Dreieinhalb Jahre nach dem heimtückischen Angriff auf die Privatwohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow steht ein Verdächtiger erneut vor Gericht – seine Haftstrafe aus erster Instanz will er nicht hinnehmen. Am Donnerstag brach er erstmals sein Schweigen.

„Ich bin nachweislich kein unbeschriebenes Blatt“, gab der Angeklagte Thomas K. (32) am Beginn seiner Aussage zu und spielte damit auf ein nicht unerhebliches Vorstrafenregister an. So wurde der umtriebige Rechtsprotagonist schon vor Jahren verurteilt, weil er 2008 einen LVB-Nachtbus attackiert haben soll, in dem Besucher des „Courage zeigen“-Konzerts vermutet wurden. Ein Mann wurde damals verprügelt und schwer verletzt.

Auch wegen des Überfalls auf Connewitz vom Januar 2016 steht Thomas K., welcher der hiesigen Hooligan-Szene von Lok Leipzig zugerechnet wird, noch ein Prozess bevor. Er habe keinerlei Gewalt ausgeübt oder dergleichen, sagte der Mann vor der 14. Strafkammer dazu knapp.

Um anschließend gleich zur Sache zu kommen: Mit dem nächtlichen Säure-Angriff auf die Privatwohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow am 24. November 2015 habe er überhaupt nichts zu tun. Es gäbe keine Beweise gegen ihn, er sei Vater einer vierjährigen Tochter und seit mehreren Jahren für ein rumänisches Tierheim engagiert, noch nie habe er mit Buttersäure hantiert, die ja auch eher in linken Kreisen verbreitet sei, überhaupt käme er nie auf die Idee, einen Justizminister anzugreifen. Eine damals neben Gemkow ansässige WG, über die linksorientierte Szenekleidung vertrieben worden sei und in der das Amtsgericht das eigentliche Ziel der Attacke vermutete, kenne er nicht.

„Sie können sich nicht vorstellen, was es heißt, unschuldig vor Gericht zu sitzen“, sagte Thomas K. in Richtung des Vorsitzenden Richters Bernd Gicklhorn. Der hörte den Ausführungen ruhig zu. Den Vorwurf des Angeklagten, das Amtsgericht habe entlastende Fakten ignoriert, wollte Gicklhorn aber so nicht stehen lassen: Das Amtsgericht habe alle Erkenntnisse gegeneinander aufgewogen. Diese lägen nun noch einmal völlig neu auf dem Tisch und würden ein zweites Mal begutachtet. „Wenn Zweifel bleiben, werden Sie freigesprochen“, so der Richter.

DNA-Fund als Trumpfkarte?

Zentraler Beweisgegenstand des Verfahrens bleibt auch jetzt eine DNA-Spur von Thomas K., welche die Ermittler seinerzeit an einer Christbaumkugel-Verpackung gesichert hatten, mit der die Buttersäure in der Tatnacht transportiert worden war. Gemkow und seine Familie schliefen damals in einem Nebenraum, blieben unversehrt. Allerdings mussten sie sofort raus, da die Räume durch den Säureangriff unbewohnbar geworden waren.

Er könne sich bis heute nicht erklären, wie seine DNA an die Packung gelangt sei, sagte Thomas K. aus. Rechtsanwalt Mario Thomas, einer der beiden Verteidiger, sprach dementsprechend auch von einer Trugspur: Fälle wie der Mord an der Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter von 2007, bei dem die Polizei jahrelang auf Basis einer DNA eine nicht existente Serientäterin jagte, oder die DNA-Anhaftungen des Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt im Fall Peggy bewiesen die hohe Fehleranfälligkeit des Verfahrens.

Nicht nur habe das Amtsgericht alle alternativen Szenarien einer DNA-Übertragung seines Mandanten unzureichend einkalkuliert, zugleich hätten sich auch bei einer Hausdurchsuchung keinerlei Indizien für eine Täterschaft Thomas K.s ergeben. Thomas listete eine Reihe weiterer Ungereimtheiten auf: Den Fährtenhund, der die Fahnder in der fraglichen Nacht zu einem Haus in der Biedermannstraße geführt hatte, wo ein als linksextrem eingestufter Mann wohnte. Das Tatmuster, das durchaus dem Vorgehen in derlei Kreisen entsprechen würde, wo Gemkow als Mitglied des Staatsapparats und der CDU ein Feindbild sei. Fehlende Fingerabdrücke auf den schweren Steinen, deren naheliegender Transport per PKW der Spurenlage widerspräche.

Die Verteidigung hat damit zum Auftakt des Berufungsprozesses am Donnerstag die Marschrichtung vorgegeben: Für sie kommt nur ein Freispruch infrage. Ob die Kammer dem folgt oder nicht, lässt sich derzeit nicht absehen. Einiges hängt wohl davon ab, ob es den Anwälten gelingt, Zweifel am DNA-Beweis zu streuen. Zweitverteidiger Curt-Matthias Engel brachte zudem neue Beweisanträge ins Spiel. So will er nachweisen, dass der linke Modevertrieb in Gemkows Nachbarschaft bereits seit Mai 2014 nicht mehr aktiv gewesen sei – und daher auch kein logisches Angriffsziel abgegeben hätte.

Sollte das Gericht das Urteil aus erster Instanz bestätigen, müsste Thomas K. wegen Sachbeschädigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung für zwei Jahre und vier Monate hinter Gitter. Zu dieser Strafe hatte ihn das Amtsgericht im September 2017 verurteilt, einen zweiten Verdächtigen dagegen freigesprochen. Ein erster Anlauf für die Berufung war im November 2018 überraschend gescheitert.

Nach derzeitigem Stand wird der Fall noch in drei weiteren Terminen bis 4. Juli verhandelt.

Anschlag auf Wohnung von Justizminister Gemkow: Staatsanwaltschaft klagt zwei Tatverdächtige an

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