Agfa ihren Sitz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von Berlin nach München verlegten. Genau diese Firmenzentralen fehlen im Osten bis heute. Deswegen plädieren wir als Ost-SPD auch dafür, dass der Osten insgesamt eine größere Rolle spielt. Zu häufig herrscht in der Bundespolitik ein Westblick. Spezifische ostdeutsche Bedingungen und Bedürfnisse werden oft zu wenig mitgedacht.“

Ganz zu schweigen von den vielen gut ausgebildeten Mitarbeitern, die auch bayrische Firmen nach 1990 aus dem Osten ernten konnten, mindestens 700.000 waren es beim großen Braindrain nach der Wende.

Dulig empfahl Christian Hirte zudem, die kürzlich veröffentlichten Papiere der Ost-SPD zu lesen: „Natürlich sind neben der sozialen Frage die Themen von Innovation-, Forschung und Infrastruktur für Ostdeutschland zentral. Deswegen wundere ich mich, dass Hirte seiner CDU-Kollegin Karliczek nicht lauter widersprochen hat, als diese behauptete, man brauche 5G ‚nicht an jeder Milchkanne‘. Ich denke, Christian Hirte ist sich hier eigentlich mit der Ost-SPD einig: Wir brauchen im Gegenteil eine Versorgung bis in die kleinen Dörfer – also auch an jeder Milchkanne.“

Und dann hat er sich hingesetzt, und auch noch einen ganz persönlichen Brief an Christian Hirte geschrieben. Obs dabei hilft, dem „Ostbeauftragten“ der CDU den Osten jenseits der Titulierung als „Standort“ zu erklären?

Hier ist er: Offener Brief Martin Dulig an Ostbeauftragten Christian Hirte

Ostbeauftragter Christian Hirte zu Gast in der IHK zu Leipzig: Der Osten braucht mehr starke mittelständische Unternehmen

Der Osten braucht mehr starke mittelständische Unternehmen

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