Im Stich gelassen. Anders kann man das nicht mehr bezeichnen, was verantwortliche Innenminister in der jüngsten Vergangenheit mit unserer Zivilgesellschaft angerichtet haben. Das Verbot der rechtsextremen Neonazi-Vereinigung „Combat 18“ kam spät. Viel zu spät. Die Verspätung steht für das systematische Versagen konservativer Innenpolitiker, die Innenpolitik immer wieder als Machtpolitik behandelt haben – gegen links. Sachsen ist dafür nur das typische Beispiel.

Jenes Sachsen, in dem die rechtsterroristische Gruppe „NSU“ 13 Jahre lang untertauchen konnte, ohne von den Behörden behelligt zu werden. Ungestört konnten die untergetauchten Neonazis Morde in ganz Deutschland begehen, unterstützt von gewaltbereiten Netzwerken in Hessen und anderswo. Aber dort bissen die Untersuchungsausschüsse der Landtage genauso auf Granit wie die zwei Untersuchungsausschüsse im sächsischen Landtag.

Der Wille der jeweiligen Landesregierungen herauszubekommen, warum und wie die eigenen Sicherheitsbehörden im „NSU“-Fallkomplex versagt haben, war denkbar gering. Eigentlich nicht vorhanden.

Denn diese Untersuchungen rührten an das Grundnarrativ konservativer Sicherheitspolitik, die augenscheinlich nie aus dem Schatten der Nachkriegsjahre herausgekommen ist und den „Feind“ der Demokratie immer nur links verortet, rechtsradikale Umtriebe aber immer verharmlost oder ignoriert hat. Gern verbrämt mit quasi-wissenschaftlichen Theorien wie der sogenannten Extremismustheorie des Politologen Eckhard Jesse, den Verfassungsschützer immer wieder als Extremismus-Experten einladen. Dementsprechend sehen die Verfassungsschutzberichte seit Jahren auch aus.

Rechtsradikale Netzwerke und Taten werden systematisch verharmlost, linksradikale Ausschreitungen aufgeblasen zum Terrorismus. Umso verärgerter sind Vertreter demokratischer Parteien in Sachsen, wie lange der Bundesinnenminister gebraucht hat, so eine auf Gewalt zielende Gruppe wie „Combat 18“ zu verbieten.

„Das Verbot der rechtsextremen Vereinigung Combat 18 ist ein überfälliger und richtiger Schritt. Er reicht aber längst nicht aus. Denn viel wichtiger als verfassungsfeindliche Organisationen symbolträchtig zu verbieten ist es, die dahinterstehenden Strukturen nachhaltig zu zerschlagen“, beschreibt Henning Homann, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, das Problem, das Sachsen seit Jahren zu schaffen macht und das eine wesentliche Ursache dafür ist, dass die AfD in weiten Landstrichen Sachsens mittlerweile die Meinungshoheit hat.

Wie nah sich die gewaltbereiten Neonazis und die rechtsradikale AfD sind, machte ja der Mord am Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Kassel, Walter Lübcke, deutlich.

Denn der mutmaßliche Mörder Stephan E. war nachweislich auch Unterstützer der AfD. Die Grenzen zwischen den Kampagnen rechtsextremer Netzwerker und denen der AfD sind längst fließend. Da helfen alle Ausreden von AfD-Politikern nichts: Wer mit Neonazis gemeinsame Sache macht, kann nicht in der Öffentlichkeit so tun, als wäre man doch nur ein besorgter Demokrat.

Und dass viele sächsische Regionen derart abgefallen sind, hat mit dem langjährigen Wirken rechtsradikaler Gruppen zu tun, die ganze Gemeinden mit Gewalt und Einschüchterung quasi mundtot gemacht haben. Bürgermeister und Politiker/-innen, die sich gegen die rechtsextremen Umtriebe auch nur äußerten, wurden mit Morddrohungen überschwemmt.

Der Fall Walter Lübcke ist kein Einzelfall. Kaum ein demokratischer Bürgermeister kennt diese üblen Beschimpfungen und Bedrohungen nicht. Sie gehören mittlerweile zum Alltag. Und das ist nicht nur ein Problem. Das ist eine Schande. Und es erzählt vom Versagen konservativer Innenpolitik.

Doch keine Innenministertagung – erst recht keine, auf der sich nur CDU- und CSU-Innenminister treffen – kommt ohne neue Pläne aus, das Polizeirecht zu verschärfen, die Überwachung der Bürger auszuweiten und vor allem den „Linksextremismus“ zu bekämpfen. Mit einer unabhängigeren, der gesamten Gesellschaft verantwortlichen Sicherheitspolitik hat das alles nichts mehr zu tun.

Und die gewalttätigen rechtsradikalen Kampfzellen sind auch in Sachsen nach wie vor am Werk, auch wenn jetzt endlich wieder so eine gewaltbereite Truppe wie die „Freie Kameradschaft Dresden“ zur Verantwortung gezogen wurde.

Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs.

„Combat 18 gilt als bewaffneter Arm des rechtsextremen Netzwerks ‚Blood and Honour‘“, stellt Homann fest. „Dieses Netzwerk hatte beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) eine Schlüsselfunktion inne.“ Deshalb, so Homann, sei „Blood and Honour“ ein mahnendes Beispiel. Denn dieses Netzwerk wurde im Jahr 2000 ebenfalls vom Bundesinnenministerium verboten. Seine Strukturen funktionierten jedoch weiterhin und ermöglichten die Morde des NSU. Das Verbot blieb Symbolpolitik. Die rechtsradikalen Netzwerke organisierten sich neu und machten einfach weiter.

Homann warnt: „Neonazis nutzen heute wesentlich konspirativere Strukturen als noch vor einigen Jahren. Umso bedauerlicher ist es, dass es seit Seehofers Ankündigung im vergangenen Sommer, Combat 18 zu verbieten, nun noch so lange gedauert hat, bis das endlich vollzogen wurde. So traf der überfällige und seit Monaten von mehreren Landesinnenministern geforderte Schritt die Neonazis nicht unvorbereitet.“

Mit Blick auf Sachsen fordert Homann: „Nach dieser Entscheidung sollten nun dringend weitere rechtsextreme Organisationen verboten werden, wie etwa die im Landkreis Görlitz auftretende Brigade 8. Sie hatte dem Sächsischen Verfassungsschutz zufolge Kontakt zu handelnden Personen von Combat 18. Der Freistaat sollte nicht länger zögern, um keine weitere Zeit zu verlieren.“

Was nämlich bei dieser jahrelangen Duldung rechtsextremer Netzwerke passiert ist, ist das Einsickern ihres gewalttätigen Gedankenguts in breite Teile der Gesellschaft. Die AfD konnte ein Feld beackern, auf dem andere schon gesät hatten.

Wenn rechtsradikales Gedankengut toleriert wird und gerade die verantwortlichen staatlichen Instanzen die Auseinandersetzung scheuen und die demokratischen Politiker vor Ort systematisch im Stich lassen, dann entsteht jene wilde Melange, in der das menschenverachtende Gedankengut der Nazis die Debattenhoheit übernimmt – in a-sozialen Netzwerken genauso wie in ganzen Regionen, in denen die Zivilgesellschaft sich von den eigentlich zuständigen Sicherheitsbehörden im Stich gelassen fühlen.

„Das durch den Bundesinnenminister verfügte Verbot von ,Combat 18‘ (C18) ist richtig und notwendig. Sachverständige forderten diesen Schritt seit langem. Besser spät als nie! Misslich ist jedoch, dass das Verbot bereits im Sommer 2019 recht konkret angekündigt worden ist. Die mutmaßlichen Mitglieder konnten sich dadurch lange vorbereiten und möglicherweise belastendes Material beiseite schaffen“, stellt Kerstin Köditz, zuständig für Innenpolitik sowie antifaschistische Politik in der Linksfraktion des Landtags, zu diesem Zögern und Zaudern des Bundesinnenministers fest.

„Völlig unverständlich ist für mich, warum sich das Verbot und damit in Zusammenhang stehende Durchsuchungen, die heute stattfanden, nicht auch auf den Freistaat Sachsen erstrecken – so verpufft die Wirkung des Verbots. In Sachsen hat die C18-Gruppe zwar keine eigene Gruppe gegründet, aber meiner Auffassung nach die Rocker-ähnliche Neonazigruppe ,Brigade 8‘ und ihr formal in Weißwasser ansässiges ,Chapter‘ spätestens im März 2019 in ihr bundesweites Netzwerk aufgenommen.

Damals fand eine gemeinsame Feier in Mücka (Landkreis Görlitz) statt, wo die ,Brigade 8‘ ein Clubhaus für Szene-Events und Rechtsrockkonzerte nutzt. In der Szene kursierte ein Einladungs-Flyer, der eine Zusammenarbeit beider Gruppen unverhohlen andeutete. Fortan wurden sogar gemeinsame T-Shirt-Motive genutzt. Im jüngsten sächsischen ,Verfassungsschutz‘-Bericht heißt es, dass ,Kontakte‘ zwischen beiden Gruppen bestünden.“

Liegt das vielleicht daran, dass Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) derzeit lieber „Linksterroristen“ bekämpft und die Polizeigesetze so verschärft, dass sich Demokraten kaum noch trauen, an einer offiziell angemeldeten Demonstration teilzunehmen?

„C18 versteht sich als der ,bewaffnete Arm‘ der bereits im Jahr 2000 verbotenen ,Blood & Honour‘-Organisation (B&H)“, erläutert Kerstin Köditz. „Diese war in Sachsen besonders aktiv gewesen. Aber schon das damalige Verbot hatte die rechte Szene in Sachsen überraschenderweise kaum getroffen. Mehrere NSU-Untersuchungsausschüsse haben sich mit diesem Umstand auseinandergesetzt, da sächsische B&H-Anhänger zu jener Zeit offenkundig den rechtsterroristischen NSU unterstützt haben.

Der sächsische Innenminister Wöller hätte darauf hinwirken müssen, auch die ,Brigade 8‘ in das C18-Verbot einzubeziehen. Ich erwarte nun, dass unabhängig von den heutigen Maßnahmen in Sachsen ein Verbot der ,Brigade 8‘ und ähnlicher Vereinigungen ernsthaft geprüft wird. Im Koalitionsvertrag heißt es: ,Wir wollen rechtsextreme Netzwerke konsequent zerschlagen.‘ Es ist an der Zeit, das endlich auch zu tun.“

Aber das Problem hat Köditz ja schon des öfteren thematisiert. Denn mit der Aufklärung der gewaltbereiten rechten Netzwerke tun sich Sachsens Ermittler schwer. Zuweilen wirkt es auch so, als wollten sie die gar nicht aufdecken. Die Worte vom „konsequenten Zerschlagen“ der rechten Netzwerke hat man auch 2011 gehört, als die Existenz der Terrorgruppe „NSU“ bekannt wurde. Aber geschehen ist seitdem nichts. Die Umtriebe der Rechtsextremen werden weiterhin bagatellisiert, wie insbesondere Grüne und Linke nach Abschluss des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses 2019 feststellen mussten.

Und auch Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, kritisiert das viel zu späte Verbot von „Combat 18“: „Das Verbot kommt leider viel zu spät. Gerade in Sachsen fanden in den letzten Jahren immer wieder Veranstaltungen statt, die ‚Combat 18‘ und weiteren rechtsextremen Gruppen, wie der sogenannten ‚Brigade 8‘, der Vernetzung dienten. Gerade diese Netzwerke müssen zerschlagen werden, um solch schwerste Straftaten wie die Mordserie des NSU oder den Mordfall Lübcke künftig verhindern zu können.

Von daher darf das Verbot von ‚Combat 18‘ nur ein weiterer Schritt zur konsequenten Zerschlagung rechtsextremer Netzwerke sein. Verbunden werden muss das Verbot mit einem dauerhaft hohen Ermittlungsdruck auf die rechte Szene auch in Sachsen, damit sich die verbotene Tätigkeit nicht in anderen Strukturen fortsetzt. Wir haben im Koalitionsvertrag ein Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus vereinbart, das zügig erarbeitet werden muss.“

Teile des NSU-Unterstützernetzwerks sind in Sachsen bis heute nicht aufgeklärt

Teile des NSU-Unterstützernetzwerks sind in Sachsen bis heute nicht aufgeklärt

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