Im ersten Teil rings um die Debatte zur seit nun 18 Jahren ersten neuen EU-Richtlinie zum Urheberrecht im Netz und die Regelungen im Artikel 13 und den Begleitregelungen, ist eines deutlich geworden: Letztlich richtet sich die Neuregelung vor allem an einen kleinen Kreis großer Plattformanbieter mit Wirkung für viele Nutzer im Netz. Wenn auch nur ein kleiner Kreis der Plattformen überhaupt Haftungspflichten hat, so stellt sich für diese natürlich trotzdem die Gretchenfrage nach der Umsetzung. Dürfen oder müssen hier Uploadfilter zum Einsatz kommen?

Die Richtlinie spricht kein explizites Verbot aus, setzt aber klare Regeln: Eine allgemeine Überwachungspflicht darf es im Ergebnis nicht geben (Artikel 13, Absatz 7). Wo aber keine generelle Überwachungspflicht besteht, kann ein Filtern auch nicht zwingend sein, was auch auf die Haftung der Plattform rückwirkt. Das ist übrigens auch wichtig für die Plattformen mit Pauschallizenz, wenn es um die Handhabung jener Werke geht, die nicht von dieser Lizenz erfasst sind. Plattformen müssen also nicht sämtliche Inhalte überwachen.

Aber dürfen sie? Eindeutig ja.

Allerdings unter deutlichen Einschränkungen im Vergleich zur heutigen Praxis. Ein Overblocking ist künftig unzulässig, ein menschliches Review, also eine Kontrolle durch dafür ausgebildete Mitarbeiter, bei automatisiert erkannten Urheberrechtsverstößen ist verpflichtend (beides in Artikel 13, Absatz 8). Damit erübrigt sich auch das oft vorgetragene Argument, Uploadfilter seien nicht in der Lage, legale Parodien und Zitate von Urheberrechtsverstößen zu unterscheiden. Ja, dieses Problem ist tatsächlich bedacht worden.

Der in Artikel 13, Absatz 8 festgeschriebene Rechtsanspruch auf Upload ist so ziemlich das Gegenteil von Zensur und setzt einen neuen Maßstab in Sachen Verbraucherschutz. Der Parlamentsentwurf war hier übrigens sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hatte ein generelles Verbot von Sperrungen legaler Inhalte durch die Plattformen ausgesprochen, also das Hausrecht der Plattformen obsolet gemacht. Hätten die Verfechter der Meinungsfreiheit die Richtlinienentwürfe nicht nur vom Hörensagen gekannt, dann käme vielleicht bald mit der Richtlinie die absolute Meinungsfreiheit auf Plattformen.

Stattdessen arbeitet sich die Debatte stur und blind an der von der Netzindustrielobby in die Welt gesetzten Behauptung vom Uploadfilterzwang ab und erlaubt so im toten Winkel der Aufmerksamkeit die stückweite Legalisierung des wild gewachsenen Einflusses von Social Media auf gesellschaftliche Normen. Auch am Aktionstag, dem 23. März, werden europaweit die Leute wieder nicht für ihre eigenen Rechte auf die Straße gehen, sondern für die Privilegien der Plattformen. Der Druck der Öffentlichkeit lastet nicht auf der eigentlichen Zensur, wir haben also „nur“ noch den Schutz vor Sperrungen wegen vorgeschürzter Urheberrechtsverletzung auf dem Tisch liegen.

Was aber immerhin auch ein deutlicher Fortschritt für den Verbraucher zum Istzustand ist. Hoffen wir, dass wenigstens dies Bestand hat und nicht ausgerechnet von sicher gutmeinenden Antizensurkampagnen gekippt wird. Alles Weitere wird dann hoffentlich irgendwann in einer Verbraucherschutzrichtlinie geregelt, denn immerhin geht es hier ja primär um Urheberrecht.

Zurück zu den Filtern

Eine oft vorgetragene Befürchtung ist, dass eine allgemeine Verpflichtung zum Einsatz von Filtermechanismen im Ergebnis zur Schaffung einer Zensurinfrastruktur führe. Schlimmer noch die Vermutung, diese könne im Ernstfall vom Staat übernommen werden. Wie gesehen mangelt es bereits an der Verpflichtung und ist sogar eine Einführung durch die Mitgliedstaaten (zumindest auf Basis der Urheberrechtsrichtlinie) untersagt.

Die Richtlinie geht aber noch weiter und untersagt überhaupt die personenbezogene Datenerhebung und -auswertung, insbesondere auch die Weitergabe von Informationen an Dritte (Artikel 13 Absatz 8). Die vermeintliche Zensur-Richtlinie ist also bis ins Detail von der Sorge um informationelle Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit der europäischen Bürger im Internet getragen. Auch dort, wo in Abwägung zu anderen Schutzgütern (hier: das Eigentumsrecht der Urheber und Rechteinhaber), Eingriffe zugelassen werden.

Vielleicht ist gerade das der Grund, warum sich gerade einige Konzerne wie Facebook und Google/Youtube so aktiv gegen die neue Gesetzesregelung wenden, da genau das ihr Geschäftsmodell beschreibt?

Konkurrenz zwischen großen und kleinen Plattformen

Eine weitere Befürchtung ist, dass die großen Plattformen einen Wissensvorsprung gegenüber kleineren Diensten dazu nutzen könnten, ihre Marktführerschaft noch weiter auszubauen, indem sie entweder als Einzige auf die Filterzwänge vorbereitet seien. Oder aber als einzige Anbieter von Filtertechnologie kleinere Mitbewerber in Abhängigkeit bringen könnten, die dann gezwungen seien, dort das Knowhow einzukaufen.

Wie gesehen, erübrigt sich der erste Teil mangels Filterzwang. Dennoch lohnt es sich, die zweite Überlegung zu prüfen, denn immerhin liegt der Einsatz von technischen Hilfsmitteln bei Wahl der Option Störerhaftung ja nah.

Was oberflächlich einleuchtend klingt – immerhin ist Youtubes Content-ID den Meisten weitgehend bekannt – ist für Branchenkenner eher eine abwegige Vorstellung. Youtubes Erkennungssystem wird bislang nach eigenem Gutdünken der Plattform eingesetzt. Die Qualität des Instruments ist unbekannt, wird aber oft als unzureichend beschrieben. Angesichts der technischen Herausforderungen (wir erinnern uns an dieses Argument gegen Uploadfilter) und angesichts dessen, dass die Plattform aktuell nicht zu akkuraten Ergebnissen gezwungen ist, kann man davon ausgehen, dass es eher nicht zum State-of-the-Art gehört.

Hochwertige Monitoringtechnologie existiert bereits, denn Rechteinhaber verlassen sich nicht auf die Angaben der Rundfunksender über Musikeinsätze im laufenden Programm. Kleine Firmen wie Tunesat, Soundmouse oder BMAT dürften als die eigentlichen Experten gelten. Ihre Trackingtools sind so genau, dass sie von Verwertungsgesellschaften als Abrechnungsbasis anerkannt werden. Genauer kann es auch der Gesetzgeber nicht verlangen.

Ihre Dienstleistungen sind für einzelne Rechteinhaber erschwinglich, also mit Sicherheit auch für auf dem Markt etablierte Plattformen. Zumal auch nicht ersichtlich ist, warum bei entsprechender Nachfrage nicht noch mehr Firmen mit Knowhow auf den Markt drängen sollten.

In diesem Lichte betrachtet ist dann auch die Positionierung von einzelnen Wirtschaftsverbänden wie etwa dem Verband deutscher Startups gegen die Richtlinie nicht nachvollziehbar. Kleine Lizenznehmer genießen Haftungsprivilegien, die Monopole werden reguliert und es gibt Nachfrage nach technischen Lösungen zur Optimierung. Innovationsfeindlichkeit ist vor diesem Hintergrund eine steile These.

Zudem zeigt die Entwicklung im Rundfunk auch, dass es durchaus auch die Option gibt, den Aufwand des Monitorings zum Teil den Verwertungsgesellschaften zuzuspielen. Artikel 13, Absatz 9 regelt, dass EU-Kommission und Mitgliedstaaten einen Dialog zwischen Branchenvertretern auf Urheber- und Plattformseite organisieren müssen, auf dem Best-Practise-Modelle diskutiert werden, bevor es an die Umsetzung geht. Die von der Reform betroffenen Vertreter wurden übrigens auch in der Entwurfsphase der Richtlinie angehört. Der europäische Gesetzgeber hat mitnichten nach Gutdünken den Plattformen unmöglich umzusetzende Verpflichtungen aufgebürdet.

Aber was ist denn nun mit Memes?

Klare Antwort: sie werden nicht verboten, sondern im Gegenteil erstmals erlaubt. Memes sind aktuell nicht klar von den bestehenden Schrankenregelungen erfasst, die von einer Lizenzpflicht befreien. Die Richtlinie schafft nun mit Artikel 13, Absatz 5 aber eine spezielle User-Generated-Content-Schranke. Konkret heißt das, dass Memes (und auch Mash-Ups) exakt im Kontext ihres Wesens als Teil der Internetkultur legalisiert werden, ohne dass dabei Verwerfungen im Bereich professioneller Werkverbindungen als Kollateralschaden entstehen, wie es bei einem von den Kritikern der Richtlinie geforderten allgemeinen „Recht auf Remix“ zu erwarten wäre.

Das Wort Meme kommt übrigens in der betreffenden Passage des Artikels nicht vor. Aber das Wort Uploadfilter kommt bekanntlich auch nicht vor. Dass in den nüchternen Gesetzestext mit ein paar Taschenspielertricks alle möglichen Horrorstories hineinprojiziert werden können, ist leider ein Problem, dem man nur mit umfassenden Erläuterungen begegnen kann.

Der interessierte Leser möge daher verzeihen, dass wir selbst mit Fokus auf nur die prominentesten Thesen zur Richtlinie gerade mal die Halbzeit erreicht haben. Weiter geht es im dritten Teil mit dem zweiten großen Streitobjekt: Artikel 11 und das Leistungsschutzrecht für Presseverleger.

Zur Volltextvariante der neuen Richtlinie im Netz (engl. Version)

Volltextvariante (Stand 20. März 2019) der neuen Richtlinie im Netz (deutsche Übersetzung)

Zum Teil 3 rings um den Artikel 11 und die Leistungsschutzrechte geht es hier auf L-IZ.de.

Alle Beiträge finden Sie unter l-iz.de/tag/uploadfilter

Über den Autor: Markus Rennhack ist Politikwissenschaftler und befasst sich als Urheber, ausübender Musiker und Mitarbeiter des Leipziger Musikverlages Kick The Flame mit dem Thema Urheberrecht seit mehreren Jahren aus verschiedenen Fachperspektiven. Seit 2014 ist Markus Rennhack zudem einer von insgesamt 64 Komponisten-Delegierten bei der GEMA und vertritt dort die Rechte  für die rund 70.000 “angeschlossenen und außerordentliche Mitglieder”. Hierbei handelt es sich überwiegend um “kleine” Musiker und Komponisten, also Urheber von Werken, welche nur bedingt von ihrer Musik & Kompositionen leben können.

Artikel 13: Youtuber auf den Barrikaden  (Teil 1)

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